Odenwaldjagd. H. K. Anger

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Название Odenwaldjagd
Автор произведения H. K. Anger
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839267745



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gewebten Tweedstoff waren in Sachen Countrymode für den britischen Gentleman zwar der letzte Schrei, weckten in Gunter Haase jedoch Erinnerungen an einen Motorradurlaub in den schottischen Highlands, in dem es unaufhörlich geregnet hatte. So schlecht wie das Wetter war damals auch die Laune seiner Freundin gewesen; sie hatte ihm anschließend den Laufpass gegeben. Der Gesichtsausdruck des Kriminalrates verhieß ebenfalls nicht Gutes.

      »Sie wagen es, mich wegen einer Lappalie von einem Polomatch im Georghof wegzuholen? Mitten im vierten Chukker, als wir gerade in Führung lagen?«, polterte Doktor Wölfelschneider los.

      Timo Keil, der vor Eile vergessen hatte, den Fahrradrucksack vom Rücken zu nehmen, warf seinem Vorgesetzten einen anerkennenden Blick zu. »Sie meinen, Sie haben auf einem Polopferd gesessen und mit dem Schläger auf den Ball eingedroschen?«

      Doktor Wölfelschneider zog die Tweedweste mit den fünf braunen Hornknöpfen zurecht, die auf seinem Bauchansatz nach oben wanderte. »Natürlich nicht! Ich gehöre zu den Sponsoren des Clubs.«

      »Ach so.« Timo Keil wirkte sichtlich enttäuscht.

      Gunter Haase verkniff sich trotz des Ernstes der Lage ein Grinsen. Seitdem Inge Wölfelschneider ihren Gatten über Weihnachten und Silvester in ein luxuriöses Landhotel in die Grafschaft Devon entführt hatte, machte der Kriminalrat auf britische High Society. Zum Anzug trug er eine optisch passende Fliege, seine Füße steckten in handgefertigten Oxford Boots. Die Gerüchteküche in der Regionalen Kriminalinspektion kolportierte, dass es dem Kriminalrat nach einem Landhaus im Hochtaunuskreis als Zweitwohnsitz gelüstete. Gunter Haase fragte sich, wann das erste Teegeschirr aus Silber in das Büro des Kriminalrats einziehen würde. Die venezianischen Masken, die bisher dort die Wände verziert hatten, waren seit Kurzem verschwunden.

      »Den Mord an einer jungen Frau würde ich nicht gerade als Lappalie bezeichnen«, meldete sich Kriminalkommissarin Martina Lohse zu Wort. In ihrem schwarzen, zu einem kurzen Pixie Cut geschnittenen Haar waren helle Farbspritzer auszumachen. Gunter Haases Telefonanruf hatte sie beim Renovieren erwischt.

      »Wieso eine Leiche?« Kriminalrat Wölfelschneider runzelte irritiert die buschigen grauen Augenbrauen.

      »Das Bobbelsche, äh, ich meine Frau Knapp, hat bei einer Wanderung im Odenwald eine Tote entdeckt«, bemühte sich Gunter Haase, den Sachverhalt richtigzustellen.

      »Schon wieder dieser Odenwald!«, stöhnte Doktor Wölfelschneider auf.

      »Und schon wieder die Frau Knapp«, fügte Kriminalkommissar Franz-Josef – Frajo – Helferich mit einem breiten Grinsen hinzu. »Unsere verehrte Hobbyermittlerin zieht anscheinend die Leichen an wie ein Haufen Kuhdung die Schmeißfliegen.«

      »Ich glaub nicht, dass sie das mit Absicht macht«, murmelte Martina Lohse. Nachdem Charlie im letzten Mordfall als Einzige die richtigen Rückschlüsse gezogen und das Geflecht aus Lügen und Intrigen aufgedeckt hatte, behandelte die Kriminalkommissarin die Juristin vom Atzeldoal­hof mit Hochachtung. Außerdem waren sich die beiden Frauen auf Anhieb sympathisch gewesen.

      »Nun reden Sie nicht so lange um den heißen Brei herum! Was hat es mit dieser Odenwälder Sache auf sich?« Doktor Kuno Wölfelschneider wurde zusehends ungehaltener. »Am Telefon hat man mir erklärt, dass es sich um einen tragischen Wanderunfall handelt. Der definitiv weder in meine noch in Ihre Zuständigkeit fällt.«

      »Im Odenwald fliegen die Messer halt tief«, murmelte Timo Keil. »Wenn man sich nicht schnell genug duckt, dann: zack!« Zur Verdeutlichung fuhr er mit dem Handrücken an seiner Kehle entlang.

      Martina Lohse warf dem jungen Kollegen einen genervten Blick zu.

      »Lasst uns systematisch vorgehen!«, schlug Gunter Haase vor. »Am besten ist, wir tragen das zusammen, was wir schon wissen.«

      Die Kollegen nickten.

