Название | Deutsche Geschichte |
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Автор произведения | Ricarda Huch |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Sachbücher bei Null Papier |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962817725 |
Immer weiter unterwühlt der titanische Strom die feste Erde. Ein Augenblick kann kommen, wo er nicht nur stärker, sondern auch reiner sein wird als das herrschende Gesetz. War der Tanz um das Goldene Kalb bei den Rechtgläubigen oder bei den Ketzern? Wenn die Regierenden anfangen, Feuer und Schwert anzuwenden, um die Einheit des Glaubens und Denkens zu erhalten, hat Gott sie meistens schon verlassen.
Die heilige Elisabeth und der Deutsche Orden
Unter den deutschen Familien, die wie Sternbilder aus dem Gewimmel der Sterne hervorglänzen, ist die der Grafen von Andechs besonders interessant. Aus den Gaugrafen von Andechs wurden in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts Markgrafen von Istrien und Herzöge von Meran, das heißt Dalmatien. Berthold II., ein Fürst von hervorragenden Gaben, hatte zwei Töchter, Gertrud und Hedwig, von denen die erstere den König von Ungarn, Andreas II., die andere einen Herzog von Polen und Schlesien heiratete. Hedwig nahm sich mit unendlicher Güte der Armen ihres verwilderten Landes an und wurde nach ihrem Tode heiliggesprochen. Ihr Sohn, Herzog Heinrich, warf sich im Jahre 1241 den eindringenden Tataren entgegen und fiel in der furchtbaren Schlacht bei Liegnitz. Gertruds Tochter war die heilige Elisabeth. Bertholds zweiter Sohn, Otto II., dem die Stadt Innsbruck ihre Blüte verdankt, erhielt in der Geschichte seines Landes den Beinamen der Große; mit seinem Sohne Otto starb die Familie aus, die ihren Ursprung auf Karl den Großen zurückführte. Wie es oft der Fall ist, verklärte das Geschlecht sich selbst in seinen letzten Sprossen. Das Schwanenlied der Grafen von Andechs war Opfergesang: sie neigten sich zu den Tiefen des Volkes zurück, über das sie sich hoch erhoben hatten. Wir wissen nicht, ob Elisabeth sich aus Mitleid für die Armen und Kranken dem Dienst der Unglücklichen widmete, oder ob aus Liebe zu Gott und um seinen heiligen Willen zu erfüllen; wahrscheinlich ging beides ineinander über. Sie war von Natur heiter, lachte und tanzte gern, sie liebte ihren Mann und ihre Kinder, vielleicht war der Drang, sich des Lebens zu erfreuen, besonders stark in ihr; aber zugleich lagen ihr die Werke der Barmherzigkeit im Sinn, die Gott fordert: die Hungernden zu speisen, die Dürstenden zu tränken, die Gefangenen zu trösten, die Nackten zu kleiden. Die Kunde von dem, was der heilige Franziskus in Italien tat und predigte, verstärkte die ihr angeborene Neigung, sich ihres Glückes wie eines Raubes zu schämen. Das größte ihr beschiedene Glück war, einen Mann zu haben, der sie liebte und kannte. Sie waren zusammen aufgewachsen, und es war etwas von der zarten Süße geschwisterlicher Selbstverständlichkeit in ihrer Liebe. Er behütete sie, und sie ruhte vertrauensvoll in seiner Güte. Wenn andere ihn besorgt machen wollten, weil sie mit vollen Händen austeilte, beschwichtigte er lächelnd: wenn ihm nur die Wartburg und die Neuenburg blieben. Auf der Wartburg wohnte das junge Paar, und wenn sie die Armen besuchte, so stieg sie wirklich hinunter in das Schattental. Zuweilen bedrängte das Glück ihr Gewissen: war nicht der Ruf an sie ergangen, sich ganz Gott hinzugeben? Wenn sie von der Hungersnot hörte, die im Türinger Lande war, wenn sie die vielen Bettler sah, aus deren Zügen die Not sprach, dachte sie, dass der Herr sagen würde: ich war bei euch, und ihr habt mich nicht gespeist, ich klopfte an eure Tür, und ihr habt mir nicht aufgetan. Wie wenn der Himmel ihrer Gewissensqual zu Hilfe kommen wollte, nahm er ihr das Glück: Ludwig, der menschliche und kluge Fürst, starb in Italien, wohin er gegangen war, um an Kaiser Friedrichs Kreuzzuge teilzunehmen. Seitdem war sie heimatlos auf Erden, sie wollte nichts mehr, als ihr Leben verströmen. Der ihr angeborene Opferdrang mischte sich mit der Sehnsucht nach dem Drüben, wohin ihr Bruder und Gatte vorangegangen war. Sie verließ die Wartburg und begab sich, nachdem sie der Bestattung des Verstorbenen in Reinhardtsbrunn beigewohnt hatte, nach Marburg, wo ihr Witwensitz war. Dass sie vertrieben worden sei, wird für legendarische Erfindung gehalten; gewiss ist, dass Sophie von Bayern, die zweite Frau des Landgrafen Hermann, eine fromme Frau war, die Verständnis für die Religiosität der jungen Gattin ihres Stiefsohns hatte. Zu Lebzeiten ihres Mannes gründete Elisabeth am Fuße der Wartburg ein kleines Spital, in dem zwanzig Kranke verpflegt werden konnten, die sie täglich besuchte. Nun ließ sie in Marburg gleichfalls ein Spital bauen und widmete sich ganz der Krankenpflege. Der Dominikaner Konrad von Marburg, der schon früher ihr Beichtvater gewesen war, und dem sie geistlichen Gehorsam gelobt hatte, übernahm ihre Leitung und soll die Maßlosigkeit ihres Opferwillens eher gedämpft als gesteigert haben. Während sie, was sie an Geld besaß, sofort verschwenden