John Henry Newman. Charles Stephen Dessain

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Название John Henry Newman
Автор произведения Charles Stephen Dessain
Жанр Философия
Серия
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 9783947931781



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und die Grundlage der englischen Kirche im Altertum zu erblicken lernte«.24 Wenn auch seine liberalen Neigungen seinen Respekt vor den Kirchenvätern etwas verringerten, so trieb er doch eine Reihe von Studien auf diesem Gebiet, als er in das Oriel College gewählt wurde, und die ersten Jahrhunderte wurden ihm zum Idealzustand der Christenheit. Im Jahr 1825 schrieb er für die Encyclopaedia Metropolitana einen Artikel über Apollonius von Tyana sowie einen Aufsatz über die a priori gegebene Wahrscheinlichkeit der Wunder im Neuen Testament. Ferner plante er für die Encyclopaedia eine Geschichte der ersten drei Jahrhunderte der Christenheit. Im Jahr 1827 beauftragte er den in Deutschland weilenden Pusey, ihm so viele Bände der Kirchenväter wie möglich zu kaufen, welche er im darauffolgenden Jahr während der großen Ferien, mit Ignatius und Justin beginnend, chronologisch zu lesen begann. Zunächst las er sie mit den Augen eines Protestanten und suchte nach den umstrittenen Lehren seiner eigenen Zeit. Später wurde ihm jedoch bewusst, dass ihm auf diese Weise die Hälfte ihres Sinns entgangen war. Dennoch waren diese intensiven patristischen Studien für Newman der Schlüssel dazu, die christliche Offenbarung in ihrer ganzen Fülle wiederzuentdecken. Die Heilige Schrift hatte er bereits studiert und kannte große Teile von ihr auswendig; nun stand ihm auch die zweite große Schatzkammer offen.

      Newman meinte jedoch später, dass, noch bevor seine neuen Studien voll hatten zur Wirkung kommen können, zwei andere Ereignisse ihn durch Gottes Führung davor bewahrten, sich ernsthaft dem religiösen Liberalismus zuzuwenden. Das erste dieser beiden Ereignisse war im Herbst 1827 eine durch Überarbeitung hervorgerufene schwere Erkrankung, nach der er sich zur Erholung in das Haus von William Wilberforce begab. Das zweite Ereignis war der plötzliche Tod seiner geliebten jüngsten Schwester Mary in Brighton, wo seine Mutter nun wohnte. Newman hatte ein herzliches Verhältnis zu seinen Schwestern, Mary aber war sein Liebling gewesen und ihr Tod am 5. Januar 1828 im Alter von neunzehn Jahren war ein schwerer Schlag. Er weckte in ihm erneut die deutliche Vorstellung von einer nicht wahrzunehmenden Welt, unsichtbar, aber wirklicher als die materielle Welt, die nur deren Schleier ist. Im Gedenken an Mary schrieb er seiner Schwester Jemima: »Was für ein Schleier, was für ein Vorhang ist diese Welt der Sinne! Schön, aber dennoch nur ein Schleier!«25

      Am Ende dieses schicksalhaften Monats Januar wurde Hawkins zum Rektor des Oriel College gewählt, worauf Newman seine Stelle als Pfarrer an der Universitätskirche St Mary übernahm. Allerdings erhielt er dadurch keine unmittelbare Verantwortung für die Universität selbst. Zwar hatte er einige Gemeindeglieder in Oxford, doch umfasste seine Pfarrei auch das arme Dorf Littlemore, das drei Meilen entfernt lag und noch keine eigene Kirche hatte. Newman begann bald damit, die dortigen Gemeindeangehörigen zu besuchen und den Kindern Religionsunterricht zu erteilen. Bald danach zogen seine Mutter und seine Schwestern in die Nähe von Littlemore, wo seine Mutter 1835 den Grundstein für eine Dorfkirche legte. Newman war weit davon entfernt, sein pastorales Wirken auf diese Pfarrei zu beschränken. Vielmehr war in seinen Augen auch sein Amt als Tutor am Oriel College eine pastorale Aufgabe, was zu ernsten Meinungsverschiedenheiten mit dem neuen Rektor führte. Ab dem Zeitpunkt seiner Ernennung zum Tutor, die nicht befristet war, hatte Newman es für seine Pflicht gehalten, den reichen Aristokratensöhnen unter den Studenten, deren Benehmen oft skandalös war, entgegenzutreten. Wenn er auch hier nicht als Missionar zu wirken hatte, so bekleidete er doch ein Amt, in dem er das Evangelium predigen musste. Daher bestand er hartnäckig darauf, dass seine Schüler sich ordentlich anstrengten und dazu immer wieder ermuntert wurden. Aus diesem Grunde reorganisierte er zusammen mit den anderen Tutoren Robert Wilberforce und Hurrell Froude das System des Unterrichts, was zu einem deutlichen Anstieg in der Zahl der bei Prüfungen erfolgreichen College-Angehörigen führte.

