Название | Natti |
---|---|
Автор произведения | Camilla Gripe |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711463734 |
Doch das war auch kein Zufluchtsort. Toilette und Waschbekken verbreiteten einen so widerlichen Gestank, daß Natti sich prompt übergeben mußte, allerdings kam nichts als bittere Flüssigkeit heraus, die ihr Sodbrennen nur verstärkte. Sie spülte mehrmals hintereinander und ließ das Waschbecken mit Wasser vollaufen, doch da stellte sich heraus, daß der Abfluß verstopft war. Das ekelte sie so sehr, daß sie immer wieder aufs neue würgen mußte. Sie begann wie wild, Eau de toilette um sich zu spritzen, das half aber auch nichts. Erschöpft schwankte sie aus dem Badezimmer, sank im Flur auf den Boden und schluchzte verzweifelt, ohne daß Tränen kamen.
Nach geraumer Zeit raffte sie sich auf und ging wieder ins Bad. Diesmal richtete sie ihren Blick beharrlich auf die weiße Badewanne, die immer noch sauber und blank war. Sie konzentrierte sich darauf, nur an die saubere Wanne zu denken, an die glänzenden Wasserhähne und das weiße Regal, auf dem eine glatte, gelbe Zitronenseife, ein rosa Badeschwamm und ein paar runde geblümte Flaschen mit Haarwaschmittel in hygienischer Harmonie ruhten.
Natti steckte den Stöpsel ein, ließ warmes, klares Wasser in die Wanne strömen und fixierte währenddessen die grüne Badeseife, die an einer Schnur befestigt war. Sie wußte, daß die Seife nach Kiefernnadeln duftete, wagte aber nicht, den Griff von Daumen und Zeigefinger um ihre Nase zu lockern. Mit weiterhin zugehaltener Nase schälte sie sich aus ihren Kleidern und tauchte in die Badewanne ein.
Das dampfend heiße Wasser umschloß ihren Körper. Sie ließ die Seifen um die Wette schäumen, die Badeseife und der Schwamm veranstalteten eine Regatta auf dem Badewannenmeer, eine kleine Nagelbürste war die Jolle, und die runden Fläschchen verströmten reichlich Kräutershampoo.
Der Duft, der Wasserdampf und die frische Luft, die zur offenen Badezimmertür hereinkam, beruhigten Natti so sehr, daß sie ab und zu den Griff um die Nase zu lockern und vorsichtig einzuatmen wagte. Während die Wärme sich in ihrem Körper ausbreitete, begann Natti sich wohler zu fühlen, ja allmählich sogar fast munter! Sie seifte sich ein und redete sich selbst Mut zu. Bestimmt würde alles noch irgendwie gut werden!
Bald würde Berit kommen, die zuverlässige gute alte Berit! Auf Berit war Verlaß. Dadurch war das Aufräumen schon weniger problematisch. Und wer weiß, vielleicht würde Berit tatsächlich schwach werden, die Hose für hundert Kronen kaufen und damit Nattis Finanzen aufbessern. Das Riesenproblem Plattenspieler mußte bis morgen warten. Das Riesenproblem Nummer zwei, der Hauswirt, mußte dagegen schon heute in Angriff genommen werden. Jetzt gleich nach dem Bad, in ganz neuer Aufmachung. Für geile Frisuren und schwarzen Nagellack hatte der Hauswirt keinen Sinn, da kam man besser mit ungeschminktem Gesicht, höchstens ein Hauch von Wimperntusche und etwas Lippenglanz. Außerdem eine brave, platte Frisur, die Stirnfransen vielleicht mit dem Lockenstab leicht gewellt. Kleidung: adrett und schlicht.
Die Sache hatte nur einen Haken! Natti besaß keine Kleider, die für verärgerte Hauswirte paßten. Nur einen einzigen grauen Pulli. Der Pulli wäre an sich in Ordnung, nur brauchte sie dazu noch einen schön faden, schön langen, schön weiten Rock. Am besten marineblau oder kariert. Weinrot ginge zur Not auch. Doch so etwas besaß sie nicht.
Aber Kerstin! Bestimmt war irgendwo in Kerstins Kleiderschrank genau so ein braver kleiner Rock versteckt. Das wäre eine Untersuchung wert.
Der Gedanke an Kerstins Kleiderschrank machte Natti fast vergnügt. Das war etwas ganz Neues. Sonst pflegte die bloße Vorstellung von gediegenen Nachmittagskleidern, weißen Blusen, gebügelten Hosen und neutralen Röcken zu genügen, um Natti kalte Schauer des Entsetzens über den Rücken zu jagen.
Sie beeilte sich, die letzten regenbogenfarbenen Reste aus dem Haar zu duschen, wickelte sich in ein Badetuch und wollte sich ans Werk machen.
