Название | Ferienhaus für eine Leiche |
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Автор произведения | Franziska Steinhauer |
Жанр | Языкознание |
Серия | Mord und Nachschlag |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941895676 |
Er seufzte melancholisch.
Ein Blick in den Kühlschrank – sauber ausgewischt.
Dann stieg er, eine Radiomelodie mitsummend, die enge finstere Wendeltreppe in den Keller hinunter und stellte Strom und Wasser ab.
Bei seiner Rückkehr war die Musik verstummt und Gunnar wieder ganz allein in seinem für den Winterschlaf vorbereiteten Sommerhaus. Schon seltsam, wie unheimlich Ruhe und Stille sein können, überlegte er, schalt sich albern und etwas senil und beschloss im selben Augenblick, in Zukunft sein batteriebetriebenes Radio von zu Hause mitzubringen, wenn er hier putzte.
Schon im Gehen begriffen, fiel ihm plötzlich siedend heiß der Dachboden ein!
Die meisten Familien hatten Kinder mitgebracht. Man konnte ja nie wissen, wo die überall nach Abenteuern gestöbert hatten. Gunnar erinnerte sich noch gut daran, dass eines der Kinder vor ein paar Jahren heimlich eine Katze als Haustier auf dem Dachboden versteckt und bei der Abreise vergessen hatte. Die Eltern riefen von einer Autobahnraststätte aus an und informierten ihn darüber, nachdem das kleine Mädchen ihnen unter Tränen alles gebeichtet hatte. Natürlich war er sofort losgefahren und hatte das inzwischen völlig verstörte, schreiende und fauchende Tier befreit.
Seither kontrollierte er noch gründlicher!
Der Stab mit Haken, mit dem er normalerweise die in die Decke eingelassene Klappe öffnete, war unauffindbar. Den würde er also auch noch suchen müssen! Zum Glück waren die Decken in den Sommerhäuschen niedrig und wenn man sich streckte, konnte man die Öse auch so erreichen. Also reckte er sich so hoch er konnte, schob schnaufend seinen kurzen, dicken Zeigefinger in die Öse und zog sie leicht zurück. Befriedigt hörte er das laute Schnappen des Mechanismus. Mit beiden Händen stützte er die Klappe, die ihm beim letzten Mal noch viel leichter vorgekommen war.
Als sie herunter schwang nahm Gunnar den Mief wieder stärker wahr.
Vielleicht müsste man doch die alten Matratzen entsorgen. Er würde das im Frühjahr in Angriff nehmen, nahm er sich fest vor, wenn er das Haus wieder für die Saison herrichtete.
Mit lautem Rumpeln glitten die Schienen übereinander und der Vermieter setzte die Stiege beinahe zärtlich im Flur auf. Dann kletterte er langsam hinauf, um sich hier oben umzusehen und bei der Gelegenheit die Matratzen zu zählen, die seit Jahren auf dem Dachboden lagerten.
»Was hier noch alles rumsteht. Wir werden den großen Anhänger zum Abtransport nehmen müssen«, murmelte er und ging gebückt zwischen den ausrangierten Möbelstücken umher. Staub wirbelte bei jedem Schritt um seine Füße und überzog seine Schuhe und die Hose mit einem flockigen, grauen Film. Flirrende Wolken tanzten im Sonnenlicht, das spärlich durch die beiden gegenüberliegenden Giebelfensterchen fiel, die das ganze Jahr über leicht geöffnet blieben, um das Dach gut zu lüften und der Entstehung von Feuchtigkeit vorzubeugen.
Der Schimmel würde sich sonst in den alten Matratzen und Decken ausbreiten.
Immer wieder wehten kleinere Windböen durch den niedrigen Raum und ließen neue Wollmäuse durch den Dachboden huschen. Spinnen hatten sich an den Dachsparren niedergelassen und weit gespannte Netze gebaut, die im Licht funkelten.
Kunstwerke besonderer Art, filigran und vergänglich.
In der Ecke, neben einem der Giebelfensterchen, stand ein alter Lehnstuhl, dessen Bezug verschlissen und von Mäusen angenagt worden war. Früher war es der Sessel seines Großvaters gewesen, entsann sich Gunnar, und niemand sonst durfte ihn benutzen. Gunnar konnte sich nicht daran erinnern, dass etwa ein Kind oder Enkel es gewagt hätte, sich heimlich in diesen Sessel zu setzen. Nach Opas Tod ließ seine Großmutter den Stuhl auf den Dachboden bringen, damit niemand ihn je wieder ›besitzen‹ konnte.
Als Gunnars Augen sich an das diffuse Licht gewöhnt hatten, trat er geduckt zu der Holztruhe, in der schon seine Urgroßmutter ihre Aussteuer aufbewahrt hatte.