      Hawkins jedoch, für den das Tutorenamt rein weltlichen Charakter hatte, erhob Einwände gegen das Vorgehen der Reformer und weigerte sich, ihnen Schüler zuzuweisen. So hatte Newman ab 1831 keinen Schüler mehr, und die Zahl der Prüfungsbesten aus dem Oriel College sank erneut. Genau zu diesem Zeitpunkt, im April 1831, bat ihn der Verleger Rivington, ein Buch über die frühen Konzilien der Kirche als Teil einer theologischen Bibliothek zu schreiben. Aus Dankbarkeit für seine Mühen hatten ihm seine Schüler weitere Werke der Kirchenväter geschenkt und Newman machte sich, gestützt auf die Primärquellen, ans Werk. Bald wurde ihm klar, dass er sich auf das erste Konzil, also das von Nizäa, beschränken musste. Je mehr er mit der Arbeit voranschritt, umso mehr reifte in ihm die Überzeugung, dass die frühe Kirche der wahre Exponent der geoffenbarten Lehre der Christenheit war. Ende Juli 1832 war das Buch vollendet, das ein Jahr später unter dem Titel The Arians of the Fourth Century (»Die Arianer des vierten Jahrhunderts«) herauskam.

      Diese Arbeit, Newmans erstes Buch, ist thematisch viel weiter gespannt, als ihr Titel vermuten lässt. Viele Jahre danach schrieb ihm Döllinger: »Kommende Generationen werden Ihre Arbeit über die Arianer als Modell für Untersuchungen dieser Art lesen und studieren.«26 Newmans Hauptaugenmerk galt einem der großen Probleme der Offenbarung, nämlich der sich im Verlauf der Zeit immer wieder ergebenden Notwendigkeit, die in der Heiligen Schrift enthaltenen Wahrheiten zu definieren und zu durchdenken. Das Konzil von Nizäa lieferte eines der frühesten und berühmtesten Beispiele für diesen Prozess. Newman räumte ein, dass es abstrakt gesehen ideal wäre, die Glaubenswahrheiten ohne Glaubensbekenntnisse, Formeln und Definitionen festzuhalten, aber seit der Zeit der Apostel hatte es sich als geboten erwiesen, die Offenbarungswahrheiten in eine systematischere Form zu bringen, als sie in der Schrift berichtet werden, und zwar sowohl um der Bekehrten willen als auch um den Angriffen der Häretiker widerstehen zu können.

      »Die Idee, die grundlegenden Glaubenslehren zu verwerfen oder zu kritisieren, wäre der Natur der Sache nach den Christen der Urkirche kaum gekommen. Diese Lehren waren Gegenstand der apostolischen Tradition; sie waren ja gerade jene Wahrheiten, die erst unlängst der Menschheit geoffenbart worden waren. Sie waren dem Schutz der Kirche anvertraut, die sie denen, die nach der Wahrheit suchten, als einen Gunstbeweis vermittelten. Es waren Fakten, keine Meinungen.«27

      Das schrieb Newman am Anfang des zweiten Kapitels. Aber wurden die in der Schrift geoffenbarten Wahrheiten erst einmal zu Streitpunkten, dann war es unerlässlich, sie strenger zu formulieren selbst auf die Gefahr hin, dass man etwas zu erklären unternahm, was zu erklären menschliches Vermögen übersteigt. Wie es zu solchen Dogmenformulierungen kam, zeigt Newman am Anfang des dritten Kapitels, wo er darstellt, wie Kaiser Konstantin das Konzil von Nizäa einberief:

      »Der Friede ist in einem so hervorragenden Maß das Ideal christlicher Einstellung, christlichen Verhaltens und christlicher Selbstzucht … dass ihn ein heidnischer Soldat und Staatsmann fast zwangsläufig für das einzige Gebot der Frohbotschaft halten musste. Es hätte eines viel geschärfteren moralischen Blicks bedurft, um jene Grundlage zu erkennen und zu akzeptieren, auf die sich der Friede in der Schrift gründet, nämlich sich dem Anspruch der Wahrheit als erster Autorität in allen Fragen des politischen und privaten Verhaltens zu unterwerfen; zu begreifen, wie der Glaube an ein bestimmtes Credo Vorbedingung göttlichen Wohlgefallens ist, wie die soziale Verbindung aus der Einheit der Überzeugungen entspringen soll, die Liebe der Menschen aus der Liebe Gottes, und dass daher der Eifer für die Wahrheit in der Reihenfolge der christlichen Tugenden vor der Güte steht.«

      Religiöse Meinungsverschiedenheiten sind »nichts anderes als die Geschichte der Wahrheit in ihrem ersten Stadium der Bewährung, wenn sie danach strebt ›rein‹ zu sein, bevor sie ›friedfertig‹ sein kann«.28

      Für Newman lag die Schuld für die arianische Häresie bei der Schule von Antiochia, während seine Sympathie der Schule von Alexandria, also Clemens, Origenes und Athanasius, galt. Seine Untersuchung dessen, was die Kirche vor Nizäa lehrte, gehört zugleich zu den besten Ausführungen über die Trinitätslehre, die je in Englisch geschrieben wurden.29 Erst durch Newman begriffen viele seiner Zeitgenossen, was es bedeutete, sich zu einer Offenbarungsreligion zu bekennen, dass diese nicht nach ihrer emotionalen Wirkung beurteilt werden wollte, sondern Annahme und Verwirklichung verlangte.

      In seinem Buch ließ Newman – wie auch in seinen frühen Predigten – gelegentlich eine gewisse jugendliche Intoleranz erkennen. Zunächst hatte er zu jener Minderheit in Oxford gehört, die sich für die Emanzipation der Katholiken einsetzte. Als aber Sir Robert Peel, ein Gegner dieser Emanzipationsbewegung, umschwenkte und zu ihrem