»Ich habe wundervoll geschlafen.«
»Das ist gut, da werden sich Anne und der Doc freuen.«
»Du kannst doch nicht einfach nur Anne sagen, Patty.«
»Sie hat es mir aber erlaubt, Frau Cornelius ist zu lang.«
»Ja, wenn sie es erlaubt hat! Ich gehe jetzt ins Bad. Willst du nicht auch duschen und Zähne putzen?«
»Hab’ ich doch schon, ich bin schon lange wach.«
Maxi erkannte ihren Sohn kaum wieder. Ob das an der Atmosphäre lag, die hier herrschte, an dem Frieden, der Wärme, dieser weichen Luft, die sie umschmeichelte?
Der Frühstückstisch war für sie gedeckt. Dr. Cornelius war schon bei seinen Patienten, Anne kam aus dem Büro und wünschte ihnen fröhlich einen guten Morgen.
Maxi sagte, daß sie so gut schon lange nicht mehr geschlafen hätte. »Man sieht es Ihnen an«, meinte Anne und lächelte zufrieden.
Maxi konnte sich auch nicht erinnern, wann ihr ein Frühstück jemals so gut geschmeckt hatte wie an diesem Morgen. Sie schuldete Daniel und Fee Norden soviel Dank, denn hier fühlte sie sich sicher, hier brauchte sie keine Angst um Patrick zu haben. Hier sammelte sie auch Kräfte, um Angriffen aus dem Hinterhalt widerstehen zu können.
*
Fee war beruhigt, gute Nachrichten von der Insel zu bekommen.
Von Bess Melvin gab es noch immer keine Spur. Robert Schwerdt hatte einen Selbstmordversuch unternommen durch einen Schuß in den Kopf. Er lag im Koma. Seine Vergangenheit war durchleuchtet worden, aber es gab nur ein paar Affären mit Frauen, die gegen ihn sprachen. Allein Bess Melvin schien ihn erpreßt zu haben. Über sie hatte man bei ihm auch Notizen gefunden, die er anscheinend gesammelt hatte, um seinerseits auch sie unter Druck setzen zu können.
Gambill war aus anderem Holz geschnitzt als Schwerdt. Er war nicht zu fassen. Er hatte zweimal Monika Dannenberg angerufen, sie aber nicht aufgesucht, als sie ihm sehr energisch erklärt hatte, daß Maxi und Patrick nicht mehr in ihrem Haus lebten und sie die Polizei rufen würde, wenn er es wagen sollte, bei ihr zu erscheinen. Wo er sich jetzt aufhielt, wußte auch Kommissar Fechner nicht.
Maxi weilte schon eine Woche auf der Insel der Hoffnung, als Wanderer zufällig eine Frauenleiche in einem Waldstück fanden, das zwanzig Kilometer von München entfernt lag. Sie wurde als Bess Melvin identifiziert. Sie war erschossen wurde und mußte etwa zwei Wochen dort gelegen haben.
Jetzt war es ein richtiger Fall, mit dem sich Kommissar Fechner beschäftigen konnte. Er fand bald heraus, daß sie mit derselben Waffe erschossen worden war, mit der Schwerdt sich hatte umbringen wollen.
Er konnte nicht verhört werden, es konnte nur kombiniert werden, was an jenem Tag vor Schwerdts Suspendierung geschehen war, an jenem Abend, als Bess Melvin die Behnisch-Klinik verlassen hatte, um dann spurlos zu verschwinden. Jetzt wußte man, daß sie die Nacht nicht überlebt hatte. Sie mußte sich mit Schwerdt getroffen oder ihn aufgesucht haben.
Was mochte sie von ihm verlangt haben, das ihn schließlich so aufbrachte, daß er zur Waffe griff? Eine Antwort darauf gab es nicht, und wenn Schwerdt auch am Leben blieb, er würde kein normaler Mensch mehr sein. Aber vielleicht hatte er schon genug gebüßt bis zu dem Augenblick, als er sein Leben beenden wollte. Das Schicksal war gnädig, er starb an dem Tag, als die Leiche von Bess Melvin gefunden war.
Über die Tote stand nur eine kurze Notiz in den Zeitungen, in der allerdings auch ihr voller Name erwähnt wurde. Ray Gambill las diese Notiz. Es war nicht so, daß er in Trauer erstarrte, aber er war doch so bestürzt, daß ihm die Zeitung aus der Hand fiel. Nach einigen Minuten der Besinnung überkam ihn jedoch eine gewisse Erleichterung, daß Bess ihm nun in keiner Weise mehr gefährlich werden konnte, denn sie wußte eine ganze Menge über seine Aktivitäten.
Aber wer konnte sie umgebracht haben? Jetzt versuchte er doch, Verbindung zu Schwerdt aufzunehmen, aber nun mußte er erfahren, was mit dem geschehen war.
