Glauben an einen Gott, den es nicht gibt. Klaas Hendrikse

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Название Glauben an einen Gott, den es nicht gibt
Автор произведения Klaas Hendrikse
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783290177195



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Dorf, in dem man damals vor dem Pfarrer noch den Hut oder die Mütze abnahm. Groot-Ammers liegt im Alblasserwaard, einer Gegend, in der bis auf den heutigen Tag das Wort Gottes noch unverfälscht verkündigt wird.

      Letzteres allerdings habe ich in meiner Jugend nie vernommen, denn meine Erziehung war streng atheistisch. Erst als ich dreiundzwanzig war, nahm ich zum ersten Mal an einem Gottesdienst teil, und der war nicht besonders ermunternd. So wenig wie ein Besuch im Pfarrhaus, den ich als ungefähr Achtjähriger auf Verlangen meines Vaters machen musste, um mich wegen unanständigen Benehmens gegenüber dem Pfarrer zu entschuldigen. Ich kann die Szene nicht mehr genau rekonstruieren, aber ich vermute, dass die traumatischen zehn Minuten, die ich dort verbrachte, in nicht geringem Mass zu dem eigenartigen Unbehagen beigetragen haben, das mich seither beim Wort «Kirche» befällt. Ich bin unterdessen seit mehr als zwanzig Jahren Pfarrer, aber noch immer geschieht es bisweilen, dass ich morgens aufwache, mit einem Bein aus dem Bett steige, feststelle, dass ich Pfarrer bin, und vor Verwunderung wieder in die Kissen sinke: Ich? Ein Pfarrer? Ein Leben kann merkwürdig verlaufen, oder, wenn man so will (aber so würde ich’s nicht sagen): Die Wege des Herrn sind unerforschlich.

      Als Kind wurde mir erklärt, dass es Gott nicht gibt und dass Glaube und Zur-Kirche-Gehen etwas für andere ist. Bei Eltern von Klassenkameraden und auch in meiner eigenen Verwandtschaft konnte ich spüren, was bei den anderen anders war: Sie taten so, als ob es Gott doch gäbe. Später, wenn ich jeweils die Rechnungen unserer Tierarztpraxis austrug, begegnete mir dieses Anders-Sein bei den Bauern und Bäuerinnen. Ich sah, wie sie lebten, in Verhältnissen, die wir heute als «unter dem Durchschnitt» bezeichnen würden, wie sie mit Einschränkungen umgingen, mit Erfolg und Misserfolg, miteinander. Sie schienen mir über etwas zu verfügen, was man in meinen Kreisen nicht kannte: eine Fähigkeit, das Leben so anzunehmen, wie es war, nicht als etwas Selbstverständliches, sondern als etwas von irgendwoher «Gegebenes», und es sah so aus, als wären ihnen damit auch Halt und Ermutigung mitgegeben, um hinzunehmen, was für sie bestimmt oder «verfügt» war.

      Besser konnte ich das damals und kann ich es noch heute nicht ausdrücken. Aber es hat mich berührt und meine Neugier geweckt. Wenn es stimmte, dass diese Leute, wie man mich gelehrt hatte, an einen Gott glaubten, den es gar nicht gab, warum taten sie dann so, als ob es Gott doch gäbe? Mir war damals schon klar, dass man diese Frage nicht mit der einfachen Antwort abtun konnte: Sie lassen sich eben etwas weismachen, was samt und sonders Unsinn ist.

      Ich absolvierte den Militärdienst, studierte, trat ins Berufsleben. Ich hatte weder Lust noch Zeit noch das Bedürfnis, mich mit geistlichen Dingen zu befassen, und schon gar nicht mit Gott. Erst nachdem ich geheiratet hatte und einigermassen «etabliert» war, kam jene Frage zurück: Was ist denn so anders bei den anderen? Und wenn es diesen Gott, an den sie glauben, gar nicht gibt, was kann dieser Gott dann doch bewirken?

      Um es kurz zu machen: Ich studierte Theologie. Ich habe viel dabei gelernt, vor allem über das, was ich jetzt «Nicht-Gott» nenne. Besonders das Fach Dogmatik hat wesentlich dazu beigetragen, mich in meinem Atheismus zu bestärken. Unter solchen Umständen schien freilich alles andere als ein Pfarramt in Aussicht zu stehen.

      In den letzten Studienjahren besuchte ich dann einige Veranstaltungen über «Psychosynthese und Religion» bei Dolf Coppes.1 Da ging mir ein Licht auf, das seither nie mehr erloschen ist: Es ist doch möglich, man kann ein gläubiger Mensch, sogar ein Christ sein, ohne glauben zu müssen, dass es Gott gibt.

      Ich begeisterte mich für das Pfarramt, bezweifelte aber, dass sich Gemeinden fänden, denen meine Überzeugung nicht zu weit ging. Es stellte sich heraus, dass es solche gab, in Zeeland noch immer gibt. Der Ehrlichkeit halber muss ich sagen, dass ich jeweils im Vorstellungsgespräch die Frage, ob es Gott gibt, von meiner Seite her nicht aufgeworfen habe, und von der anderen Seite wurde sie auch nicht gestellt, vermutlich, weil man die Antwort als bekannt voraussetzte. Ich beliess es dabei, und so wurde ich Pfarrer, zuerst in Zierikzee, dann in Middelburg.