      »Ich fang mal an, weil ich als Erster davon erfahren habe.« Gunter Haase stellte sich vor die mit magnetischer Whiteboard-Farbe bestrichene Wandfläche und schrieb »Telefoneingang: 12.27 h« sowie »Fundort: Kapellenruine Lichten­klingen, Eiterbachtal« in schwarzen Lettern an die Wand.

      »Opfer weiblich, zwischen 30 und 35 Jahre alt, voraussichtliche Todesursache: Schnitt in die Halsgefäße, dabei Durchtrennung der Hauptschlagadern«, diktierte Martina Lohse.

      Doktor Kuno Wölfelschneider verzog angewidert das Gesicht.

      »Was mich wundert«, warf Frajo Helferich ein, »ist das wenige Blut, das wir beim Opfer ausmachen konnten. Ich meine, bei so einem Halsschnitt, da spritzt das Blut doch wie bei einem Springbrunnen heraus.«

      »Du liest zu viele drittklassige Kriminalromane!«, rügte Gunter Haase den Kollegen. »Ich schätze, dass Ulf von der Spurensicherung uns später Näheres dazu sagen wird. Aber ich habe den Eindruck, dass der Täter genau wusste, was er tut.«

      »Ach ja?«, meinte Frajo Helferich skeptisch.

      »Nach der jetzigen Spurenlage müssen wir uns das Geschehen, meiner Meinung nach, so vorstellen«, Gunter Haase blickte in die Runde. »Der Täter oder die Täterin nähert sich dem Opfer mit dem Messer von hinten. Mit einem einzigen Schnitt durchtrennt er die Halsschlagadern. Das Blut tritt in großem Schwall aus, wodurch das Opfer quasi augenblicklich bewusstlos wird. Der Täter legt sein Opfer auf den Boden, dreht die Schnittstelle am Hals nach unten, sodass das Blut nicht, wie Frajo annahm, durch die Gegend spritzt, sondern in den Boden sickert. Die von der Spurensicherung genommenen Proben werden das mit Sicherheit beweisen.«

      »Mag sein. Ich habe trotzdem das Gefühl, dass wir am Tatort zu wenig Blut gefunden haben.« Frajo Helferich setzte einen störrischen Gesichtsausdruck auf. »An dem Kleid waren doch nur ein paar wenige Tropfen.«

      »Weil sie das Kleid zum Zeitpunkt ihres Todes nicht getragen hat«, stellte Martina Lohse fest.

      Timo Keil, der bis dahin an einem losen Fetzen Nagelhaut geknibbelt hatte, blickte erstaunt auf. »Meinst du etwa, dass das Opfer nackt war, als es ermordet wurde? Kann doch nicht sein! Wer rennt schon nackt im Odenwald rum?«

      Doktor Wölfelschneider musste unvermittelt an die Herrenabende in der Freiluftsauna seines Freundes Kurt-Albert am Breitenbach denken und nestelte an seiner Tweedfliege.

      »Herr, schmeiß Hirn!«, entfuhr es Martina Lohse. »Selbstverständlich war das Opfer nicht nackt. Der Täter hat die Frau in ihren normalen Klamotten überfallen und ermordet. Dann hat er sie ausbluten lassen und das Blut abgewaschen. Genügend Wasser stand ihm ja durch den Brunnen zur Verfügung. Nach dem Waschen hat er ihr das Kleid angezogen und sie zurechtgemacht.«

      »Sind inzwischen andere Kleidungsstücke vor Ort gefunden worden?«, wollte Frajo Helferich wissen. »Die Kollegen von der Polizeistation sind doch noch im Einsatz, oder?«

      »Bis jetzt haben sie nichts gefunden.« Gunter Haase fuhr sich mit dem Handballen über die hohe Stirn, hinter der sich ein pochender Schmerz bemerkbar machte. »Von der Mordwaffe fehlt leider auch noch jede Spur.«

      »Wissen Sie überhaupt schon was?«, blaffte Doktor Wölfelschneider den Hauptkommissar an.

      »Wir sind gerade erst vom Tatort zurückgekommen«, versuchte Gunter Haase, sich zu rechtfertigen. »Mit der Auswertung der Spuren und dem Bericht des Pathologen können wir frühestens morgen Abend, realistischerweise wohl eher am Montag rechnen. Schließlich haben wir Wochenende.«

      »Eben.« Timo Keil verschränkte vielsagend die Arme vor der Brust.

      »Noch mal zum Blut und zum Kleid zurück.« Frajo Helferich zeigte sich beharrlich. »Wenn eure Vermutungen stimmen, hat der Täter das Opfer zuerst ermordet und im Anschluss ganz großes Kino veranstaltet: Er hat sie fein säuberlich gewaschen und ihr das mitgebrachte Kleid angezogen. Dann hat er das viele Grün, die Blumen und die Blumenkrone, die Kerzen und die Fähnchen arrangiert. Alles farblich perfekt aufeinander abgestimmt, nichts dem Zufall überlassen. Damit will er der Welt an sich, ergo auch uns, doch was sagen, nicht wahr?«

      »Mit Sicherheit ist das eine Botschaft. Die Frage ist nur, welche«, murmelte Gunter Haase.

      »Für mich hat