Hausgemeinschaft mit dem Tod. Franziska Steinhauer

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Название Hausgemeinschaft mit dem Tod
Автор произведения Franziska Steinhauer
Жанр Языкознание
Серия Mord und Nachschlag
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783941895690



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ließ sich in eine abgewetzte Couch fallen.

      »Er war heute anders als sonst. Das habe ich sofort gehört, als er anrief. Ich habe Simone geraten, ihm abzusagen, doch sie wollte nicht. Gottwald holte sie dann ab, wie üblich. Er war gestresst – ich sehe das bei ihm gleich. Sein Kinn bekommt dann tiefe Grübchen.«

      Fahrig griffen Agnetas Finger nach einer Schachtel Zigaretten, schüttelten eine heraus. Gierig nahm sie den ersten Zug und goss sich aus einer halbleeren Flasche einen neuen Whisky ein.

      »Es wirkt nicht. Ich versuche es schon seit Stunden, aber der erhoffte Nebel stellt sich nicht ein.« Sie trank das Glas auf ex. »Simone war in einer schwierigen Phase. Die Pubertät brach sich Bahn. Das macht aus niedlichen Mädchen zickige und anstrengende Gören. Gottwald war gereizt und aggressiv, wollte sich aber dennoch nicht überreden lassen, auf den Tag mit seiner Tochter zu verzichten. Er hat seit einiger Zeit eine neue Bettgenossin. Über kurz oder lang wird er sie genauso betrügen, wie er es mit mir getan hat. Aber mir kam es so vor, als hätten sie jetzt schon Streit gehabt.« Nach tiefem Luftholen setzte sie zornig hinzu: »Gottwald ist ein Arschloch!«

      Sie schwieg.

      Nach einer langen Pause erkundigte sie sich leise nach dem Wie.

      »Wir wissen es noch nicht genau. Simone wird untersucht und der Rechtsmediziner findet heraus, wie sie gestorben ist.«

      »Hat er … sie vergewaltigt?«, hauchte Agneta ihre nächste Frage.

      Lundquist war erleichtert, ihr sagen zu können, dass er auch das nicht wusste.

      »Ist Gottwald so etwas wirklich zuzutrauen? Dass er sich an der eigenen Tochter vergreift?«

      »Ihm ist alles zuzutrauen!«, schrie sie plötzlich unbeherrscht. »Wenn er etwas will, dann nimmt er es sich. Da wird nicht gefragt oder gar an der Richtigkeit des eigenen Tuns gezweifelt. Lest ihr keine Zeitung? Genau so ist Gottwald, er verstellt sich nicht ein bisschen für die Presse!«

      Lars und Sven wechselten einen kurzen Blick. Also doch der Gottwald Paulsson. Leiter eines Unternehmens, das Software entwickelte und Hardwarelösungen für seine Kunden nach individuellen Bedürfnissen zusammenstellte. Einer der Reichen in Schweden, dachte Knyst grimmig.

      Nur das leise Prasseln des Regens gegen die Fenster war zu hören.

      »Wo?«

      »Sie wurde in einem der Einkaufswagen neben dem Supermarkt im Köpcenter entdeckt. Der Täter hatte sie auf eine weiche Decke gebettet. Die Kollegen suchen in der Nachbarschaft nach ihrer Tasche und der Jacke. Vielleicht hat der Mörder sie irgendwo weggeworfen, weil biologische Spuren von ihm darauf zu finden wären.«

      Das Wort »Spermaspuren« verwendete er nicht.

      »Biologische Spuren. Blut, Haare, Sperma, Fingerspuren, Hautpartikel. Ich sehe auch fern!«, schnappte Agneta.

      Eine neue Zigarette.

      »Mein Gott! Ich gehe dort auch einkaufen. Das kann ich nun nicht mehr. Am Ende schiebe ich den Wagen durch den Gang, in dem mein kleines Mädchen gelegen hat!«

      Nun weinte sie doch.

      Suchte hektisch nach einer Packung Papiertaschentücher, putzte sich die Nase, schniefte, schluchzte.

      »Scheiße, Scheiße, Scheiße!«

      »Können wir jemanden anrufen, der dir jetzt beisteht?«

      »Wen denn? Alle meine Freunde waren Gottwalds Freunde. Nach der Scheidung blieben sie beim Geld. Bei mir war nichts zu holen. Seht euch doch hier um! Ich lebe vom Staat und den paar Krümeln, die Gottwald unter seinem Frühstückstisch zusammenkehrt!«

      Sie schniefte wieder.

      »Und nun hat er mir das Einzige genommen, was mein Leben noch lebenswert gemacht hat!«

      Lundquist setzte sich zu ihr auf die Couch.

