Название | Die Reise in einem Cocktailshaker |
---|---|
Автор произведения | Iko Andrae |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870349 |
Wie oft mussten wir uns noch vor gar nicht so langer Zeit gegenseitig motivieren, doch immer noch ein kleines Stück weiter nach Westen zu segeln. Der moralische Tiefpunkt am Ijsselmeer lag erst knapp drei Wochen zurück, eine heulende Maret im Vorschiff und ein sich betrinkender Iko am Kartentisch, ein weinerliches Lamento in die Tastatur seines Laptops hämmernd. Damals hielt ich ein Aufgeben wirklich für möglich. „Bis Falmouth schaffen wir es noch und dann schauen wir weiter“, so lautete danach unser Minimalkonsens.
Wenn es einen Ort gab, an dem Maret und ich noch hätten umdrehen können, dann war es wohl dieser westliche Außenposten Europas. Aber hier und jetzt umkehren? Die Nadel auf dem Kompass unserer Pläne, Träume und Hoffnungen zeigte ganz klar Richtung Süden. Was hatte unsere Einstellung verändert? War es nur die Rückkehr des Sommers? Reichten ein paar wunderschöne und sonnige Segeltage an der englischen Kanalküste, um die Stimmung so grundlegend zu bessern?
Vor unserer Abfahrt konnten wir den bevorstehenden Törn immer nur als großes Ganzes betrachten, wie einen riesigen Berg, den es zu bezwingen galt. Inzwischen versuchten wir, unser Vorhaben in kleinere Etappen zu unterteilen, flachere und erklimmbare Höhenzüge.
Jetzt standen wir vor dem nächsten und bisher spannendsten Kapitel unserer Reise. Wir hatten uns intensiv vorbereitet, waren motiviert bis in die Haarspitzen und gingen an die kommende Aufgabe mit viel Respekt, aber auch einer kleinen Portion Angst.
Begegnungen auf der Biskaya
Bordtagebuch Sonntag 01.August – „Abfahrt Biskaya. Um 10.30 Uhr legen wir ab. 480 Meilen liegen vor uns. Wir werden wahrscheinlich 4 Tage unterwegs sein. Den Tag über haben wir guten Wind aus SO. Nach Einbruch der Dunkelheit zieht die Front eines schweren Gewittertiefes durch, das bereits am Morgen von BBC 4 auf Langwelle angekündigt wurde. Es soll in östlicher Richtung zur Bretagne wegziehen. Als das Unwetter kommt, bergen wir alles Tuch. Nachdem wir zuerst etwas kopfscheu versuchen, die Front zu umfahren, blitzt es bald von allen Seiten und der Wind briest kräftig auf.
Lothar geht es nicht so gut. Doch trotzdem geht er Wache, ist jedoch auffällig still dabei. Unser warmes Abendessen geht kaum den Hals runter. Auch Lothars Glas Rotwein fällt dem Unwetter zum Opfer. Nach ungefähr einer Stunde mit stürmischen Böen und heftigen Regengüssen ist das Gewitter durchgezogen. Noch lange sieht man das Leuchten und hört das Grollen am östlichen Horizont.“
Mitten in der Nacht wurden wir durch ein infernalisches Alarmsignal aus unserem Funkgerät aufgeschreckt. Es war ein DSC-Call, ein digitaler Notruf. So etwas hatten wir natürlich bereits in der Funkausbildung durchgespielt, bekamen aber jetzt fast einen Herzkasper von der Lautstärke unseres Funkgerätes. Dem Display konnten wir entnehmen, dass es sich um einen „all-ships-call“ handelte. Über UKW hörten wir die Anweisungen von Dover Coastguard. Der Notfall spielte sich über 100 Meilen entfernt ab, ein Frachter trieb mit Maschinenschaden im Ärmelkanal. Da wir sowieso nicht helfen konnten und dringend Ruhe brauchten, schalteten wir das Funkgerät aus.
Wir hatten unsere Wachen genau eingeteilt, einen Wachwechsel gab es alle 3 Stunden. Der Abgelöste blieb noch für die nächsten 3 Stunden auf standby, falls ein Segel geborgen, oder gewechselt werden musste. Nach dem Gewitter drehte der Wind.
Den nächsten Tag über kreuzten wir in großen Schlägen gegen einen mäßig starken Südwest. Auf dem Kartentisch ausgebreitet lag die Imray-Chart Falmouth to Vigo, darüber hing eine Petroleumlampe, die nachts für das nötige Licht sorgte.
Kurz vor Sonnenuntergang machte Lothar an Steuerbord die Positionslichter eines Schiffes aus. Rot und grün, die beiden Farben der Positionslichter waren ein sicheres Zeichen dafür, dass etwas auf uns zuhielt. Auch in den folgenden Minuten kam das Gefährt immer näher, so dass wir schließlich unseren Kurs ändern mussten. Auch das unbekannte Objekt änderte seinen Kurs und kam uns bedrohlich nah. Es war ein mindestens 100m langer Kümo, der uns mitten auf der Biskaya verfolgte! Da dieser sich nicht so leicht abschütteln ließ, machten wir eine 180° Wende und sprachen unseren Verfolger über Funk an: „Big vessel on our starboard-side, this is sailing yacht Balu“. Eine freundliche Stimme antwortete. Es war der Kapitän eines niederländischen Frachters mit Kurs auf Rotterdam. Er hatte auf seinem Radarschirm einen kleinen Punkt ausgemacht, konnte aber nirgendwo ein dazu gehöriges Schiff entdecken. Da war er dem Punkt gefolgt und fand nun ein winziges Segelboot vor sich. Der Kapitän erzählte uns, dass er selbst Segler sei und davon träumte einmal mit seinem Boot auf große Fahrt zu gehen.
