Zuhause wartet schon dein Henker. Franziska Steinhauer

Читать онлайн.
Название Zuhause wartet schon dein Henker
Автор произведения Franziska Steinhauer
Жанр Языкознание
Серия Mord und Nachschlag
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783944369389



Скачать книгу

selbst kittet.«

      »Wir müssen uns in seinem Arbeitszimmer umsehen. Vielleicht nehmen wir auch einige Dinge mit, zum Beispiel den Computer.« Lars sah Ulrika an und sie nickte.

      »Klar. Den Flur entlang hinten links.«

      Lundquist machte Lars ein Zeichen, schon vorauszugehen.

      Dann fragte er: »Dein Mann wurde nicht im Affekt umgebracht. Der Mörder ist sehr organisiert vorgegangen, hatte die Tat wohl sorgfältig geplant. Wer also hatte noch einen schwärenden Hass auf den Pfarrer von Hummelgaard?«

      3

      Susanne Persson wartete nun schon seit Stunden.

      Wo blieb er denn nur? Nicht, dass er normalerweise pünktlich kam, aber so viel Verspätung war doch ungewöhnlich. Susannes Laune fiel unter null. Es gab eine ganze Menge zu besprechen, er hatte das genauso gesehen. Und nun kam er nicht! Feige Memme!

      Wieder wählte sie sein Handy an.

      Jetzt hatte er es offensichtlich auch noch ausgeschaltet! Die Mailbox meldete sich nach dem ersten Klingeln. Frechheit! Schließlich sah er ihr Foto und ihren Namen im Display.

      Wütend stampfte sie in die Küche zurück.

      Nahm die Laxbullar aus dem Backofen, wo sie sie warm gehalten hatte, und warf alles in den Müll. Laxbullar aß er am liebsten – und ihre, so behauptete er, seien die besten.

      Sie ließ den Deckel zuknallen.

      Dann eben nicht!

      Wütend dachte sie an die vergeudete Zeit, die sie in die Zubereitung investiert hatte! Schließlich mussten erst Kartoffeln gekocht und gestampft werden, der Lachs, den sie mit Zwiebeln und Lorbeerblatt gedünstet hatte, brauchte ebenso lang. Eigentlich hatte sie den ganzen Nachmittag für ihn in der Küche gestanden! Die Zeit, die die Lachskartoffelmasse im Kühlschrank ziehen musste, nutzte sie, um ein paar Hemden zu bügeln, danach briet sie die Laxbullar in der Pfanne. Weil er nicht mochte, wenn sie nach Küche stank, wie er das unfreundlich bezeichnete, huschte sie dann schnell unter die Dusche, wusch auch die Haare und zog an, was er sich an ihr zu sehen wünschte.

      Und nun? Alles für die Katz!

      Auf dem Weg ins Schlafzimmer riss sie sich das zarte Nichts von den Schultern, das für dieses Wetter ohnehin nicht warm genug war, schob die Haken der verführerischen, aber unbequemen Korsage auf und zerrte, als sie das Bett erreichte, ungeduldig den Spitzentanga über die Schenkel zu den Knöcheln. Knallte die Wäsche als zusammengeknülltes Bündel auf den Boden.

      Zog eine Schublade der Kommode auf und suchte weiche, warme, praktische Kleidung heraus.

      Sie hatte es satt! So unglaublich satt!

      4

      »Arbeitszimmer? Du liebe Güte, sah eher aus wie ein Kinderzimmer nach einer Geburtstagsparty!« Knyst schaltete die Siteheizung im Auto ein. »Sonst trocknet die Hose gar nicht mehr!«, setzte er hinzu, als er dem amüsierten Blick des Freundes begegnete.

      »Nun, zumindest war es zu chaotisch, um sofort Geheimnisse preiszugeben. Den Terminkalender muss er wohl bei sich gehabt haben, die vielen Papiere auf dem Tisch, die Zeitungsausschnitte – das war sicher Recherchematerial für die nächsten Predigten. Und der Computer ist natürlich passwortgeschützt. Logisch. Da muss die Technik ran. Viel haben wir bisher über Arne Mommsen nicht erfahren, fürchte ich.«

      »Im Regal stand ein Foto der Familie. Aber das muss schon vor Jahren entstanden sein. Entweder er war kein Freund von solchen sentimentalen Dingen – oder es lag ihm nicht mehr so viel an Frau und Kindern.«

      »Ach – das muss nicht sein. Viele Pubertierende lassen sich nicht mehr fürs Familienalbum ablichten. Ist wie die abgeschlossene Badezimmertür. Eindringen in die Intimsphäre ist unerwünscht. Ist dir auch aufgefallen, dass die Kinder nicht gefragt haben, wie ihr Vater ermordet wurde?«

      »Sie werden wohl ihre Mutter danach fragen. Mit uns – so wenig Kommunikation wie möglich. Wie kann man in einem so zugemüllten Raum sinnvoll arbeiten? Ich wäre ständig abgelenkt.« Lars schaltete die Scheibenwischer einen Gang höher.

