Yoga ist ein Arschloch. Christine Bielecki

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Название Yoga ist ein Arschloch
Автор произведения Christine Bielecki
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783730702703



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auf dem Tisch liegt.

      Trotz des nun schon langanhaltenden Booms ist Yoga für viele Europäer immer noch irgendwie befremdlich. Und daran ist es zum Teil sogar selbst schuld. Während meiner Ausbildung zur Yogalehrerin war die erste Regel, die Ausbilderin Alanna Kaivalya uns 18 angehenden Yogalehrerinnen mit auf den Weg gab: „Don’t get weird.“ Auf gut Deutsch: Werde nicht seltsam. Vielleicht kamen da so mancher meiner Mitstreiterinnen Zweifel, ob das viele Geld für die Ausbildung wirklich gut investiert war. Für mich hingegen war sofort klar: Ich habe die richtige Schule gewählt! Wie wichtig dieser Ratschlag ist, wird einem schnell bewusst, wenn man sich eine Weile im Dschungel von Yogabesessenen herumtreibt. Da gibt es tatsächlich Menschen, die erzählen, dass Frauen, die Yoga treiben, schmerzfreie Geburten erleben. Werde nicht seltsam, damit meint Alanna Kaivalya auch: Lass deine Welt deine Welt bleiben. Erwarte keine Wunder von Yoga, und verschone diejenigen damit, die sich nicht dafür interessieren. Nur weil ich gerne mal einen Chia-Pudding esse, heißt das noch lange nicht, dass ich die ganze Welt jetzt von Chia-Pudding überzeugen muss.

      In der Masse der Yogalehrer findet sich immer jemand, der „weird“ geworden ist. So ist es ein großes Glück, wenn man jemandem wie Alanna Kaivalya begegnet. Wer ihr zuhört, hat gute Chancen, normal zu bleiben, das heißt: bei sich selbst zu bleiben. Alanna selbst ist der lebende Beweis dafür, dass man sich nicht verbiegen muss, um in eine Yoga-Box zu passen. Sie ist nicht die super durchtrainierte amerikanische Yoga-Fitness-Queen, die man so oft in Magazinen sieht. Und sie ist eine coole Sau. So legte sie sich mit dem CEO von Lululemon an, einer in eigenen Worten „Yoga-inspirierten Sportbekleidungsfirma“, die dafür bekannt ist, Klamotten hauptsächlich für dünne Frauen zu konzipieren. Alanna Kaivalya nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie gibt gerne zu, dass sie auch heute noch, nach mehr als 20 Jahren Erfahrung als Yogalehrerin, manchmal irgendwie ein Arschloch ist. Mache Yoga passend für dein Leben und nicht dein Leben passend für Yoga. Das ist Alannas Botschaft. Alles ist okay, so wie es ist. Das ist das Schöne an Yoga. Yoga urteilt nicht. Nichts muss, niemand muss. Yoga vollbringt keine Wunder. Die Wunder sind wir schon selbst. Yoga erinnert uns höchstens daran. Es kann vieles. Aber nicht alles.

      Während unserer Ausbildung ließ uns Alanna manchmal mit verbundenen Augen Yogaposen einnehmen, und von außen betrachtet sah das in dem Moment sicher ein bisschen „weird“ aus. Oder zumindest brutal langweilig. Aber trotzdem hatten wir danach alle wieder dieses Gefühl, dass irgendetwas Großartiges passiert war. Um gleich mal alle Illusionen zu zerstören: Wir haben einfach Gymnastik gemacht. Mit verbundenen Augen. Das klingt noch unspektakulärer und uncooler als ein Konzertbesuch bei den Wildecker Herzbuben. Aber irgendwas passierte dabei, das sich so ganz anders anfühlte als der Gymnastikunterricht, den wir in der Schule so hassten. Es ist das, was viele Menschen erleben, wenn sie Yoga machen. Glücksgefühle, und zwar andere als beim Joggen oder im Urlaub.

      Was genau es mit diesen Glücksgefühlen auf sich hat, das soll unter anderem dieses Buch erklären. Was macht Yoga mit uns? Was kann es besser als Fußball und Skifahren, und warum ist es eigentlich doch gar nicht mit diesen Sportarten zu vergleichen, obwohl es im Westen als Fitnesskonzept verstanden wird? Warum kann jeder – sei er noch so ungelenkig, alt oder gar ein Mann – Yoga machen? Weshalb raten Ärzte zu Yoga? Darüber hinaus möchte ich mit einigen Klischees und Vorurteilen aufräumen, die über Yoga kursieren. Zum Beispiel, dass man als Yogi kein Fleisch essen darf. Oder dass man im Yoga nur rumsitzt und Om chantet. Und den Spruch von der Vereinigung von Körper, Geist und Seele können Sie glatt vergessen. Die sind ja sowieso schon vereint. Oder haben Sie schon mal jemanden ohne Kopf herumlaufen sehen?

       Klischee: Yoga heilt alle Krankheiten.

