Moderne Tauchmedizin. Kay Tetzlaff

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Название Moderne Tauchmedizin
Автор произведения Kay Tetzlaff
Жанр Медицина
Серия
Издательство Медицина
Год выпуска 0
isbn 9783872477774



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ist hier der einzig wirksame Atemstimulus. Hyperventiliert der Taucher nun vor dem Abtauchen, kann er länger am Grund verweilen, bis ihn ein erhöhter pCO2-Wert (gepunktete Kurve) im Blut zum Auftauchen zwingt. Während des Auftauchens lässt dann die schnelle Dekompression der Lunge den alveolären und damit auch den arteriellen pO2 auf hypoxische Werte abfallen

      Kompaktinformatio

      Hyperventilation. Die Atmung ist ein komplexer Vorgang, der sich nach den tatsächlichen Bedürfnissen des Körpers richtet. Ist es durch vermehrte Muskelarbeit zu einem vermehrten Anfall von CO2 und sauren Stoffwechselprodukten (z. B. Milchsäure) gekommen, so ist die Atmung unwillkürlich vertieft und beschleunigt. Der Grund ist also ein zuviel an CO2, das Ziel eine Normalisierung der Werte im Blut. Viele Taucher atmen jedoch, ohne dass ein gesteigerter Atemreiz besteht, vor dem Abtauchen mehrmals tief ein und aus. Sie tun dies in der irrigen Annahme, dass es auf diese Weise gelänge, mehr Sauerstoff im Blut zu speichern. Ein gewollter Effekt der Hyperventilation ist tatsächlich die Verlängerung der Zeit, in der willentlich die Luft angehalten werden kann, also der Apnoezeit. Dies erklärt sich aus der Absenkung des CO2-Gehalts des Blutes (Hypokapnie) und der dadurch verlängerten Zeit, bis genügend CO2 gebildet wurde, um den Atemreiz zu geben. Durch die gleichzeitige Verschiebung des pH-Werts des Blutes und die Abnahme von Kalziumionen im Blutplasma kommt es jedoch zu Missempfindungen, wie Kribbelgefühle um den Mund und an den Händen sowie in schweren Fällen zu einer Verkrampfung aller Muskeln (Tetanie): Es resultiert das typische Bild der „Pfötchenstellung“. Durch die gleichzeitig verminderte Durchblutung des Gehirns, Gefäßengstellung und erschwerte Sauerstoffabgabe des Hämoglobins (Linksverschiebung der Sauerstoffbindungskurve) kann im Hirn ein Sauerstoffmangel (Hypoxie) auch an Land schon zur Bewusstlosigkeit führen. Dazu gesellt sich noch der verlängerte Sauerstoffverbrauch durch den verspäteten Atemreiz, was unter Wasser durch die Bewusstlosigkeit zum Ertrinken führen kann.

      9.5.2 Schwimmbad-Blackout

      Kommt es beim Streckentauchen oder bei Zeittauchversuchen zu einer Bewusstlosigkeit des Tauchers, ist das Vorliegen des so genannten Schwimmbad-Blackouts sehr wahrscheinlich (Abb 9.8). Trotz der Bezeichnung ist die Lokalität des Ereignisses ohne Belang, sie dient nur der Unterscheidung des bei Tieftauchversuchen zugrunde liegenden Mechanismus.

      Bei Weittauchversuchen wird unter Wasser mittels Muskelkraft eine bestimmte Strecke zurückgelegt. Dabei wird durch die Muskeltätigkeit vermehrt Sauerstoff verbraucht und CO2 vermehrt produziert. So kommt es im Normalfall zu einem Atemreiz, bevor die kritische Sauerstoffschwelle, bei der es zur Hypoxie kommt, unterschritten wird. Wurde jedoch vor dem Tauchversuch hyperventiliert und dadurch, wie beschrieben, der CO2-Wert gesenkt, dauert es entsprechend länger, bis ein Atemreiz erfolgt. Daher kann es zu einem Sauerstoffmangel kommen, der den Taucher das Bewusstsein relativ plötzlich verlieren lässt.

      Abb. 9.8: Mechanismen des Schwimmbad-Blackouts: Bei Weittauchversuchen wird durch die Muskeltätigkeit vermehrt Sauerstoff verbraucht (grüne Kurven), CO2 (rote Kurven) vermehrt produziert. So kommt es im Normalfall vor Erreichen einer kritischen Sauerstoffschwelle zum Atemreiz. Bei Hyperventilation und dadurch (gepunktete rote Kurve) Senkung des CO2-Werts dauert es entsprechend länger, bis ein Atemreiz erfolgt. Daher kann es zu einem Sauerstoffmangel kommen, der relativ plötzlich zum Bewusstseinsverlust (Blackout) führen kann

      Die CO2-Produktion des Körpers geht jedoch aufgrund von Stoffwechselvorgängen weiter, so dass zu einem gegebenen Zeitpunkt wieder genug CO2 im Blut ist, um das Atemzentrum zu stimulieren. Daraus resultiert ein Einatemreflex, der unter Wasser zum Einatmen von Wasser und somit zum Ertrinken führt. So kommt es bei nicht rechtzeitigem Erkennen durch Trainingspartner oder Übungsleiter fast zwangsläufig zur Aspiration von Wasser in die Lunge.

