Название | Homer meets Harry Potter: Fanfiction zwischen Klassik und Populärkultur |
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Автор произведения | Martina Stemberger |
Жанр | Языкознание |
Серия | Dialoge |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783893080076 |
Am fulguranten Erfolg von J. K. Rowlings Werk partizipieren mehrere Aspekte. Zunächst handelt es sich um einen Glücksfall medienhistorischer Synchronizität: Die Publikation der ersten drei Potter-Bände (1997–1999) fällt mit dem Beginn der digitalen Explosion des Genres zusammen. Dazu kommt der die Fanfic-Karriere eines Werkes favorisierende Faktor Serialität: Kreative Fans lieben offene bzw. provisorische Enden, die Ergänzung von ‚Missing Scenes‘ und ‚Missing Moments‘ ist eine einschlägige Kernkompetenz – und ein unendliches Unterfangen, ist doch jede fiktive Welt per definitionem inkomplett (Doležel 1998).
Not in Harry Potter lautet der Titel einer 2007 auf DeviantArt publizierten und über 190 000 Mal aufgerufenen Fic; hier versammelt mayleaf diverse „Quotes/words that should be in Harry Potter but Aren’t“: „‚What are you doing here?‘ Harry asked, bewildered. Draco spun around, did a double-take, then glared at Harry and made an obscene hand gesture“… Beinahe überflüssig zu bemerken, dass das Subgenre Slash – u. a. in der Konstellation ‚Drarry‘ – sich auch in diesem Fandom beträchtlicher Popularität erfreut. Eine auf den ersten Blick harmlose Passage gegen Ende des vierten Bandes, da Dumbledore Sirius aufträgt, sich eine Weile bei Lupin bedeckt zu halten („Lie low at Lupin’s for a while […]“), inspiriert unzählige Fans zur Spekulation darüber, was während jenes Sommers zwischen Goblet of Fire und Order of the Phoenix dort so alles getrieben wurde, d. h. immer wieder aufs Neue variierter Remus/Sirius-Slash (FL: „Lie Low at Lupin’s“).
Wohl wäre, so Coppa (2017: 58), der Erfolg von Harry Potter noch größer gewesen, hätte Rowling auf den Epilog in Band 7 verzichtet – mit dem die Autorin mittlerweile selbst nicht mehr recht glücklich ist (Nordyke 2014). Nicht umsonst bildet sich eine eigene Kategorie sogenannter EWE-Potterfiction, d. h. ‚Epilogue? What Epilogue?‘, den zu ignorieren bzw. durch ihre alternative Version zu ersetzen rebellische Fans entschlossen sind; über 7 000 EWE-Potterfics finden sich nach aktuellem Stand allein auf dem Portal Archive of Our Own.
Bei besagtem Archive of Our Own (kurz AO3), gegründet 2008, handelt es sich um das nach FFN zweitgrößte, derzeit am stärksten wachsende Fanfiction-Portal mit über drei Millionen registrierten User*innen und an die sieben Millionen ‚Fanworks‘, davon allein zu Harry Potter über 270 000 Stories, deren populärste es per November 2020 auf weit über eine Million Aufrufe bringt (megamatt09: The Breeding Ground, 25.10.2015). Hinter AO3 steht die seit 2007 aktive Non-Profit-Organization for Transformative Works alias OTW, die auch das Wiki Fanlore und das der Archivierung potentiell bedrohter „fanworks for the future“ gewidmete Open-Doors-Projekt betreibt (FL).
Fanfiction findet sich auch auf einer Reihe nicht exklusiv auf das Genre fokussierter Plattformen und Portale (Kowalczyk 2014): Wattpad, das seine Services als „[t]he world’s most-loved social storytelling platform“ bewirbt, verfügt über eine aktive, v. a. auf Celebrities und Comics konzentrierte Community, auch Quotev bietet eine einschlägige Rubrik; weitere Fanfiction beherbergen FicWad, FictionPad ebenso wie das LiveJournal; DeviantArt – seiner Selbstpräsentation nach „the largest art community in the world“ – setzt den Fokus auf digitale bzw. digitalisierbare bildende Kunst, bietet aber auch ein reiches Fanfic-Repertoire. Dominieren in den Anfängen der Online-Fanfiction einige zentralisierte Archive, so folgt in der Blütezeit sozialer Medien in den 2000ern eine Phase der Dissemination; angesichts zusehends unüberschaubarer Dimensionen geht der Trend zurück zu großen Multi-Fandom-Archiven wie FFN und AO3. Daneben bestehen weiterhin viel enger definierte Single-Fandom-Formate, so das den X-Files gewidmete Gossamer Project oder die für My Little Pony: Friendship is Magic reservierte FIMFiction. Das Angebot ergänzen Portale wie Asianfanfics, „a digital publishing and crowdfunding platform for works centered around Asian entertainment“ – auch dies auf Englisch wohlgemerkt.