      Das Buch Licht auf Yoga ist erstmals 1966 erschienen und gilt bis heute als das Lehrbuch des Hatha-Yoga. Es ist in 17 Sprachen übersetzt worden und ein absoluter Bestseller. Der Autor B. K. S. Iyengar wurde vom Time Magazine 2004 zu einem der einflussreichsten Männer der Welt gekürt. 2014 verstarb Iyengar im Alter von 95 Jahren. „Wer Yoga übt, entfernt das Unkraut aus dem Körper, so dass der Garten wachsen kann“, hat er über Yoga gesagt. Nun gut, das mag sich zunächst etwas seltsam anhören. Aber es stimmt. Wie viel Unkraut wir alle in unserem Körper tragen, lässt sich alleine schon daran erkennen, dass uns permanent Gedanken und Bilder durch das Hirn rasen, die zum Teil nicht einmal Sinn ergeben. Man könnte jetzt natürlich sagen, na und? Wo ist das Problem? Aber dieses ständige Kopfkino ist anstrengend. Unkraut haftet generell etwas Störendes an. Das gilt auch für das Unkraut im Kopf, das man auch einfach Stress nennen könnte.

      Wir haben es verlernt, unserem Kopf eine Pause zu gönnen. Oder uns so sehr nur auf eine einzige Sache zu konzentrieren, dass unserem Gehirn vor lauter Gedankenquatsch nicht schwindelig wird. Doch Yoga schafft das: dass wir uns voll konzentrieren und für einige Momente einmal an rein gar nichts denken. Das geht wirklich und ist sehr … sagen wir einmal „befreiend“. Das ist das, was Menschen meinen, wenn sie sich nach einer Yogastunde so gut fühlen, aber nicht erklären können, warum. In Wirklichkeit passiert etwas in unserem vegetativen Nervensystem, das für viele von uns nur sehr schwer zu fassen ist. Und das ist der Zauber von Yoga. Neben den verschwindenden Rückenschmerzen natürlich und der neuen Beweglichkeit, den wachsenden Bauchmuskeln und dem besser definierten Gluteus Maximus – den Nebenwirkungen also, die eine regelmäßige Yogapraxis beispielsweise noch so mit sich bringt.

      Es gibt eine Illustration von Janosch. „Herr Janosch, Herr Janosch: Wie heilt man sich selbst?“, steht da über dem Mann in der tigerentengestreiften Latzhose, der auf dem Kopf steht. „Kopfstand. Das ist Yoga, alles wird umgekehrt, und oben wird unten, und kaputt wird voll gut“, ist Janoschs Antwort. Das ist sehr süß und eine schöne Definition für diejenigen, die wie ich der Meinung sind, dass es manchmal hilft, seine Welt auf den Kopf zu stellen. Es erklärt aber nicht alles. Der Essener Psychologe und Mediziner Dr. Holger Cramer bezeichnet Yoga als starke, konzentrierte Hinwendung zum Körper. Das trifft es ziemlich genau. Man achtet einfach besser darauf, was im Körper geschieht. Dass Yoga Auswirkungen auf unseren Körper haben kann, ist vielen Wissenschaftlern nicht entgangen, und daher gibt es mittlerweile unzählige Studien, die sich damit beschäftigen. Spätestens, als Maharishi die Beatles in den 1960er Jahren in die Geheimnisse der Transzendentalen Meditation einweihte, begann auch die westliche Schulmedizin, sich für fernöstliche Methoden zu interessieren. Heute gibt es zum Glück viele Studien über die positiven Eigenschaften von Yoga. Nachzulesen sind sie beispielsweise im Internet auf Pubmed.com, einer Meta-Datenbank mit medizinischen Artikeln.

      Vor allem in den USA wird mehr und mehr Geld in die Yoga-Forschung gesteckt. Und hierzulande zieht man nach. Manche Yogakurse werden von Krankenkassen bezuschusst – jeder, der mit Yoga beginnt, sollte sich über diesbezügliche Möglichkeiten informieren –, und das hat verschiedene Gründe. Beigetragen hat dazu unter vielen anderen Dr. Holger Cramer. Auch er beschäftigt sich mit wissenschaftlichen Studien zum Thema Yoga. Für ihn hat sich bestätigt, dass Yoga eine wirksame Methode gegen Rücken- und Nackenschmerzen ist. Dabei scheinen vor allem körperbetonte Yogaformen wie Iyengar-Yoga oder Viniyoga wirksam zu sein. Die bislang durchgeführten Studien deuten darauf hin, dass Yoga nicht nur vorbeugend, sondern auch schmerzlindernd und heilend auf Nacken- und Rückenprobleme wirken kann. Das liegt daran, dass Yoga die Muskulatur gerade in diesen Bereichen aufbaut, was wiederum dafür sorgt, dass wir eine bessere Haltung einnehmen können.

      In einer seiner Studien fand Cramer heraus, dass bereits neun Wochen regelmäßigen Yogaunterrichts chronische