      »Warum bist du so sicher, Gottwald habe Simone getötet?«, erkundigte er sich leise.

      »Weil er mich hasst. Er versucht seit unserer Scheidung, mich endgültig zu vernichten, aus seinem Leben zu tilgen. Er muss einen Unterhalt für Simone bezahlen. Doch das Kind ist nicht so dämlich wie seine Mutter. Sie hat immer wieder mal weitere Forderungen an ihn. Solche, die Geld kosten. Er knirscht sicher bei jedem Mal mit den Zähnen, wenn er löhnen soll.«

      »Gottwald ist geizig?«

      »Na, wie glaubst du wohl, kommt man zu Reichtum? Durch Knickerei und Geiz. Wenn du keine Krone ausgibst, legt sie sich zu den anderen auf dem Konto – so vermehren sie sich. Das ist das ganze Geheimnis!«, zischte sie bitter. »Simone hat sich von seinem Gejammer nicht beeindrucken lassen. Sie wollte nicht so enden wie ich.«

      Verlegen heftete Lars seinen Blick an seine Schuhspitzen.

      Ist das nun Selbstmitleid oder hält Gottwald die beiden wirklich finanziell an der kurzen Leine?, grübelte er. Wir müssen nachprüfen, ob es Unterhaltsregelungen gibt, mag sein, Agnetas Notlage ist mehr gefühlt denn real.

      Die Mutter schluchzte leise, grabbelte ein zusammengeknülltes Papiertaschentuch aus der Hosentasche und versuchte ungeschickt, es auseinanderzuzerren, um eine benutzbare Stelle zu finden.

      »Er hasst mich. Sein ganzes Denken kreist nur um die Frage, wie er mich verletzen kann. Ich weiß, dass es ihm darum geht, mich zu zerstören, auszulöschen! Simone zu töten sähe ihm ähnlich – der letzte Schlag gegen Agneta!«

      »Du hast ihn damals verlassen?«

      »Ja.«

      »Warum?«

      Ihr verschleierter Blick traf ihn und neben Trauer und Verzweiflung erkannte Sven noch etwas anderes: Angst.

      »Wir versuchen uns ein Bild zu machen. Von eurer Beziehung, von der zu Simone, von Gottwald.«

      »Er war ein perverses Schwein!«, brach es aus der Mutter hervor und sie zündete sich eine weitere Zigarette an. Sven bemerkte, wie sehr ihre Hände dabei zitterten. »Ich weiß nicht, ob du über ausreichend Fantasie verfügst, dir vorzustellen, was ein Kerl wie … Gottwald … einer Frau antun kann. Sadistische Spielchen, Quälereien, Demütigungen – das volle Programm. Allein seine körperliche Überlegenheit macht Gegenwehr zwecklos. Irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten, war es leid, ständig Lügen zu erzählen, um die blauen Flecken zu erklären, das schon wieder geschwollene Auge, den gebrochenen Arm, die Platzwunde über der Augenbraue. Simone wuchs heran; der Gedanke, er könnte auf die Idee kommen, sich an ihr zu vergehen, gab dann den Ausschlag. Ich suchte mir professionelle Unterstützung und reichte die Scheidung ein.«

      »Du hast ihn angezeigt?«, wollte Lars wissen.

      Agneta schüttelte den Kopf.

      »Ich wollte nur mein Kind und mich in Sicherheit bringen. Weg von Gottwald.«

      »Aber hättest du ihn vor Gericht gebracht, wäre ihm sicher kein Umgangsrecht mit Simone eingeräumt worden!«

      »Mir hätte doch nie jemand geglaubt! Ich habe keinem je von all dem erzählt – es war mir peinlich. Er wäre als strahlender Sieger vom Platz gegangen, und mir hätte der Richter am Ende gar das Sorgerecht für meine Tochter entzogen! Nein, nein, das durfte ich auf keinen Fall riskieren. Wir hatten eine Art Deal: Ich schweige und er lässt uns in Ruhe. Für seine Firma wäre es keine gute Publicity gewesen, hätte ich ihn … das war ihm bewusst. Deshalb musste er Simone auch immer pünktlich direkt in meine Hand abliefern. Seit der neuen Hure in seinem Leben ist er sexuell ausgelastet. Die macht wohl zu jeder Zeit die Beine breit und kriecht willig vor ihm im Dreck!«

      »Hat Simone das erzählt?«

      »Nicht mit diesen Worten.«

      Sie schwieg, drückte die Zigarette aus, starrte auf ihre zuckenden Finger.

      »Du hast versucht, Simone vor einem Missbrauch zu beschützen. Nun bist du dir nicht sicher, ob das auch wirklich funktioniert hat.«

      »Hat er sie