„I appologize for my English“: Fanfiction zwischen den Sprachen und den Kulturen
Englisch ist natürlich die lingua franca auch der Fanfiction-Welt. Sendlors (2011) bis heute standardmäßig zitierter FFN-Detailstatistik zufolge waren im analysierten Jahr 2010 57 % der identifizierten Accounts in den USA lokalisiert, gefolgt vom UK mit 9,2 % und Kanada mit 5,6 % (Deutschland findet sich nach Australien, den Philippinen, Frankreich, Mexiko, Indonesien, Brasilien und Indien auf Platz 11); angesichts der Werbenetzwerk-Kooperationen des Portals hat diese Distribution konkrete kommerzielle Implikationen. Dennoch wurde auf FFN im selben Jahr aus mindestens 173 Ländern zugegriffen; entsprechend viele User*innen von außerhalb der Anglosphäre sind hier aktiv.
„I appologize for my English :PP“ [sic] (contatlooby, FFN, 12.11.2012): Trotz vermeintlich oder tatsächlich defizitärer Kenntnisse bedienen sich auch diese Non-Natives sehr häufig des Englischen, um ein möglichst großes Publikum zu erreichen und nebenbei – oft angeführte Motivation – die eigene Sprachkompetenz zu verbessern. „[…] as you’ll probably suspect by reading my work, I’m Italian […]“, stellt sich unter dem selbstironischen Pseudonym „Master of Fangirling Art“ die Verfasserin zweier Resident-Evil-Fics auf FFN vor: „Being a non native english speaker, my writing may result weird sometimes […]. But I try to do my best and I’m so grateful for this chance to improve my writing skills and my vocabulary as well“ (Profil: 06.03.2019).
Bei aller Dominanz des Englischen als Kommunikations- und Literatursprache sollte man – wie es in den stark anglo-amerikanisch geprägten Fan Fiction Studies mit ihrem quasi-exklusiven Fokus auf „Western Anglophone media“ (Hellekson/Busse 2014: 2) häufig geschieht – allerdings nicht übersehen, dass Fanfiction ein ebenso internationales wie polyglottes Genre ist. „The first thing that should be said about Russian fandom is that it exists“, eröffnet Prassolova (2007) ihre Einführung in das russischsprachige Harry-Potter-Fandom: „It may come as a surprising and as a somewhat baffling statement, but not many people within English-language fandom realize that fandom is an international phenomenon […].“
Von besonderem Interesse sind dabei jene Transformationsprozesse, die mit dem Export englischsprachiger Fankultur und -terminologie einhergehen. Aus dem Star-Trek-Fandom – konkret aus Paula Smiths Parodie A Trekkie’s Tale (1973) – stammt z. B. der Typus der Mary Sue, Inbegriff der idealisierten Superheldin, die im Rahmen naiver Self-Inserts v. a. die Produktion jugendlicher Debütantinnen heimsucht und deren Status aus feministischer Perspektive kritisch diskutiert wird: Warum sorgt Mary Sue für so viel mehr Häme als ihr männliches Pendant Gary Stu (bzw. Marty Stu)? Die russische Fankultur übernimmt jedenfalls auch Mary Sue – und macht daraus Maška bzw. Mėris’ja, der bei Akitosan eine Metamorphose zum auch grammatikalisch maskulinisierten Mėrisij widerfährt (Mėris’ja v Zakarman’e [Mėris’ja im Land hinter den Taschen], Ficbook, 19.03.2016).
Umgekehrt speisen sich westliche Fandoms aus internationalen Importen: Aus der Manga/Anime-Tradition stammen Kategorien wie Lemon und Lime zur Bezeichnung sexuell expliziter resp. dezenter erotischer Inhalte; ebenso Subgenres wie Yaoi alias Boys’ Love bzw. – in der manchmal synonym gesetzten Softcore-Variante – Shōnen-ai (weibliches Äquivalent: Yuri bzw. Shōjo-ai), die auf ältere literarische Texte re-projiziert werden. So im Fall einer als „Shojo-aï, lime“ etikettierten Fic zu Colettes Claudine à l’école (Gossip Coco: Contre son corps, FFFRa, 30.06.2013) oder der bereits zitierten Shōnen-ai-RP-Fic La vera storia di Publio Virgilio Marone.
Im skizzierten Kontext asymmetrischer Globalisierung entstehen non-anglophone Portale, die von vornherein aus der Defensive agieren – was gelegentlich zu Inkonsequenzen führt. So verbietet FanFiktion.de als „deutschsprachiges Archiv“ im Prinzip „[n]icht in deutsch geschriebene Geschichten und Gedichte“, räumt dabei aber eine Ausnahme für „englische Gedichte“ (und nur solche) ein, „die in der Regel toleriert werden“. Fanfiction-Sites sind nicht national, sondern nach Literatur-/Kultursprachen organisiert; so adressiert Fanfic Fr die gesamte „communauté francophone“: