Название | Petrus Canisius |
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Автор произведения | Mathias Moosbrugger |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783702239312 |
Es war genau die Zeit, in der sich auch der Teenager Peter Kanis immer klarer wurde, dass ihm seine religiösen Überzeugungen ähnlich wichtig waren. Das hatte in seinem Fall zwar nicht das Martyrium bedeutet. Aber er war am Ende der 1530er Jahre doch im Begriff, sein bisheriges Leben als wohlhabender Nimwegener Patriziersohn mit glänzenden Aussichten auf eine erfolgreiche großbürgerliche Zukunft wegen seiner religiösen Überzeugungen aufzugeben. Wie bei den Londoner Kartäusern waren das nicht irgendwelche religiösen Überzeugungen; es war keine jugendliche Aussteigerspiritualität, die ihn zu diesem Schritt motivierte. Er war vielmehr zutiefst von der Überzeugung durchdrungen, dass nur der Glaube der römischen Kirche der wahre christliche Glaube war. Genau für diesen Glauben war er bereit, sein bisheriges Leben vorbehaltlos aufzugeben. Als etliche Jahre später das Gerücht gestreut worden war, dass der katholische Vorkämpfer Petrus Canisius nun doch zur Reformation übergelaufen sei, goss er diese feurige Überzeugung von der Heilsnotwendigkeit der katholischen Kirche, für die sogar der Einsatz des eigenen Lebens kein zu hoher Preis war, in ein entsprechend feuriges Bekenntnis, das er erstmals 1571 und dann immer wieder als Anhang seiner Bücher abdrucken ließ: „Der römischen Kirche, die alle diese Lästerer verachten, […] gehörte ich an und von ihrer Autorität entferne ich mich nicht eine Hand breit: um für sie Zeugnis abzulegen, bin ich bereit, mein Leben hinzugeben und mein Blut zu vergießen“, denn „ich habe die völlige Gewißheit, daß nur in der Einheit mit ihr die Verdienste Christi, des Herrn, und die Heilsgaben des Heiligen Geistes sich auf mich und die anderen Menschen verströmen.“104 Dass der unerschütterliche katholische Bekennermut der Kartäuser einen Katholiken von dieser Machart sehr beeindruckt haben dürfte, ist naheliegend.
In Köln hat Petrus Canisius nicht nur studiert und entscheidende spirituelle Impulse aus dem Umfeld der dortigen Kartause erhalten. Er hat dort mit seinem Erbe auch die erste Jesuitenniederlassung im römisch-deutschen Reich errichtet.
Ausschnitt aus der Großen Ansicht von Köln von Anton Woensam, 1531.
Die Kartäuser waren für den jungen Peter Kanis aber nicht nur wegen ihrer beinharten asketischen Disziplin und ihrer unerschütterlichen katholischen Rechtgläubigkeit eine naheliegende Option für das vorbehaltlos religiöse Leben, nach dem er sich sehnte. Mehr als von all dem fühlte er sich von der tiefen Innerlichkeit ihrer Ordensspiritualität angezogen. Der Kartäuserorden bestand nämlich keineswegs nur aus Mönchen, die „härter als Stein“ waren und „weder mit sich selbst noch mit denen, die mit ihnen leben, Mitleid“ hatten.105 Tatsächlich war das spirituelle Profil der Kartäuser auch und vielleicht sogar in erster Linie geprägt von einer außergewöhnlichen Feinfühligkeit für die Intimität der persönlichen Gotteserfahrung.106 Schon im Spätmittelalter hatten sich dementsprechend Kartäusergemeinschaften intensiv mit mystischen Strömungen im Umfeld der Devotio moderna verbunden.107 Im Fokus dieser in erster Linie im niederrheinisch-flämischen Raum verbreiteten Frömmigkeitsbewegung standen spirituelle Praktiken, die vor allem auf die unmittelbare Begegnung des einzelnen Gläubigen mit Gott abzielten und ursprünglich besonders intensiv von Laien kultiviert worden waren. Das war zwar keine religiöse Biedermeierei, die Religion aus dem öffentlichen Raum herauslösen und auf den privaten Raum beschränken wollte; die Ordens- und Kirchenreform war ganz im Gegenteil ein großes Anliegen der Devotio moderna. Aber es ging doch um eine bewusst ich-zentrierte Religiosität. Die individuelle Begegnung mit dem geheimnisvollen Gott im Inneren der eigenen Erfahrungswelt ohne gesellschaftliche, ja in gewisser Weise sogar ohne kirchliche Hilfsmittel war das eigentliche Ziel.
