Название | Im wilden Balkan |
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Автор произведения | David Urquhart |
Жанр | Книги о Путешествиях |
Серия | Edition Erdmann |
Издательство | Книги о Путешествиях |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783843800709 |
1 Ayvali, das antike Kydonia, liegt im nordwestlichen Kleinasien gegenüber der Insel Lesbos [Red.].
2 Ein Firman ist im hier gebrauchten Sinn ein offizieller schriftlicher Erlass des türkischen Sultans oder seiner Minister bzw. hohen Beamten [Red.].
3 Der antike Name für das Ägäische Meer [Red.].
4 Ein sehr feines Ziegenleder [Red.].
5 Siehe oben Seite 46, Anm. 1 [Red.].
1 Adriano Balbi, Abrégé de géographie. Redigé par un nouveau plan d’après les derniers traités de paix et les découvertes et les plus récentes. 2. Aufl. Paris 1834. Balbi (1782–1848) stammte aus Venedig. Sein Werk, aus dem Urquhart hier zitiert (S. 641), gehörte zu den bedeutendsten geographischen Überblickspublikationen seiner Zeit.
DRITTES KAPITEL
AUFENTHALT IM TAL TEMPE
Die Zeit wurde mir nicht lang während meiner Einsamkeit im Musental. Ich hatte nun die nötige Muße, um meine Eindrücke zu ordnen und niederzuschreiben, die ich während vier Monaten unaufhörlichen Reisens erlebt hatte, in der heißesten Jahreszeit, während der ich täglich zehn bis zwölf Stunden im Sattel gewesen war. Ich saß für gewöhnlich und schrieb, und zuweilen aß und schlief ich auch an den Ufern des Peneios und badete in seinen Fluten, und regelmäßig, morgens und abends, kletterte ich auf die Felsen, zuweilen an der Seite des Ossa, zuweilen am Olymp, um Aufgang und Untergang der Sonne zu genießen. So lieblich das Schauspiel war, in glücklicheren Tagen muss es doch noch lieblicher gewesen sein. Die Gesträuche und Bäume auf mancher erhöhten Stelle waren vor Kurzem abgebrannt, und ein großer Teil der sichtbaren Stellen beider Berge war durch frühere Brände, die die Schäfer gelegt hatten, um zartes Gras zu erhalten, seiner stattlichen Wälder beraubt, an deren Stelle nun niederes Gewächs getreten war, unter anderem wilde Ölbäume, Mehlbeeren und Agnus castus.1 Das Stromufer war nur eben so weit kultiviert, um es seiner Wildheit zu berauben, und der an Wassermasse sowie an Schnelligkeit verminderte Strom war durch die verhältnismäßige Nacktheit der jetzigen Berge in seinem sandigen Bette eingeschrumpft. Welcher Platz in der Schöpfung könnte diesem gleichen, wenn noch ewige Wälder die stärkeren Felsen krönten und wenn ein voller Kristallstrom noch zwischen Ufern von Grün und Blumen dahinrauschte? Das Tal ist mit Platanen angefüllt – es ist überflüssig, sie schön zu nennen –, und unter einem Schirmdach solcher Bäume wählte ich gewöhnlich meinen Sitz. Dort konnte nichts der Wirkung gleichen, wenn ich einen Tataren oder eine Reisegesellschaft herbeisprengen sah, ängstliche Blicke um sich werfend und davonjagend, wenn sie meiner gewahr wurden. Auf dem Fußsteig nach Ambelákia, gerade wenn man von Babá heraus auf den Felsen tritt, ist eine wunderschöne Aussicht. Babá, sein Minarett und seine Tekke1, mitten zwischen Zypressen und Obstbäumen, mit einer großen, breiten Fichte, steht unmittelbar im Vordergrund. Dicht dabei hat man einen Blick auf den von Platanen überschatteten Peneios, die von beiden Seiten sich herabsenkenden Berge und die auf der letzten Verlängerung des Olymp liegenden Trümmer von Gomphi.2 Jenseits, in der Ferne, ist eine andere Aussicht, die ich schon früher beschrieben habe. Will man aber Tempe am allervorteilhaftesten erblicken, so muss man es bei Mondlicht ansehen. Das Dunkel der drohenden Abgründe ist tiefer, großartiger und übereinstimmender mit den fast überirdischen Eindrücken, die solch eine Szene in einsamer Nacht hervorzurufen imstande ist.
Der Pass von Tempe wurde für den gefährlichsten im ganzen Lande gehalten: Reisende pflegten eine Station entfernt an jeder Seite anzuhalten, bis sie wegen Bewachung mit Kapitano Dimo oder mit dem Kapitano des Ossa verhandelt hatten, und selbst mit einer zahlreichen Wache wurde der Durchgang mit nicht immer unbegründeter Besorgnis vollbracht. Am letzten Tage meines dortigen Aufenthaltes wurden neun Menschen erschossen; dennoch wanderte ich völlig allein nach allen Richtungen und zu jeder Stunde weiter und dachte nie an Gefahr. Ich hatte den seltsamen Vorteil, als Freund von jeder Partei behandelt zu werden, auf die ich stieß, und nichts unterhielt mich mehr, als die beständige Angst, die jedes Corps vor allen anderen hatte, während sie für sich lauter gute und friedliche Leute waren, und nur der Dienste irgendeines gemeinschaftlichen Freundes bedurften, um zu entdecken, dass sie alle ausnehmend wohl gegeneinander gesinnt waren. Hätte ich dort einen Monat gewohnt, ich glaube, ich wäre im Stande gewesen, Geleitscheine auszustellen.