„I admire you being here on this big Ocean with such a small boat! Have a good and save trip”. Mit diesen Worten schloss er die Funkverbindung ab. Eine kleine Gestalt trat auf dem Brückendeck aus einer Tür hinaus. Wir sahen ein paar schwache Fotoblitze, woraufhin der Frachter mit lautem Wummern der Maschine und brausendem Schraubenwasser drehte und sehr bald in der zunehmenden Dunkelheit in nordöstlicher Richtung verschwand. Auch wir nahmen unseren Kurs wieder auf, Südsüdwest, La Coruna.
Noch in derselben Nacht wurden wir durch eine weitere und nicht weniger mysteriöse Erscheinung aufgeschreckt. Maret holte Lothar und mich aus der Koje als sie am Horizont blinkende Warnbojen ausmachte. Der Himmel vor uns erstrahlte gelb. Was waren das bloß für Lichterscheinungen? Was sollten wir tun? Wir versuchten den Lichtern auszuweichen, aber schon bald tauchte in der Kimm das nächste Blinklicht auf, gefolgt von unzähligen weiteren. Egal, welchen Kurs wir auch einschlugen, der ganze Horizont war ein blinkendes Lichtermeer. Hatte da etwa jemand die Biskaya abgesperrt? Bei Annäherung lüftete sich das Geheimnis. Die gelben, rotierenden Warnlichter gehörten zu Fischtrawlern, die am Kontinentalsockel fischten. Es mussten Hunderte gewesen sein.
Zum Glück war diese Aufregung bald überstanden und wir wurden, da nun mal alle hellwach, durch das muntere Treiben einer großen Delfinschule entschädigt, die unter unserem Bug wegschoss. In der Dunkelheit der Nacht konnten wir die Meeressäuger selbst nicht sehen, doch bei ihrem Spiel unter unserem Bug gaben sie hohe, fiepende Töne von sich, einige klopften sogar gegen die Bordwand. Nach einer Viertelstunde schienen sie keine Lust mehr auf dieses Spiel zu haben und verschwanden im hellen Mondlicht, lange fluoreszierende Schweife hinter sich her ziehend. Nach der ganzen Aufregung dieser ersten Nacht waren wir plötzlich wieder allein. Hier am Rande des Kontinentalsockels waren wir nun am äußeren Ende Europas angekommen. Bis zu fünf Kilometer maß die Wassersäule unter unseren Füßen.
Am nächsten Morgen kehrten auch bei Lothar die Lebensgeister zurück. Zum Frühstück gab es aus diesem Anlass ein besonders großes Omelette. Wir saßen grinsend und still vor uns hinkauend in der Plicht und empfanden dieses erste gemeinsame Mahl mitten auf dem Ozean als einen ganz besonderen Moment. Der Wind hatte in der Nacht auf Nordwest gedreht und wir konnten unseren Kurs auf die Nordwestecke der spanischen Küste gut anliegen. Durch Horden Portugiesischer Galeeren, jenen wunderschönen, segelnden Quallen mit ihren meterlangen, giftigen Tentakeln, rauschten wir La Coruna entgegen, der Metropole Galiziens.
Im Laufe des Tages sichtete Maret an Steuerbord mehrere winkende Fächer an der Wasseroberfläche, merkwürdig abgerundete, fast einen Meter breite Flossen, die sich langsam seitwärts neigten, als würden sie im Wasser rotieren. Wir konnten uns nicht erklären, was wir da gesehen hatten, bis wir Wochen später im großen Meerwasseraquarium in Lissabon einen Mondfisch zu Gesicht bekamen, der sich mit der Grazie eines zerbeulten Mülleimerdeckels genau so an der Wasseroberfläche bewegte, wie diese merkwürdigen Gestalten. Mondfische treiben oft stundenlang knapp unter der Wasseroberfläche und ernähren sich unter anderem von Quallen, was sie per se schon mal sehr sympathisch macht.
Als wir laut Seekarte direkt unter uns 5200 Meter Wassertiefe hatten, ließ Lothar einen Eurocent ins Wasser fallen und verbrachte den Rest des Nachmittags damit, auszurechnen, wie lange das Geldstück wohl bis zum Grund brauchte.
In den frühen Morgenstunden des vierten Tages tauchte am Horizont die Silhouette der spanischen Küste auf. Unsere Stimmung stieg ins Euphorische. Noch 100 Meilen waren es aber trotzdem noch bis zu unserem Ziel. Kurz vor Sonnenuntergang schlief der Wind ein, Zeit für einen Badestop und ein ausgiebiges Essen und endlich auch für ein erstes Glas