Название | Verlogen, dumm und unverschämt |
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Автор произведения | Christof Wackernagel |
Жанр | Языкознание |
Серия | Essay-Reihe |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783944369518 |
zur überwachung gehört als letztes aber auch noch das – natürlich nicht beweisbare – abhören mit der anlage, wer das als erstes dementiert, hat allen grund dazu, warum soll das nur dann gehen, wenn ich am anfang einen knopf gedrückt habe, wenn im verlauf des gespräches selbst auch mein sprechen von außen möglich gemacht wird? und seit wann werden technische möglichkeiten (das hier ist ja auch offiziell eine »spezialanlage« – man müßte, falls es wirklich bei den anderen nicht möglich sein sollte, nur ein drähtchen umlöten) nicht ausgenutzt und dann auch noch bei uns, wo eh alles erlaubt ist? mit »flucht- und suizidprophylaxe« können sie das hinterher jederzeit rechtfertigen, wenn es rauskommen sollte.
abgesehen von diesen überlegungen habe ich aber auch schon mal was gesagt und eine antwort bekommen, ohne daß ich am anfang den knopf gedrückt hatte, durch den sie draußen erst die möglichkeit zum hören bekommen sollten, angeblich, ich glaube auch nicht, daß sie ständig abhören, sondern nur stichproben machen, erkennen läßt sich das vor allem an unregelmäßigem rauschen, knistern, pfeifen oder knacken, das ebenso unmotiviert anfängt wie aufhört, manchmal, nachdem ich gerade gerülpst, gehustet oder laut geflucht habe, weil ich mich z. b. verschrieben habe: könnte also sein, daß sie das fluchen original hören und dann mal nachhorchen, was los ist. der gipfel in dieser beziehung war bis jetzt auch einmal so ein knacken und rauschen – und dann plötzlich eine telefondurchsage:»kein anschluß unter dieser nummer« … wenn sich das einer als schikane ausgedacht hätte (ist ja ein kommunikationsgerät, das diesen inhalt einem totalisolierten mitteilt), wäre es eine meisterleistung – als querschaltung ist es ein beleg fürs abhören.
die überwachung funktioniert aber auch »umgekehrt«: durch eine art zwang zum zusammenleben – mit den bewachern! ich liege nämlich weniger deshalb gegenüber zum »dienstzimmer«, damit sie schneller zu meiner zelle kommen und z. b. mein schreibmaschinenschreiben hören und so auch eine akustische kontrolle haben, sondern ganz bewußt noch mehr, damit ich sie die ganze zeit hören muß: ich höre nämlich nicht nur auch ihre schreibmaschine, auf der sie oft bis 22 uhr wahrscheinlich irgendwelche blöden formulare ausfüllen, sondern ich bekomme ihren gesamten tagesablauf mit, vom praktisch nie aussetzenden auf- und zuschließen der traktzugangstür, was jedesmal einen lauten knall mit sich bringt und z. b. ausreicht, um jeden versuch eines (nötigen) mittagsschlafs zu verhindern, bis zum gähnen der bewacher in ihrem »dienstzimmer«.
die zigfache routine jeden tag ungefähr so: telefonklingeln im »dienstzimmer«. hörer abnehmen, »ja, nummer soundso« (die gefangenen sind fast nur nummern, klar) »auf hausnummer soundso«, (pause) »ja, ist gut … nein, nein, ich bin froh, ham wir platz, wenn nachher der schub kommt« (bezieht sich auf die neu eingelieferten gefangenen, von denen täglich neue auf die »beobachtungsstation« hier kommen), schritte vom »dienstzimmer« auf den gang, quietsch quietsch quietsch, zellenaufschluß. »so, sachen packen, los, sie werden verlegt, alles einpacken, sie kommen auf nummer soundso, ziehen sie ihre bettwäsche ab und lassen sie die bücher da. wenn sie fertig sind, ruflampe drücken«.
tür zuknallen, zuschließen, quietsch quietsch quietsch, undsoweiter undsoweiter.
da sie aber auch untereinander so laut brüllen, wie sie mit den gefangenen reden, bekomme ich auch die meisten ihrer gespräche mit, ob sie über die neuen essensmarken reden, über die schichteinteilungen meckern, sich über die (gefangenen-)nummern unterhalten und sich gegenseitig ihre einschätzungen mitteilen (»herrgott, geht mir der auf den wecker«) oder übers wetter und die politik. meist gehts aber um die arbeit, von der es auch nicht zu wenig gibt, die spitze des ganzen ist ein wahrscheinlich (kehl)kopfkranker mit einer krächzenden falsettstimme, der ununterbrochen entweder im »dienstzimmer« oder auf dem gang vor sich hintobend wie ein wasserfall zu jedem und allem redet, sich über gott und die welt und vor allem die gefangenen aufregt, und wenn es mal nichts zu tun gibt, wirklich ohne abzusetzen auf seine kollegen einredet – was, kann ich meist gerade nicht mehr verstehen, aber dafür bekomme ich umso deutlicher den tonfall mit, seine sich am rande des hysterischen entlangbewegende erregung, die intensität und eindringlichkeit, mit der er auf sein gegenüber einhämmert – es ist lächerlich bis zur groteske, je mehr er sich aufregt, desto höher wird sein schwäbischer falsett, es ist ebenso bemitleidenswert wie bezeichnend für das menschenvernichtende kalkül, mit dem so ein – ja schließlich von dieser gesellschaft zerstörter – mensch zu ihrer aufrechterhaltung eingesetzt wird: so einer bekommt ja auch sonst gar keine stelle, und hier kann er auch erst richtig die durch die deformationen seiner persönlichkeitstruktur entstehenden verqueren bedürfnisse ausleben zum wohle und zwecke der unterdrückung und zerstörung der gefangenen: das ist die sorte, die mit bis zur selbstauflösung reichender hingabe zellen filzt und für den es zu den sternstunden seines lebens gehört, meine zelle filzen zu dürfen, um dadurch dem vaterland einen dienst tun zu können, und als einziger eine von mir optimal getarnte kerze in einem ausgedienten gewürzgläschen mitten unter anderen gewürzgläschen gefunden hatte, woran man sehen kann, daß er wirklich die ganze bude auf den kopf stellen mußte, denn die dinger hatten ja auch alle den deckel drauf: deswegen wird so einer hier eingesetzt; das ist auch die sorte, die, wenn ich auf dem hof bin, bei der razzia den fenstergriff so verschließt, damit das fenster nur noch schräg zu öffnen geht, und ich mir erst mal die hand verrenke, wenn ich zurückkomme und das fenster aufreißen will, um den widerwärtigen schweißgeruch der wärter auszulüften,