The Who - Maximum Rock II. Christoph Geisselhart

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Название The Who - Maximum Rock II
Автор произведения Christoph Geisselhart
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия The Who Triologie
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783854454168



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bei diesem Wechselspiel denkt, aber seltsam mutet die plötzliche Verschlechterung der Vorgruppe bei gleichzeitiger Verbesserung des Hauptakts schon an. Albert Trentmann hatte sich vom enttäuschenden Frankfurter Konzert nicht abschrecken lassen­ und hoffte mit neuntausend anderen Fans auf Besserung:

      „Die Halle war wahnsinnig voll, ich stand ganz vorn. Als The Who die Bühne betraten, war die Begeisterung groß. Sie starteten furios, die Band kam richtig­ in Fahrt, und das Konzert verlief sehr gut, bis es direkt vor der Bühne, wo Roger agierte, zu einer Schlägerei kam. Angeblich hatte jemand eine Flasche ins Gesicht bekommen; ich habe nur die Rangelei deutlich gesehen. Die Band unterbrach, Pete starrte grimmig mit seinem Mikroständer vom Bühnenrand; dann sprang Roger sogar von der Bühne, um die Kontrahenten auseinander zu bringen. Es ging alles sehr schnell. Man konnte Pete ansehen, wie sauer er war. Ich habe ein Foto von ihm gemacht, mit wutverzerrtem Gesicht. Kurz ­darauf ging es weiter, aber nicht mehr mit so viel Schwung wie zuvor.“

      Auch vor der Halle gab es Krawall. Etwa tausendfünfhundert Fans hatten keine Karte mehr bekommen und belagerten die Eingänge. Niemand hatte mit einem solchen Ansturm gerechnet. Immerhin hatten kurz zuvor die Olympischen Sommer­spiele in München begonnen, und jeder war davon ausgegangen, dass die Fernsehübertragungen von der wichtigsten Sportveranstaltung des Jahres viele Fans vom Besuch des Konzerts abhalten würden.

      Von Essen aus reisten The Who weiter nach Wien, wo Roger vor knapp zehntausend Besuchern, die den ersten Who-Auftritt in Österreich feiern wollten, einen hervorragenden Tag hatte. Bobby Pridden hatte dagegen keinen so guten Tag: Die Bandmaschine setzte bei „Won’t Get Fooled Again“ zu spät ein, und auch bei „Relay“ gab es Probleme.

      Dann, am 4. September 1972, bezogen The Who in der Olympiastadt München Quartier. Das Konzert im Deutschen Museum erhielt ausgezeichnete Kritiken. Einzig der vergleichsweise hohe Eintrittpreis von siebenundzwanzig Mark und die wie üblich enorme Lautstärke wurden bemängelt. Die Münchner Abendzeitung wählte The Who zum „Star der Woche“, während einer gleichzeitig ­stattfindenden Olympiade wohlgemerkt, und es hieß, dass der Auftritt genauso überzeugend gewesen sei wie vor fünf Jahren. „Alles in allem waren die deutschen Konzerte 1972 nicht schlecht“, resümiert Augen- und Ohrenzeuge Albert Trentmann, „aber die damals neuen Stücke von Who’s Next kamen noch etwas holprig daher. Verglichen mit der heutigen Brillanz waren sie weit hinterher. Trotzdem waren die Shows damals ganz und gar einmalig.“

      Roger, John und Keith reisten von München nach Zürich weiter und wurden dort von einem enthusiastischen eidgenössischen Fan in Empfang genommen. „Alex from Switzerland“, wie der junge Alex Kipfer bandintern genannt wurde, hatte es mit Hartnäckigkeit, Frechheit und Glück sogar geschafft, persönlichen Kontakt zu The Who herzustellen. Sein Freund Werni Grieder, der das Schweizer­ Fanportal www.the-who.ch gründete und seit 1966 ein mindestens ebenso ­glühender Anhänger der Band ist, erzählt ihre erstaunliche Geschichte:

      „Alles begann mit ‚Substitute‘, das ich als Vierzehnjähriger in einem Beatclub in einem Dorf bei Basel das erste Mal hörte. Da hat es einfach ‚klick‘ gemacht, und seither haben mich The Who nie mehr losgelassen. Alex bin ich 1970 am Bahnhof von Basel begegnet. Wir sind dann gemeinsam durch die Discos gezogen, mit Live At Leeds in der Hand. Die DJs hatten keine Wahl, sie mussten­ die Platte auflegen, und ab ging die Post! Im Sommer 1971 haben wir dann ‚Won’t Get Fooled Again‘ in die Schweizer Hitparaden gehievt. Damals wurde oft geschrieben, The Who sind am Ende; aber als ich den Song hörte, dachte ich mir: Wer ist am Ende? Jetzt geht’s erst richtig los! Als erstes haben wir recherchiert, welche Plattenläden in der Schweiz an welchen Tagen von der zentralen Erhebungsstelle angefragt wurden. In Basel kannte ich schon alle. Wir sind dann vier Wochen lang die Plattengeschäfte in Zürich, Bern und Basel abgelaufen, nicht jeden Tag, sondern immer kurz bevor die Verkaufs­zahlen abgefragt wurden. Wir schickten Freunde, die in unserem Auftrag Singles­ kauften. Die ausgewählten Geschäfte bestellten dann sofort neue, und das ergab in den Hochrechnungen stattliche Verkaufszahlen. Wir konnten zuschauen, wie die Single Woche um Woche stieg. Wir schafften es bis in die Top Ten, in Basel sogar bis auf den zweiten Platz. Am Ende besaßen wir einhundertfünfzig Platten und hatten ziemlich viel Geld ausgegeben, denn eine Single kostete damals 3,50 bis 3,90 Schweizer Franken. Aber das war es uns wert. Es war eine Riesengaudi. Die Platten packten wir ins Auto und fuhren damit kreuz und quer durch die Schweiz. Und jedes hübsche Mädchen, das wir trafen, bekam eine Who-Single gratis.“