      Dort liess ich dann an einem Gemeindeabend einen ersten Versuchsballon steigen mit der Behauptung, der Glaube der meisten Menschen beruhe auf der Überzeugung, dass es einen Gott gibt; mein Glaube beruhe auf der Überzeugung, dass es diesen Gott nicht gibt. Das war zwar ein Anfängerfehler, der mich beinahe meine Stelle gekostet hat (der Pfarrer glaubt nicht an Gott!), dafür aber eine korrekt formulierte atheistische Behauptung: Ich behauptete, nicht zu glauben an einen Gott, von dem andere behaupten, dass es ihn gebe. Das ist genau das, was Atheisten tun oder tun müssten.

      Ich stehe noch immer zu dieser Aussage, doch um Missverständnissen zuvorzukommen, formuliere ich sie heute anders. Ich sage: Der Ausdruck «es gibt» passt nicht zu dem, was ich Gott nenne. Damit drücke ich aus, dass (mein) Gott nicht unterzubringen ist in der Kategorie jener Dinge, von denen gesagt werden kann, dass es sie gibt. Darauf wird meistens etwas weniger schockiert reagiert, aber es kommt auf dasselbe heraus: Gott gibt es nicht. Die Erfahrung aber hat mich inzwischen gelehrt, hinterher sofort zu sagen, dass ich dennoch an Gott glaube, und das kann nicht oft genug wiederholt werden, hiermit einmal mehr!

      Auf den ersten Blick ist das eine unmögliche Kombination, denn ein Atheist glaubt nicht, dass es Gott gibt, ein Pfarrer dagegen schon. Bei näherer Betrachtung ist die Sache aber etwas komplizierter: Es gibt Atheisten und Atheisten, und es gibt Pfarrer und Pfarrer.

      Eine erste Beobachtung: Was ist ein Atheist? Ein Atheist glaubt nicht, dass es Gott gibt. Er glaubt also etwas nicht, nämlich dass es Gott gibt. Oder er glaubt etwas sehr wohl, nämlich dass es Gott nicht gibt. Für mich ist das gehupft wie gesprungen; weil aber viele Atheisten schon Juckreiz kriegen beim blossen Gedanken, dass sie eigentlich doch etwas glauben, lasse ich das.

      Und was ist ein Pfarrer? Ist das einer, der glaubt, dass es Gott gibt? Das möchte man von einem Theologen wohl erwarten, und es mag ja Pfarrer geben, die das von sich sagen; ich vermute aber, dass die meisten auf die Frage: Glaubst du, dass es Gott gibt?, nicht ohne weiteres ja sagen würden.2 Und sie haben recht, denn ein Ja würde bedeuten, dass sie an etwas glauben, was es gibt. Von Gott aber kann man vieles sagen, jedoch nicht, dass es ihn gibt. Jeder Pfarrer, der damit einverstanden ist, ist also eigentlich Atheist; der Erste aber, der sich auch als solchen bezeichnen würde, muss mir noch begegnen.

      Dass es Gott nicht gibt, ist für einen Pfarrer eine gefährliche Aussage. Darum schreibe ich dieses Buch jetzt und nicht erst – wie ich ursprünglich dachte – nach meiner Pensionierung.3 Ich will hinterher nicht sagen hören, ich hätte gut reden, da man mich ja nicht mehr aus dem Kirchendienst ausschliessen könne.

      Natürlich hoffe ich, dass sich viele Pfarrer und Gläubige nach der Lektüre dieses Buches zum Atheismus bekehren, und andersherum (obwohl ich mir in dieser Richtung weniger Illusionen mache), dass viele Atheisten anfangen, an Gott zu glauben, und dass wenigstens einige von ihnen Pfarrer werden. Der Schritt erscheint wechselseitig grösser als er in Wirklichkeit ist, denn Pfarrern und Atheisten ist eines gemeinsam: Sie wissen nicht, wer oder was Gott ist, und haben, wenn sie das zugeben, keine Existenzberechtigung mehr.

      Dieses Buch wurde mit einem gewissen Schmunzeln geschrieben. Als einer, der mit Leib und Seele Pfarrer und Atheist ist, habe ich mich frei gefühlt, sowohl den Pfarrer als auch den Atheisten aufs Korn zu nehmen, und dies – ehrlich gesagt – mit Vergnügen. Ich hoffe, der Leser, die Leserin habe ebenso viel Spass daran und lerne vielleicht auch etwas dabei.

      Ein spannendes Buch wird es nicht werden, denn das Ergebnis steht ja bereits fest: Ein Pfarrer kann Atheist sein und umgekehrt. Und wenn ich der Einzige wäre: Ich bin so einer – vielleicht eher ein atheistischer Prediger als ein predigender Atheist – aber immerhin!

      Der Leser, den ich beim Schreiben stets vor Augen hatte, ist sich nicht so sicher. Er zweifelt oder glaubt überhaupt nicht (mehr) daran, dass es Gott gibt, und fragt sich, welchen Sinn es hat zu glauben, wenn es Gott nicht gibt. (Mancherlei Sinn, sage ich mal vorläufig.)

      Innerhalb der Kirche sehe ich ihn als einen, der Woche für Woche erfährt, wie gross der Unterschied ist zwischen seinem eigenen Glaubensempfinden