Alzheimer - vorbeugen und behandeln. Mary T. Newport

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Название Alzheimer - vorbeugen und behandeln
Автор произведения Mary T. Newport
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783954840564



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neueren Studie wird behauptet, dass manche Menschen, die demenzkrank werden, ihr Leben lang Schwierigkeiten mit dem Gedächtnis haben (Flory, 2000). Eine andere Studie ergab, dass Menschen mit einem Alzheimerrisiko aufgrund familiärer Belastung bereits mit 20 Jahren Abweichungen in der PET (Positronen-Emissions-Tomografie) zeigen können (Reiman, 2004).

      Als wir mitten im Umzug nach Charleston waren, bewarb Steve sich um eine Stelle als Manager der städtischen Freizeitanlage. Doch jemand anders wurde ihm vorgezogen. Die Arbeit als Immobilienmakler, die er dann annahm, war nichts für ihn. „Ich hatte den falschen Job“, sagte er. So bekam er das Gefühl, dass er nirgendwo so recht hinpasste und keine Stelle richtig ausfüllen konnte.

      Ein paar Jahre später hatte er bereits Schwierigkeiten, unsere Töchter zu verschiedenen Terminen zu bringen, während ich arbeitete, und ich rief oft an, um ihn daran zu erinnern. Doch es konnte sein, dass er es eine halbe Stunde später schon wieder vergessen hatte. Einige Jahre behalf er sich erfolgreich mit Notizzetteln, die er an seine Bürotür klebte.

      In den Jahren 2001 und 2002 kamen häufige Fehler bei der Gehaltsabrechnung hinzu; auch versuchte er alles mögliche, um sich um die Fertigstellung der Steuerunterlagen zu drücken. Seine übrigen Aufgaben wie das Erledigen von Post und Bankangelegenheiten bereiteten ihm ebenfalls zusehends Probleme. Hinzu kam eine ernsthafte Depression, ein weiteres Zeichen dafür, dass etwas nicht in Ordnung war. Steve verlor das Vertrauen zu sich selbst. Ein Psychiater, den wir aufsuchten, sprach von der Möglichkeit einer Demenz, doch die Depression könne ihre Ursache auch in den Gedächtnisproblemen haben, meinte er und verschrieb Antidepressiva.

       Anzeichen und Symptome

      Im Jahre 2003 zogen wir weiter in den Norden von Florida um, nach Spring Hill, wo ich als einzige Neonatologin auf der Neugeborenen-Intensivstation der örtlichen Klinik arbeitete. Für unsere Töchter änderte sich praktisch nichts, sie setzten ihre Schullaufbahn fort. Doch innerhalb weniger Monate wurde klar, dass Steve an weit mehr als nur einer Depression litt.

      Ich wandte mich an die lokale Organisation für Alzheimerkranke und ihre Familien und Steve absolvierte verschiedene Tests, die alle noch normal waren, bis auf den Mini-Mental-Status-Test, einen Gedächtnistest, bei dem er nur 23 von normalerweise 29 oder 30 Punkten erreichte. Zwar stand die Diagnose Alzheimer damals schon im Raum, doch wollte der Arzt Steves Zustand noch nicht mit diesem Etikett versehen; er zögerte auch mit der Demenzmedikation, da Steve sie dann lebenslang hätte einnehmen müssen. (Denn eine Unterbrechung würde zu einer Verschlechterung führen, die auch durch das Wiederansetzen des Medikaments eventuell nicht behoben würde.)

      Steve wurde alle 6 Monate erneut getestet und 2005 fiel sein Ergebnis auf 21 Punkte ab. Nun bekam er das Medikament Aricept, einen Cholinesterase-Hemmer. Cholinesterase-Hemmer verlangsamen den metabolischen Abbau von Acetylcholin, einem wichtigen Neurotransmitter, der an der Kommunikation der Nervenzellen beteiligt ist. Im Jahre 2006 kam das Medikament Namenda zu seiner immer länger werdenden Liste von Arzneimitteln hinzu. Namenda scheint die Hirnnervenzellen vor übermäßigen Mengen Glutaminsäure zu schützen, einem Botenstoff, der reichlich aus alzheimergeschädigten Zellen freigesetzt wird.

      Nachfolgend zähle ich einige der Anzeichen und Symptome auf, die bei Steve im Laufe mehrerer Jahre dazu führten, dass die Diagnose Alzheimer in Betracht gezogen wurde.

       Horten

      In Steves Garage herrschte eine unglaubliche Unordnung. Sich dort zu bewegen glich dem Bewältigen eines Hindernisparcours. Eine logische Ordnung zu schaffen erwies sich als undurchführbar – nach wenigen Tagen war alles wieder beim Alten. Er verlegte immer öfter Dinge, suchte stundenlang danach, und wenn er sie fand, waren sie nicht mehr voll funktionstüchtig. Er konnte sich aber von nichts trennen, weil er glaubte, er werde es noch einmal brauchen.

      Wenn er sich dann einmal dazu entschloss, seinen Anhänger zu beladen, damit wir einige Sachen zum Sperrmüll bringen konnten, suchte er stundenlang nach dem Haken, um ihn an das Auto zu hängen.