      9.5.3 Stickstoff beim Apnoetauchen

      Während die Gefahr der Flachwasserohnmacht vielen ambitionierten Schnorchlern bereits bekannt ist, drohen echte Gefahren auch von einem Gas, das beim Apnoetauchen lange als völlig unkritisch (weil nicht relevant) angesehen wurde (und von vielen Apnoeisten leider immer noch als solches angesehen wird) – dem Stickstoff.

      Tiefenrausch

      Ebenso wie der Sauerstoffpartialdruck steigt der pN2 während des Abtauchens an, und entsprechend kommt es zu einer Aufnahme von Stickstoff ins Gewebe. Angesichts der von Apnoetauchern in Training und Wettkampf erreichten Tiefen weit jenseits der 50 m wäre übrigens das Auftreten eines Tiefenrauschs trotz der geringen Zeit, die bei einem Apnoetauchgang in der Tiefe verbracht wird, denkbar.

      Genaue Untersuchungen zu dieser Frage liegen bislang nicht vor; die von vielen Apnoetauchern geschilderten subjektiven Eindrücke speziell bei Tieftauchversuchen können jedoch durchaus als Symptome eines Tiefenrauschs interpretiert werden.

      Dekompressionsunfall

      In Gegensatz zu dieser bisher nicht endgültig beantworteten Frage muss die Möglichkeit des Auftretens einer Dekompressionskrankheit zumindest nach mehreren wiederholten (und vor allem tiefen) Apnoetauchgängen eindeutig bejaht werden. Nach einem einzelnen Apnoetauchgang ist die zusätzlich im Gewebe aufgenommene Stickstoffmenge so gering, dass entsprechende Symptome unter normalen Umständen nicht auftreten können. Da die Stickstoffelimination aber prinzipiell langsamer abläuft als die Aufnahme, kommt es zu einer Anreicherung von Stickstoff im Gewebe, wenn der Apnoetaucher in kurzen Abständen wiederholt abtaucht, insbesondere bei Tiefen von mehr als 15–20 m. Der Grad der Gewebesättigung mit Stickstoff wird neben der Tiefe vom Verhältnis zwischen der Apnoezeit unter Wasser und der Länge der Erholungsperiode an der Oberfläche bestimmt. In der Tat konnten Messungen bei berufsmäßigen Apnoetauchern zeigen, dass tiefenabhängig venöse pN2-Werte erreicht werden können, die potenziell mit einer Blasenbildung im Blut verbunden sind. Eine Dekompressionskrankheit ist also nach wiederholten Apnoetauchgängen möglich und inzwischen auch mehrfach in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben.

      Engagierten Apnoetauchern wird daher empfohlen, zwischen Tieftauchversuchen eine längere Oberflächenpause einzuhalten und nach Möglichkeit an der Oberfläche für 5–10 min Sauerstoff zu atmen, da diese Maßnahme die Gefahr einer Dekompressionssymptomatik minimieren kann.

      Die bisherigen Erläuterungen sind zumindest den tauchmedizinischen Experten und wohl auch vielen Aktiven wohl bekannt. Im Sommer 2005 hat der Apnoetaucher Patrick Musimu mit seinem Fabelrekord von 209 m Tiefe und mit seinen gesundheitlichen Problemen danach aber sehr wahrscheinlich nicht nur die absolut natürliche Grenze für das Tieftauchen in Apnoe erreicht, sondern auch einen Mechanismus erlebt, der eigentlich als unmöglich gilt und unter normalen Umständen gar nicht auftreten kann: eine ursprünglich arterielle Dekompressionskrankheit.

      Dies ist eigentlich ein Paradoxon, denn dekompressionsbedingte Gasblasen können eigentlich nicht auf der arteriellen Seite entstehen, sondern allenfalls venös entstanden über die Lungengefäße oder ein offenes Foramen ovale vom rechten Herzvorhof in den linken Vorhof und so auf die arterielle Seite gelangen. Der Grund dafür ist, dass sich unter den bisher bekannten Bedingungen mengenmäßig nur wenig Stickstoff auf der arteriellen Seite befindet und die Blasenbildung durch gewaltige Gegenkräfte maximal behindert wird. Doch in den Tiefenbereichen, in die Patrick Musimu nun vorgedrungen ist, stellen sich die Regeln möglicherweise auf den Kopf – und zwar so gründlich, dass selbst gestandene Taucherärzte einen solchen Mechanismus schwer erklären können.

      Und doch: In dieser Tiefe kommt es zu einer gewaltigen Aufsättigung vor allem des arteriellen Blutes, was durch die immense Blutfülle in den Lungengefäßen durch den Blood-shift und den extrem langsamen Herzschlag, der zu einer vergleichsweise langen Verweildauer des Blutes in den Lungengefäßen führt, noch gesteigert wird. An diese Vorgänge schließt sich dann eine geradezu explosive Dekompression an, denn das Auftauchen findet mit einer Geschwindigkeit zwischen 100 und 200 m pro min (=12 km/h) statt, so dass es möglicherweise unter diesen Bedingungen dann doch auf der arteriellen Seite zur Blasenbildung und zur neurologischen DCS kommen kann.

      Die absolute Grenze für das Tieftauchen in Apnoe scheint somit nicht mehr sehr fern zu sein, und die Gefahren