      »Ich habe eine Bekannte, bei der sieht es auch so aus. Journalistin. Natürlich sammelt auch sie Material zu allen möglichen Themen. Das muss man dann lagern. Wegwerfen ist schwierig, denn du brauchst es vielleicht ausgerechnet morgen – und dann ist es nicht mehr da. Also wird gehortet. Mehr oder weniger systematisch. Manchmal zieht sie mit dem Laptop ins Wohnzimmer um, weil sie gar keine freie Fläche mehr auf dem Schreibtisch finden kann.«

      »Ich brauche Ordnung. Bloß gut, dass Gitte nicht auch aus Recherchegründen alles Mögliche zusammenträgt. Kannst du dich noch an Lätta erinnern? So eine Wohnung hatte ich vorher noch nie gesehen.«

      »Lätta war krank. Sie konnte sich ja von gar nichts trennen, nicht einmal von leeren Thunfischdosen. So schlimm war es bei Arne nun auch wieder nicht.«

      »So viel Zeug – und doch konnte man nirgendwo die Person entdecken. Eigenartig, nicht?«

      »Du meinst, er versuchte sein Selbst hinter all den Papieren und Büchern zu verstecken? Möglich. Der Laptop kennt sicher ein paar seiner Geheimnisse. Und vielleicht können wir bei dem Gespräch mit Hansson etwas über ihn in Erfahrung bringen«, meinte Lundquist hoffnungsvoll.

      Hans Hansson wohnte am Rand des Dorfes.

      Sein Häuschen balancierte in sonderbar gebückter Haltung auf einem Felsen, wirkte, als versuche es verzweifelt, nicht über den Rand zu stürzen.

      Im Licht der Scheinwerfer erkannten Lundquist und Knyst einen Fahnenmast, an dem ein zerfetztes Hemd mit hellen und dunklen, breiten Blockstreifen wehte.

      »Scherzbold, wie?«, murmelte Lundquist gereizt.

      »Anstaltskleidung wie bei der Olsenbande. Trotz oder Triumph? Wir werden ihn fragen«, grinste Knyst.

      »Ich denke auch, wir werden sicher erfahren, was es mit diesem flatternden Statement auf sich hat.« Sven stieg aus, suchte am Tor nach einem Namensschild und einer Klingel. Fand weder das eine noch das andere.

      »Das funktioniert auch nur in solch kleinen Orten. Stell dir vor, wie verzweifelt der Postbote bei uns in Göteborg wäre, wenn keiner seinen Namen an der Klingel stehen hätte.« Lars lachte leise. »Am Ende nicht einmal mehr eine Klingel! Keiner bekäme mehr Päckchen oder Pakete. Wie trostlos Weihnachten wäre!«

      Er drückte das Tor auf.

      Und schon lösten die beiden unerwarteten Besucher ein beeindruckendes Spektakel aus!

      Ein durchdringender Heulton erfüllte die Luft, Licht erhellte das Grundstück, als brenne die Mittagssonne darauf. Hundegebell, dunkel und drohend, war von den Stallungen her zu hören, zornig und angriffslustig.

      »Hans Hansson hat offensichtlich ein besonders stark ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis«, stellte Sven beeindruckt fest. »Fragt sich, vor wem er sich so sehr fürchtet.« Als er aufsah, entdeckte er die imposante Gestalt des Hausbesitzers vor dem Eingang. Groß und üppig füllte er den Türbereich fast vollständig aus, die deutlich zu kurze Hose wurde von breiten Hosenträgern gehalten, die Totenköpfe zierten, das T-Shirt hatte seine Farbe längst eingebüßt und die nackten Füße steckten in pinkfarbenen Gummischuhen. Um den runden Kopf hatte er ein Tuch mit Piratenmuster geschlungen, die blonden Haare lugten dennoch an verschiedenen Stellen hervor. Offensichtlich hatte er die letzten Worte gehört.

      »Hans Hansson fürchtet nichts und niemanden!«, stellte der Mann polternd klar und übertönte mit seinem Bass mühelos den Alarmton. »Schon gleich gar nicht die Polizei!«

      »Stimmt, wir sind von der Polizei Göteborg. Dann bist du also Hans Hansson. Wir sind hier, weil heute der Pfarrer von Hummelgaard tot aufgefunden wurde.«

      »Was? Arne Mommsen ist tot?« Die Daumen glitten unter den Hosenträgern heraus, die Arme baumelten an den Seiten herab, der Mund blieb offen stehen, die Augen weit und rund starrten den Überbringer dieser Neuigkeit ungläubig an.

      So viel Fassungslosigkeit