Der Schuh. Gabriela Bock

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Название Der Schuh
Автор произведения Gabriela Bock
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783947167913



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Rücken wirst du nie untertauchen können«, bemerkte Robert trocken.

      Inzwischen war ich immer nüchterner und müder geworden. Draußen begann die Dunkelheit einem neuen Morgen zu weichen. Alle Lampen im Zimmer brannten noch. Robert kniete neben mir im Bett. Seine linke Faust war auf mich gerichtet, der Zeigefinger zeigte nach vorn, der Daumen nach oben. Es sah aus, als wenn er gleich auf mich schießen wollte. Es war eine Geste, die Robert schon zu Schulzeiten oft angewendet hatte. Jetzt fand ich es lustig.

      »Bitte«, sagte er, »bitte ergib dich noch einmal.«

      Danach schlief ich tief und fest.

      Am Vormittag zauberte die Sonne etwas Farbe in das kahle, weiße Zimmer. Panik überkam mich. Es war nicht nur spät, sondern auch zwei Tage vor Ostern, und meine Eltern hatten nicht damit gerechnet, dass ich die ganze Nacht wegbleiben würde. Ich warf noch einmal einen Blick auf Roberts schönen Körper und auf sein markantes Gesicht.

      Es würde das letzte Mal sein, dass ich ihn so sah, da machte ich mir nichts vor. Es sollte bestimmt eine Anspielung gewesen sein, dieses: »Ergib dich noch mal.« Eine Anspielung auf meine Passivität beim Sex. Ich war es nun mal, die sich dabei hinschmiss und die einen Mann brauchte, der diese Passivität auszunutzen verstand. Dabei liebte ich intensive Blicke, von denen Robert mir in dieser Nacht ganz viele geschenkt hatte. Vielleicht hätte es kuscheliger und dunkler sein können. Das Ganze hatte schon etwas von einer klinischen Operation gehabt. Entschlossen rüttelte ich Robert wach.

      »Tschüss dann, ich geh jetzt«.

      »Wieso haust du jetzt einfach so ab?«, fragte er verschlafen, sprang aus dem Bett, zog die Stecklaken ab, faltete sie ordentlich und legte sie zurück aufs Bett.

      »Hast du mal im Krankenhaus gearbeitet?«, wollte ich wissen. Soweit mir bekannt war, studierte Robert im fünften Semester Jura.

      »Guter Drill«, meinte er, »fällt mir schon gar nicht mehr auf.« Er hatte sich wieder hingelegt. »Komm bitte wieder ins Bett«, flehte er.

      »Ich muss zurück zu meinem Kind, das ist bei meinen Eltern.«

      Wie konnte einer wie Robert wissen, was in mir vorging?

      »Weißt du, wie geil ich auf dich bin? Das Kind ist mit Sicherheit bei deinen Eltern gut aufgehoben«, sagte er, aber ich stand bereits angezogen in der Tür. »Bitte Emi, bitte beantworte mir noch eine Frage.« Robert setzte seinen alten Robert-Hagedorn-Blick auf, den ich noch vom Schulhof kannte. »Hat es dir schon mal jemand so besorgt?«

      »Glaubst du, du warst mein erster Mann?«, schrie ich ihn an und knallte die Tür zu.

      Die Todesfrage. Unglaublich. Er war auch nicht anders als die Anderen. Wie war ich? Ich, ich, ich! An was anderes konnten sie wohl nicht denken? Waren alle Männer gleich? Warum musste ich nur ständig auf solche Egozentriker stoßen?

      Ich aß mit meiner Mutter zusammen zu Mittag, die den schlafenden Niclas anschließend auf einen Spaziergang mitnahm. Ich ging die Treppe hoch in die Wohnung über ihnen und fiel hundemüde und erschöpft in mein Bett. Diese Wohnung im Haus meiner Eltern zu besitzen, war, außer Niclas, das Beste, was mir je passieren konnte. Meine Eltern hatten das alte denkmalgeschützte Haus mit dem Laden im Erdgeschoss in der Fischpfortenstraße im Zentrum von Hameln erst vor drei Jahren gekauft, nachdem mein Vater sich aus dem gutbezahlten, aber unsicheren Job in der Wirtschaft mit einer Abfindung verabschiedet hatte. Mit diesem ›Kunst-, Trödel-, Briefmarkenladen‹ hatte er sich einen langersehnten Wunsch erfüllt. Das Haus war noch nicht fertig renoviert, aber es war schon jetzt urgemütlich darin. Wenn meine Eltern nicht zuhause waren, wurde es mir manchmal etwas unheimlich in dem alten Gemäuer. Dann war ich froh, dass Pan und Syrinx wachten, unsere Hunde, die ich vor zwei Jahren als Welpen angeschleppt hatte. Beides waren Mischlinge. In dem riesigen schwarzen Pan steckte mit Sicherheit ein Neufundländer, und meine Mutter hatte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als sie die großen Pfoten des Welpen bemerkte. Syrinx war ganz weiß und winzig, mit dem Temperament eines Terriers.