Diese individuelle Begegnung wurde naheliegenderweise in erster Linie durch religiöse Übungen gesucht, die den Einzelnen zu einer eigenverantwortlichen und höchstpersönlichen Frömmigkeitspraxis herausforderten: Andachtsübungen im Umfeld der Passionsfrömmigkeit sollten das innerliche Mitgefühl für den leidenden Christus anregen; die Praxis des inneren Gebets sollte über auswendig gelernte Gebetsformeln hinausführen und dabei helfen, einen persönlichen spirituellen Stil zu entwickeln; die oft eifrig gepflegte fromme Lektüre sollte dabei unterstützen, sich in einsamer Zurückgezogenheit mit nichts anderem zu beschäftigen als der Bedeutung der christlichen Botschaft für das eigene Leben. Diese stark auf die individuelle Glaubenspraxis bezogenen spirituellen Techniken passten perfekt zum traditionellen kartäusischen Ordensideal der einsamen Gottsuche.108 Sie wurden dementsprechend in vielen Kartausen mit Begeisterung aufgenommen und weiterentwickelt. Die Kartäuser wurden so innerhalb der katholischen Kirche zu den wahrscheinlich wichtigsten Trägern eines selbstbewussten mystischen Christentums, das Kirche nicht vor allem als hierarchische Institution oder als sakramentale Vermittlungsinstanz der göttlichen Gnade betrachtete, sondern in erster Linie als eine Gemeinschaft von engagierten Gottsuchern. Diesen Gottsuchern ging es darum, Gott nicht nur in gewissen abgezirkelten Lebensbereichen wie in der Liturgie oder in kirchlichen Ritualen zu begegnen,109 sondern ihr innerstes und intimstes Seelenleben zu einem Ort dieser Begegnung zu machen.
So ein Gottsucher wollte der junge Peter Kanis mit seinem „zur Mystik hinneigenden kontemplativen Naturell“110 auch sein – und er hatte Glück: Nicht nur war an seinem Studienort Köln eine Kartäusergemeinschaft angesiedelt, die das Zentrum der letzten großen Blüte der Devotio moderna am Niederrhein bildete und sich ganz auf eine solche mystische Form des Christentums eingelassen hatte. Vor allem war sein geistlicher Mentor Nikolaus van Essche dem „Herzen und der Freundschaft nach […] ein wahrer Kartäuser“111, der nur aus gesundheitlichen Gründen nicht in den Orden hatte eintreten können. Van Essche war bereits von entscheidender Bedeutung gewesen für die Anbindung der frommen Frauengemeinschaft um die berühmte Mystikerin Maria van Oisterwijk an die Kölner Kartause. Jetzt hatte er die Chance, auch ihren offensichtlich spirituell ebenso begabten Großneffen Peter Kanis, dem Maria noch im Kindesalter eine große Zukunft als religiöser Schriftsteller vorausgesagt hatte, ins kartäusische Leben der mystischen Gottsuche einzuführen. Und er war ein bemerkenswert hingebungsvoller spiritueller Begleiter. Er leitete Peter nicht nur durch ein striktes Programm aus täglicher Lektüre und Meditation der Bibel und durch regelmäßige geistliche Gespräche zu einem religiösen Leben an. Er warf sich selbst mit seiner ganzen Persönlichkeit in die Waagschale. Er „betete und weinte um mich, segnete und warnte mich, ermahnte mich in Wort und Schrift“112, erinnerte sich Petrus Canisius Jahrzehnte später an ihn zurück. Einmal nahm van Essche sogar die Mühe einer längeren Reise nach Nimwegen auf sich, um seinen Schützling auch in den Ferien mit Nachdruck daran zu erinnern, dass Schulferien nicht auch religiöse Ferien sein durften. Die Suche nach Gott duldete keine Pausen.
Dieses persönliche große Engagement verfehlte seinen Eindruck auf Peter nicht. Er war ja, wie er viele Jahre später im Rückblick feststellte, bereits mit der tiefen Sehnsucht nach Köln gekommen, endlich „eine bestimmte Lebensweise“ jenseits seiner großbürgerlichen Herkunft zu finden, „die mir zum Heil gereicht“113. Dass er sich in Köln bald immer stärker „zu dem frommen Leben der Ruhe und Beschauung, wie es die Kartäuser führen“114, hingezogen fühlte, war kein Zufall. Nikolaus van Essche, dieser Kartäuser ehrenhalber, hatte ganze Arbeit geleistet.
Als van Essche 1538 und damit nach nur etwa zwei Jahren als Peters spiritueller Ratgeber ins heute belgische Diest ging, um dort Pfarrer zu werden, war die Frage für ihn dementsprechend eigentlich nicht mehr, ob, sondern nur noch wann sein Protegé Peter den Schritt in den Kartäuserorden machen würde. Van Essche wusste ihn in Köln auch weiterhin in guten kartäusischen Händen, die das vollenden würden, was er begonnen hatte. Er hatte Peter mit den führenden Köpfen der Kölner Kartause bekanntgemacht. Hier fand dieser religiös hochbegabte Jugendliche Gesprächspartner, die ihn in persönlichen