Doch in der Türöffnung zu Papas und Kerstins Schlafzimmer erstarrte sie und begann zu frieren. Das Zimmer vor ihr war nicht das Zimmer, das sie kannte, Papas und Kerstins Allerheiligstes. Das riesige Bett, das das halbe Zimmer einnahm, sah wie ein Schlachtfeld aus, Bettzeug und Kissen waren im ganzen Zimmer verstreut. Die eine Nachttischlampe war ins Bett gefallen, ein Nachttisch war mitsamt Wasserglas und Papas Lesebrille umgekippt, und Natti konnte von der Tür aus nicht feststellen, ob etwas zu Bruch gegangen war. Auf dem anderen Nachttisch war ein Glas über der Bettlektüre ausgegossen worden. Zwei schwarze Herrensocken bildeten die Krönung des Werkes, der eine baumelte über dem Toilettentisch, und der andere ruhte in einsamer Majestät auf der nackten Matratze.
Es war, schlicht gesagt, der reinste Alptraum.
Natti holte tief Luft und huschte zum Kleiderschrank hinüber. Sie bewegte sich, als erwartete sie, daß die Gegenstände jeden Augenblick hochschnellen und sie schlagen könnten, weil sie das alles zugelassen hatte.
Sie zögerte noch kurz, bevor sie es wagte, den Kleiderschrank zu öffnen. Plötzlich war die Wärme vom Bad wie weggeblasen. Ihre bloßen Schultern fröstelten, unter dem Badetuch liefen ihr eiskalte Schauer über den Rücken, so daß sie eine Gänsehaut bekam. Sie sammelte den letzten Rest ihrer früheren Entschlossenheit zusammen und begann mit kalten Fingern die wohlgeordneten Kleiderreihen zu durchkämmen.
Alles, was dort hing, war ihr vertraut: Seidenblusen mit Schleifen, Lambswoolpullis und Acrylwesten in passenden Kombinationsfarben, geschmackvolle Kleider und diskrete Röcke, Hosen aus knitterfreiem Jersey mit Dauerbügelfalten. Aber heute kam es ihr gespenstisch vor, das alles zu berühren – fast wie eine Grabschändung.
»Nur Mut, Natti!« flüsterte sie sich selbst zu. Und nach einem raschen Blick zum Bett hinüber sagte sie entschuldigend: »Ich tu’s für euch!«
Das graue Dämmerlicht, das durch die halb heruntergelassenen Jalousien hereinsickerte, verlieh allem einen unwirklichen Schimmer. Sämtliche Farben waren an diesem verhexten Tag dunkler als sonst.
Plötzlich entdeckte sie das, was sie suchte. Ein schwarz-weißgrau karierter Faltenrock! Als sie ihn rasch vom Bügel nahm, glitt ein anderes Kleidungsstück mit herunter und fiel auf den Boden. In diesem Augenblick läutete das Telefon! Sie packte den Rock und das heruntergefallene Kleidungsstück und stürzte wie ein überrumpelter Dieb aus dem Zimmer. Im Flur schloß sie die Tür hinter sich und lehnte sich kurz dagegen, um Atem zu holen, während das Telefon weiterläutete. Das Badetuch hatte sich gelockert und hing jetzt wie ein erbärmlicher nasser Lappen an ihr herunter.
Es dauerte mehrere Sekunden, bis sie endlich am Telefon war. Ach du lieber Himmel! Wenn das nur nicht Berit ist, die mir absagen will, dachte sie. Das wäre zuviel!
Natti meldete sich:
»Ach so, du bist es ... Ich war gerade in der Badewanne ... gut ... in der Badewanne, hab ich doch gesagt ... Berit kommt nachher ... Nein, wir wollen nirgends hin, nur ein wenig fernsehen ... Nein, jetzt ist niemand hier ... Wieso, was heißt da komisch? Ich klinge doch nicht komisch! ... Also, ich hab gerade gebadet und bin klitschnaß! Unterhältst du dich etwa gern, wenn das Wasser an dir runtertropft? ... Also, bitte ... Nein, wir gehen nirgends hin, hab ich gesagt! Hörst du schlecht? ... Das hab ich dir doch schon gesagt, daß ich das nicht will ... Nein, ich bin lieber allein ... Was ist denn auf einmal an Ostern so aufregend? ... Du hast doch Lennart ... Aha, ich soll also als fünftes Rad am Wagen dabeisitzen. Einfach super ... eine Menge uralter Leute ... Ja, klar, die ist zwölf Jahre alt. Was soll ich mit der denn anfangen? Mit Puppen spielen? Mensch ärgere dich nicht? Wirklich umwerfend! ... Ich will trotzdem nicht. Jetzt muß ich mich anziehen. Berit kommt gleich. Ja, hab ich ... Fischstäbchen ... Doch, ich komm gut allein zurecht ... Bin ja schließlich kein kleines Kind mehr ... Tschüs!«
Mit einem Seufzer legte Natti den Hörer auf. Annette mit ihrem ewigen Gerede, daß Natti sie über Ostern besuchen sollte, ging ihr mächtig auf die Nerven. Aber jetzt mußte sie sich sputen. Den Rock anprobieren! Aber was war denn