      Mein Vater hatte sich die beiden wohlwollend angesehen, einen Kunstband vorgeholt, auf die Abbildung eines Gemäldes von Peter Paul Rubens und Jan Bruegel gezeigt, auf dem der Gott Pan die Nymphe Syrinx jagt, und gefragt, ob wir die Hunde so nennen wollen. Seiner Meinung nach könnte es nicht besser passen. Damit es keine erotische Jagd werden würde wie auf dem Bild, wurde die Hündin kastriert. Jetzt lag nachts Pan immer etwas träge neben meinem Bett, während Syrinx mal hier und mal da lag und bei jedem neuen Geräusch im Haus sofort zu bellen anfing.

      Als ich erwachte, war es draußen schon dunkel. Mir war, als hätte ich die gesamten schlaflosen Nächte seit Niclas’ Geburt nachgeholt. Die Tür des Schlafzimmers stand offen, ich sah meine Eltern in der Küche sitzen. Mutter gab Niclas gerade das Fläschchen. Was für ein schönes Paar, dachte ich. Sie sahen beide noch so jung aus, als wäre Niclas ihr Baby. Oma und Opa, das passte wirklich nicht zu ihnen, und deshalb hatten wir uns auch geeinigt, genau wie ich es schon seit Jahren tat, sollte Niclas, wenn er erst mal sprechen konnte, auch Franziska und Konstantin zu ihnen sagen.

      Später kläffte Syrinx, als die Türglocke läutete. Robert Hagedorn stand mit einem Blumenstrauß vor der Tür.

      »Besuch für dich, Emi!«, rief Franziska.

      Ich war hastig aus dem Bett gesprungen und in Hemd und Unterhose auf den Flur gerannt.

      »Es tut mir leid, wegen der blöden Frage heute Morgen. Vergiss es bitte«, stammelte Robert.

      Der sonst eher verschlossene Robert verstand sich auf Anhieb gut mit Konstantin, mit dem er noch am selben Abend in dem Laden im Erdgeschoss verschwand. Mein Vater war völlig von den Socken, dass es jemanden gab, der noch viel mehr über Kunst wusste, als er selbst. Aber so war Robert. Wenn ihn etwas interessierte, wollte er am liebsten alles darüber wissen. Franziska fand Robert gutaussehend, besonders geschmackvoll gekleidet. Und er hätte Benehmen, was auch nicht mehr selbstverständlich wäre in der heutigen Zeit.

      Am Abend darauf besuchten wir alle gemeinsam das Osterfeuer. Treffpunkt war wie immer ›dort, wo die Wege sich kreuzen‹. Mit dem selbst gemachten Eierlikör von Helga hielt ich mich absichtlich zurück. Im Schein des Feuers fand ich Robert noch schöner. Später wiederholte sich das Ritual von neulich. Wieder genoss ich Roberts intensiven Blick, nur das Licht war wärmer. Ich registrierte die dunkelroten Wände meiner eigenen Wohnung, das blaue Bettzeug auf dem dunklen Dielenboden, den Mond, der durch das gardinenlose Fenster schien und den langgliedrigen Körper von Robert. Morgens schrie Niclas nach mir und wollte sein Fläschchen. Nachdem ich ihn aus dem Himmelbett genommen hatte, gab ich ihn Robert auf den Arm. Der schaukelte den Kleinen hin und her und wirkte schier verzweifelt, als das Geschrei immer lauter wurde.

      In den darauffolgenden Wochen kam Robert immer vorbei, wenn er Zeit fand. Egal, ob Robert Tintenfische flambierte oder Spaghetti kochte, ob er ein Frühstücksei mit einem Hieb durchschlug oder mit seinen Händen über meinen Körper glitt, was er tat, das zelebrierte er irgendwie. Nach etwas Gelungenem streckte er meist die linke Faust vor, den Zeigefinger nach vorne gerichtet und den Daumen nach oben. Es hätte ein ›Peng‹ gefehlt, aber er sagte nichts, sondern setzte seinen kühlen, etwas überheblichen Robert-Hagedorn-Blick auf.

      In finanziell rosigeren Zeiten hatte ich mal einen gebrauchten Käfer erstanden. Als ich das Auto gesehen hatte, musste ich es einfach haben, auch ohne einen Führerschein zu besitzen. Seitdem stand es die ganze Zeit bei Freunden im Schuppen rum. Jetzt fuhr Robert uns damit in der Gegend umher. Meist nahm er die Kiste einfach mit. Mir war es egal, wo er damit hinfuhr. Beim Kinderarzt hatten sie uns drei für eine nette kleine Familie gehalten, aber ich wusste es besser. Robert hatte mir unmissverständlich klargemacht, dass so was wie Familie für ihn nicht in Frage käme. Er wäre gerade dabei, sich von den überholten, verkrusteten Strukturen seines Elternhauses zu befreien. Mit dieser ehrlichen Aussage konnte ich etwas anfangen. Ich liebte Direktheit, auch wenn sie wehtat, und hasste verlogenes Getue und Gequatsche, genoss Roberts intensiven Blick beim Sex, die Tatsache, dass er einen Führerschein besaß, seine gelegentliche Kritik an meiner Person, besonders wenn es darum ging, dass er mich für völlig unpolitisch hielt, und fand es gut, dass er mir Distanz gewährte und nicht zu sehr in mein Leben eindrang. Trotzdem gab er mir viel und kümmerte