      Natürlich schickten Alex und Werni auch regelmäßig Fanpost an die Plattenfirma der Who, tauschten Adressen aus, sammelten Zeitschriftenartikel und­ jagten Autogrammen nach. Vor allem Alex wollte alles über seine Idole wissen und arbeitete sich hartnäckig in den Fanzirkeln vor. Eines Tages erhielt er einen überraschenden Anruf: Ein Mitarbeiter von Track Records aus London wollte von ihm Informationen über die Mehrzweckhalle Wetzikon bei Zürich einholen; The Who kamen in die Schweiz! Alex und sein Bruder reisten mit diesem Kontakt im Kopf während der Weihnachtsferien voller Hoffnung nach London. Und am Morgen des 2. Januar 1972 klingelten sie keck an der Tür von Petes Haus in Twickenham. „Heute würde ich mich das nicht mehr trauen. Aber Pete öffnete die Tür im ­Morgenrock, ganz verschlafen und sehr verkatert. Überall standen leere ­Flaschen herum“, berichtet Alex in einem Schweizer Radiointerview. „Er hat uns dann gefragt, ob wir auch Deutsch sprechen und ließ uns rein.“

      Alex und sein Bruder hatten unerhörtes Glück. Die Empfehlung eines ­Telefonats mit Track hätte sicher nicht ausgereicht, um Einlass in Pete Townshends­ Haus zu finden. Aber Pete arbeitete Anfang Januar an einer deutschen­ Aufnahme von „O Pavardigar“, die er zur Eröffnung des Meher-Baba-Zentrums in der Schweiz fertigstellen wollte. Alex wusste einiges über das Idol seines Idols, und Pete war erfreut zu erfahren, dass hier ein Jünger vor ihm erschienen war, der gerade aus jendem Land kam, wohin er seinen Song zu schicken gedachte. Er schenkte Alex sogar das Mastertape einer auf Deutsch gesungenen Studioaufnahme. „Wir waren zweieinhalb Stunden da“, erzählt Alex, der sogar die ­schlafende Karen Townshend durch einen Türspalt im Schlaf­zimmer bestaunen ­durfte.

      Natürlich war „Alex from Switzerland“ fortan der Primus unter den Schweizer­ Edelfans und bestens über alles informiert. „Er wusste genau, wann The Who vor dem Konzert am Flughafen ankamen“, erinnert sich Werni.

      Es kamen aber nur drei an – Pete fehlte. Der war in München stecken geblieben, denn in den frühen Morgenstunden des 5. September begann das Geisel­drama­ von München. Palästinensische Terroristen waren ins Olympische Dorf eingedrungen und hatten elf israelische Athleten gefangen genommen, um die Freilassung von palästinensischen Häftlingen und der deutschen Terroristen Baader und Meinhof zu erpressen. Zwei Geiseln starben noch während des Überfalls, die übrigen wurden gemeinsam mit fünf Terroristen und einem Polizisten auf dem Flughafen von Fürstenfeldbruck bei einer gescheiterten Befreiungsaktion getötet.

      In den Wirren dieses schrecklichen Tages kam auch Pete mit seiner Abreise in Verzug. Werni stand mit anderen hartgesottenen Who-Fans derweil schon in der Mehrzweckhalle und beobachtete, wie die Bandtransporter bis an den Bühnenrand vorfuhren und wie Roadies die Anlage entluden. „Fans strömten zu Tausenden herein“, erzählt er, „während die Trucks zwischen ihnen fuhren und schließlich wieder hinausrollten. Es war ein Wunder, dass niemand verletzt oder gar getötet wurde. Ich denke, die Organisatoren haben da einiges gelernt.“

      Veranstaltet wurde der Auftritt von der Schweizer Konzertagentur Good News, die Claude Nobs, der Macher des weltbekannten Jazzfestivals von Montreux, und sein Partner André Béchir gegründet hatten. Die beiden organisierten zuletzt auch wieder das Who-Konzert 2006 in Locarno. Die Vorgruppe anno 1972 war ­abermals Golden Earring, „und sie waren gut, sehr gut sogar“, wie sich Werni Grieder erinnert:

      „Dann kam die Umbaupause, die immer länger wurde. Es hieß, dass Pete wegen des Massakers von München noch unterwegs war; er kam mit Polizeischutz direkt nach Wetzikon vorgefahren. Das Konzert begann deswegen erst nach zweiundzwanzig Uhr. The Who legten gleich richtig los, ‚I Can’t Explain‘, volles Rohr, als plötzlich von der linken Seite her jemand über die Bühne rannte­ und genau auf Pete zu schoss, der sehr erschrocken wirkte – es war natürlich Alex! Er hatte großes Glück, dass Pete ihm nicht die Gitarre über den Kopf schlug. Alex drückte Pete einen Meher-Baba-Anstecker