Mein Aufenthalt im Tal war ein fortgesetzter Traum. Die beständige Aufregung zu jeder Tageszeit, die unaufhörliche Wachsamkeit des Ohres auf Kampfestöne, die Anstrengung des Auges, um jeden ungewohnten Gegenstand aufzuraffen, das durch jede Annäherung erregte Interesse und die unablässig mit dem Namen jeder Stelle, auf die das Auge zufällig fiel, beschäftigte Einbildungskraft erzeugten einen Geisteszustand, der so voll von Einbildungen, so verschiedenartig, so lebendig und so unzusammenhängend war, dass ich mich kaum wachend und mitten in der Wirklichkeit glauben konnte.
In solcher Gemütsstimmung, auf solchem Schauplatz wandernd, wurde ich unwillkürlich von der Wirkung der Mythologie auf die Entwicklung des menschlichen Verstandes getroffen, von ihrer Tendenz, den Menschen aus dem Zustand zu erheben, in dem physische Not der einzige Ansporn der Tatkraft ist, und die Einbildungskraft, den Schatzgräber der Vernunft, zu erregen. Welche Ehrfurcht vor dem noch unbekannten Urheber alles Guten liegt in der Verehrung der Natur! Welche Interessen erwachen in dergestalt idealisierten Gegenständen! Dryaden1 in den Wäldern, Najaden2 in den Strömen, Genien als Bewohner jeder Stelle, Geister als Beschützer jedes Menschen, Vorbedeutung jedes Ereignisses, Kunde dunkler Geheimnisse, die in geheiligten Klüften wohnen, Gottheiten auf den Bergen und des Menschen Geschick in den Sternen geschrieben! So wurde des Schöpfers Allmacht, noch ungetrennt von ihren Werken, in ihren Gestalten verehrt und in ihren Herrlichkeiten angebetet. Der alte Mythologe vervielfachte seinen Gottesdienst, weil er keine in Klassen geteilten Tatsachen hatte. Für uns, die wir schon als Kinder damit anfingen, die in der Körperwelt beobachteten beständigen Folgenreihen zu lernen, bevor wir ihren Nutzen erfuhren oder ihre Reize fühlten, ist es schwer, uns in die phantasiereiche und andächtige Gemütsstimmung zu versetzen, die jene Wirkung sieht, ohne ihre Ordnung zu verstehen. Für die Alten war ein Kristall oder eine Blume unerklärlich in ihrer Schönheit. Es war daher der Wohnsitz eines Genius oder die Verkörperung eines Geistes. Für uns sind es Substanzen, verzeichnet nach Klassen und Familien, oder vermessen nach Winkeln und Graden. Die Sterne, die in der stillen, einsamen Nacht so hell, so geheimnisvoll und so eindringlich leuchten, konnten in ihren Augen nur bestimmt sein, über das Geschick der Menschen und Völker zu wachen. Als sich die großartigeren Geheimnisse ihrer Umwälzungen dem Auge der Wissenschaft offenbarten, versank die Sterndeutung zum Wahnsinn oder zum Betrug. Der alte Weise konnte bei Nacht wandern, verwirrt durch den Anblick des gestirnten Firmaments, und je weniger er imstande war zu begreifen, desto tiefer musste er fühlen. Der Stillstand der Vernunft erzeugte ein Überfluten der Seele, und ohne weiterzukommen in der Wissenschaft der Sternkunde, kehrte er von der Betrachtung mit hellerem Sinn und reinerem Gefühl zurück. Jetzt wird jedes Kind vom Hörensagen den Lauf der Planeten und die Entfernung der Sphären aufzählen. Blumen, Ströme, Berge und Sterne sind zu Tatsachen eingeschrumpft und bedürfen nicht länger der Dichter als Priester. Die Einbildungskraft ist mit gesenkter Fackel in die Erde versunken, und verschwunden ist das Weltall, das in ihrem Licht lebte. Aber aus der Mythologie, diesem ersten Verein der Forschung und der Andacht, entsprang die Literatur, an der zu allen Zeiten sich die Edelsten des Menschengeschlechts bildeten, und wer an den Ufern des Peneios wandert, mag noch mit Entzücken die Luft einatmen, aus welcher der erste Genius seinen Lebensodem sog.
Das Dorf Babá ist eine der frühesten türkischen Niederlassungen von Kolonisten aus Ikonium. Es sind nur noch 25 Familien übrig, aber ich erfuhr, dass in jeder türkischen Niederlassung nicht weniger als zwei griechische Familien lebten, Flüchtlinge aus der