      Manchmal kaufte er Dinge, die er nicht finden konnte, noch einmal; ein andermal kümmerte er sich einfach nicht mehr darum. Es kam vor, dass er nach „etwas“ zu suchen begann, wenn ich zur Arbeit ging, und dass er es noch nicht gefunden hatte, wenn ich wieder nach Hause kam; dann konnte er sich oft nicht einmal mehr daran erinnern, wonach er eigentlich suchte.

      Dann verlegte oder verlor er auch seine Schlüssel und seine Brieftasche häufig; oft blieben sie tage- oder wochenlang verschwunden und wir wussten nicht, ob er sie einfach verloren hatte oder ob sie gestohlen worden waren. Schließlich musste er seine Kreditkarte zurückgeben.

       Kajakfahren

      Nach dem letzten Umzug kaufte sich Steve ein zweites, längeres, schnittigeres Kajak aus einem Katalog, doch anstatt damit aufs Wasser zu gehen, verbrachte er immer mehr Zeit damit, über das Kajakfahren zu sprechen und Zeitschriften darüber zu lesen.

       Autofahren

      Bevor die Alzheimerkrankheit ausbrach, konnte Steve instinktiv nahezu überall hinfahren, „immer der Nase nach“, wie wir oft sagten. Doch in Spring Hill kam er mit der Nord-Süd- und Ost-West-Ausrichtung der Straßen nicht mehr zurecht. Den Weg zu seinen Lieblingsorten und ein paar anderen Stellen konnte er schließlich behalten, doch sobald er das bekannte Territorium verließ, geriet er in Panik.

      Wir stellten fest, dass er sich auch nicht mehr auf der Straßenkarte orientieren konnte, als er etwa 30 Minuten lang zu einem Zahnspezialisten fahren musste. Die Praxismitarbeiterinnen mussten ihn telefonisch lotsen, nachdem er ziellos in der Gegend umhergefahren war, und er kam 45 Minuten zu spät. Da ich an diesem Tag in der Klinik war, dirigierte ich ihn über das Telefon nach Hause, als er die Praxis verließ.

      Wenn wir gemeinsam unterwegs waren, saß er meist noch selbst am Steuer, vergaß aber oft, wohin wir fahren mussten, und fragte mich. Ich nannte ihn inzwischen „Mr. Gegenteil“, denn er bog links ab, wenn ich sagte, er solle rechts abbiegen. Dieses Phänomen zeigte sich auch in anderen Situationen, in denen er das Gegenteil dessen tat, was er tun wollte. Es sah so aus, als wollte er lieber darauf setzen, dass er es zufällig (mit Raten) richtig machte – die Chancen standen ja 50 zu 50 –, als sich der Peinlichkeit des erneuten Nachfragens auszusetzen.

      Weitaus dramatischer war, dass er, als er einmal hinter Joanna her nach Hause fahren sollte, mitten in der Nacht plötzlich ganz woanders ankam, weil er mit den Ausfahrten nicht klargekommen war. Ich beschwor ihn über das Mobiltelefon, in dem Hotel zu übernachten, das er entdeckt hatte. Am nächsten Morgen lotse ich ihn dann telefonisch nach Hause, wo er eintraf, kurz bevor ich zur Klinik musste. Das war der Tag, an dem er mir den Autoschlüssel in die Hand drückte und wir gemeinsam beschlossen, dass er nicht mehr Auto fahren sollte. Er kommentierte das so: „Wieder ein schlechter Fahrer mehr von der Straße weg!“

      Eine solche Entscheidung beeinflusst nicht nur das Opfer der Krankheit, sondern auch die anderen Familienmitglieder, die nun zusätzliche Fahrdienste übernehmen müssen. Ich kann daher gut verstehen, dass es vielen Familien schwerfällt, den Betroffenen dazu zu bewegen, den Schlüssel abzugeben. Hinzu kommt noch, dass mancher Kranke sich seiner Krankheit gar nicht bewusst ist und nicht versteht, warum er plötzlich nicht mehr Auto fahren darf.

       Lesen

      Steve war immer ein passionierter Leser gewesen, der viel Zeit mit den Romanen seiner Lieblingsautoren Stephen King und Clive Cussler und mit der täglichen Lektüre der Zeitung verbracht hatte. Er ließ nie einen Comic aus, der dann am Frühstückstisch für Gesprächsstoff sorgte. Als er Schwierigkeiten mit dem Datum und den Wochentagen bekam, diente ihm die Zeitung eine Zeit lang als Orientierung, doch schließlich half auch das nicht mehr und sie interessierte ihn auch nicht mehr. Bücher, die ich ihm noch bis vor ein paar Jahren zu Weihnachten und zum Geburtstag schenkte, stapelten sich ungelesen. Er las nicht einmal mehr die Comics und sagte, sie seien einfach nicht mehr lustig.

      Lange dachte ich, dass er Probleme mit dem Textverständnis habe, doch dann fand ich heraus, dass es einen physischen