Auch hier roch es deutlich nach Verfall und Verrottung.
»Vielleicht hat es im Winter reingeregnet. Da kommt es schon mal vor, dass die Feuchtigkeit sich irgendwo in dem Ding festsetzt und die Decken schimmeln«, sagte er zu sich selbst, während er das Dach nachdenklich betrachtete und nach einem Loch fahndete. »Dann sollte ich das Zeug besser gleich mitnehmen, bevor sich der Schimmel ausbreiten kann«, überlegte er laut.
Aber das Dach über ihm ließ kein Licht durchscheinen.
Gunnar drehte sich wieder um und fuhr mit der flachen Hand kosend über die Intarsienarbeit im Deckel der Truhe. Aus vielen unterschiedlichen Holztönen gelegt, zeigte sie das Bild eines Pärchens auf einer Bank. Auch nach vielen Jahren auf dem Dachboden waren keine Sprünge oder rauen Fugen zu spüren.
»Das ist noch echte Handwerksqualität!«, grummelte er anerkennend. »So was findet man heut’ ja gar nicht mehr. Aber die Leute kaufen ja nur noch Möbel von der Stange. Oder bei Ikea.«
Er bückte sich, um den Bügel am Schloss anzuheben und die Truhe zu öffnen.
»Puh! Wie das stinkt!«, stellte er fest und begann besorgt zwischen den Decken zu wühlen, um herauszufinden, woher der Gestank kam.
Als er die Quelle schließlich gefunden hatte, sträubten sich seine Nackenhaare und sein gesamter Körper verkrampfte sich.
Für einen Moment war er wie erstarrt und konnte seine Augen von dem grauenhaften Anblick nicht lösen. Seine Hand umkrallte die Wolldecke mit dem blau-weißen Streifenmuster, die er zuletzt angehoben hatte. Die Knie zitterten, die Augen traten ihm aus den Höhlen. Zusammen mit einem Schrei stieg eine Woge von Übelkeit in ihm hoch.
Fassungslos starrte er auf eine unbekleidete, von Verwesung entstellte Frauenleiche!
Er wollte nicht länger hinsehen, konnte den Blick dennoch nicht losreißen und wusste mit Sicherheit, dass das Bild des teilweise mumifizierten und aufgelösten Frauenkörpers, der nachlässig zwischen den Decken verborgen worden war, ihn bis an sein Lebensende verfolgen würde. Die Haare, lang und grau, waren zu einem dünnen Zopf geflochten und die knochigen Hände lagen mit nach oben zeigenden Handflächen neben den Oberschenkeln.
Panik erfasste ihn.
Für einen irrwitzigen Moment glaubte er, die Frau habe ihre klauenartigen Hände bewegt und raubvogelgleich versucht, ihn zu packen!
Das Herz schlug ihm bis zum Hals und endlich gelang es ihm, den Deckel wieder zuzuwerfen und sich umzudrehen. Dann schrie er laut und seltsam heiser auf, rannte zur Dachbodenklappe. Als er endlich keuchend vor dem Haus stand, konnte er sich nicht mehr daran erinnern, wie es ihm gelungen war, die steile Stiege hinunter zu klettern und den Ausgang zu finden.
Er erbrach sich.
In heftigen Wellen rollte die Übelkeit heran und überspülte ihn, ohne dass er sich dagegen wehren konnte. Der Schweiß brach ihm aus. Hilflos stützte er sich mit beiden Händen an der Hauswand ab, während er sich immer heftiger übergeben musste.
Nach einer kleinen Ewigkeit spürte er, wie die Übelkeit langsam nachließ, und er wankte zu seinem Auto.
Jetzt lassen sie sogar ihre Leichen in meinem Ferienhaus zurück!
Unglaublich, einfach nicht zu fassen!, ging es ihm durch den Kopf.
Der Motor lief schon, als ihm sein Handy einfiel. Handy! Alle möglichen Leute hatten eins und telefonierten nun ständig beim Einkaufen, beim Spazierengehen, beim Sex. Unerträglich. Sein Sohn hatte ihm zum Geburtstag solch ein Wunderding geschenkt, damit er auch auf der einsamsten Straße Schwedens bei einem Notfall, einem Unfall oder einer Panne Hilfe holen konnte. Und da die Wege, also auch die Rettungswege, weit waren, hielt er es für sehr vernünftig, seinen Vater mit einem persönlichen ›Notrufmelder‹ auszustatten. Gunnar hatte diese Segnung des Kommunikationszeitalters bisher selten benutzt.
Doch nun fühlte er sich einsamer, als er je bei einer Panne auf den unendlichen schwedischen Straßen durch menschenlose Waldgebiete hätte sein können und fand, das sei genau der richtige Moment, das Ding zu testen.
Er griff ins Handschuhfach