Er war schlau genug, um diesen Selbstmordversuch mit dem Mord an Bess in Verbindung zu bringen. Er wußte, womit Bess den Professor erpreßt hatte. Es war aber eher beruhigend für ihn, daß Schwerdt jetzt an seinen Verletzungen gestorben war.
Er mußte allerdings seine Pläne aufgeben, doch noch an das Erbe seines Vaters zu gelangen, indem er Patrick in seine Gewalt bekam. Dazu hatte ihm Bess verhelfen sollen, denn er wußte, daß Maxi eher auf alles verzichten würde, als auf ihren Sohn. Er konnte jetzt nichts riskieren, es mußte erst Gras wachsen über diese Geschichten, die alles über den Haufen warfen, was er mit Bess ausgeklügelt hatte.
Er beschloß, vorerst nach England zurückzukehren und sich eine andere Strategie einfallen zu lassen.
Ein Ray Gambill gab so schnell nicht auf. Bess hatte ihn einmal als den Mann mit tausend Gesichtern und dem Leben von drei Katzen bezeichnet. Nun, sie übertrieb ja gern, aber irgendwie stimmte es ihn auch heute noch zufrieden, wenn er an diese Worte dachte. Sein Vater hatte ihn erst nach seiner Heirat mit Maximiliane durchschaut, weil sie dem alten Herrn so wichtig gewesen war und es ihm nicht entging, daß Ray nicht wie ein glücklicher und treuer Ehemann lebte, sondern auch Maxi etwas vorgaukelte. James Gambill war ein kränkelnder Mann gewesen, und als sich Ray von ihm durchschaut fühlte, war es beschlossen, daß sein Leben nicht durch ärztliches Können verlängert werden sollte, und dazu brauchte er Bess.
Sie hatte ihm gute Dienste geleistet, er würde sie doch wohl vermissen. Sie hatte immer eine Idee gehabt, wenn etwas nicht glattging, und ein Risiko hatte sie auch nie gescheut. Wieso war sie in bezug auf Schwerdt unvorsichtig geworden? Hatte sie ihn wirklich für einen kompletten Trottel gehalten?
Er überlegte, ob er es doch auf die sanfte Tour bei Maxi versuchen sollte. Sie war doch immer leicht zu täuschen gewesen und hatte ihn so bedingungslos geliebt. Ja, sie gehörte zu den Frauen, die ihre erste Liebe nie vergaßen. Mit einem süffisanten Lächeln betrachtete er sich im Spiegel. Er hatte immer Erfolg bei Frauen gehabt, er würde den auch weiterhin haben und ganz sicher auch bei reichen. Aber sollte er seine Freiheit verkaufen?
Mit Maxi hatte es Spaß gemacht, sie war so unerfahren, so unbedarft. Sie hatte ihn angehimmelt, und seinem Vater hatte diese Schwiegertochter so gefallen, daß er seinem Sohn manche Eskapaden verziehen hatte.
Er hatte endlich den Tod seines jüngeren Sohnes Nick verschmerzt, als Patrick geboren wurde. Aber wer und was hatte ihn auf den Gedanken gebracht, heimlich sein Testament ändern zu lassen, obgleich Ray ihn völlig unter Kontrolle zu haben meinte?
Was hatte ihn veranlaßt, ihn aus dem Testament streichen zu lassen? Das beschäftigte ihn wieder unentwegt.
Niemand war auf den Gedanken gekommen, daß ihm Medikamente verabreicht wurden, die sein Ende beschleunigten. Maxi schon gar nicht. Sie dachte nie etwas Schlechtes über andere, aber er hatte auch nicht erwartet, daß sie sich von ihm scheiden lassen würde, nicht, daß sie ihm überhaupt mißtraute. Es mußte das Testament seines Vaters gewesen sein, das sie mißtrauisch machte und hatte einen Privatdetektiv beauftragt, ihr Beweise für eine Untreue zu verschaffen, was er auch getan hatte. Sie hatte auch erreicht, daß ihr das alleinige Sorgerecht für Patrick zugesprochen wurde.
Ray ließ sich alles noch einmal durch den Kopf gehen. Es machte ihn wütend, daß er nicht einen Augenblick gedacht hatte, daß sie auf solche Gedanken kommen würde, daß er sie für zu naiv hielt, so weittragende Entschlüsse zu treffen.
»Wir kriegen das schon wieder hin«, hatte Bess ihm versprochen. »Du wirst ihr Patrick wegnehmen, und sie wird jede Summe aus dem Erbe zahlen lassen, um ihn wiederzubekommen.« Sie war so fest davon überzeugt gewesen, daß er daran glaubte.
Jetzt war sie tot, ermordet, und ihr Mörder war auch tot. Schwerdt, dieser Einfaltspinsel, der nichts als seine Karriere im Sinn hatte und seine Seele dafür verkaufte.
Ray überlegte weiter, was Bess jetzt wohl tun würde, um ihm aus der Klemme zu helfen.
Ihm kam tatsächlich eine zündende Idee. Was konnte ihn eigentlich hindern,