Im Schatten des Feldmarschalls: Geschichten aus dem Powder-Mage-Universum. Brian McClellan

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Название Im Schatten des Feldmarschalls: Geschichten aus dem Powder-Mage-Universum
Автор произведения Brian McClellan
Жанр Языкознание
Серия Die Powder-Mage-Chroniken
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783966583206



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genug waren, um zu hoffen, dass sie die Nacht überleben und nach der Einnahme der Festung eine Beförderung erhalten würden.

      Verundish fragte sich, ob irgendeiner von ihnen wie sie eine zweite Chance erhalten hatte, es sich noch mal zu überlegen.

      General Tamas war bereits da, als sie sich sammelten. Er betrachtete sie alle mit hinter dem Rücken verschränkten Händen, den Stoßdegen an der Hüfte und die Pistole im Gürtel. Seine Miene war versteinert und undurchdringlich, doch als der Privilegierte Zakary wenig später vorbeikam, war im Schein der Fackeln deutlich zu erkennen, mit welcher offenen Feindseligkeit Tamas den Privilegierten anschaute.

      Zwei Stunden vor Mitternacht betete ein Kresim-Priester für den Erfolg der Angreifer, und den Männern war es gestattet, sich von ihren Freunden und Kameraden zu verabschieden.

      Constaire fand Verundish in der Menge. Er trug seine volle Uniform und eine Muskete in der einen Hand. Sein Degen war an seinem Gürtel festgeschnallt.

      »Wo zur Grube willst du hin?«, fragte Verundish.

      »Noch ist Zeit«, antwortete Constaire. »Du musst es nur sagen, und ich führe den Angriff an.«

      »Nein.«

      Constaire schüttelte den Kopf. »Bitte, Verie. Tu’s nicht.«

      »Ich muss.«

      »Nein«, sagte Constaire. »Du musst nicht.« Er hielt etwas hoch, damit sie es sehen konnte. Es war der Brief, den sie vor drei Tagen von ihrem Ehemann erhalten hatte.

      »Gib das her«, zischte sie und schnappte danach. »Du hast kein Recht, meine privaten Briefe zu lesen.«

      Er zog den Brief weg. »Ich musste wissen, warum du das hier tust. Ich weiß, dass du mich nicht zurück liebst, Verie. Ich wusste, dass es einen Grund geben musste für diese Selbstmordaktion.«

      Sie verpasste ihm eine Ohrfeige. Sie hatte es nicht gewollt, aber einen Moment später hielt er sich die Wange und starrte sie an wie ein verletzter Welpe.

      Sie rieb sich die Hand. »Tut mir leid.«

      »Das habe ich verdient.«

      Ja, hatte er. »Es wird alles in Ordnung kommen«, sagte sie. »Ich muss das hier tun.«

      »Ich werde deinen Mann zu einem Duell herausfordern.«

      »Er würde dich abschlachten.«

      »Sei dir da nicht so sicher.«

      »Das würde er. Er ist ein hervorragender Schwertkämpfer. Es müsste schon jemand wie … wie General Tamas ankommen, um ihn zu besiegen.«

      Constaire verstummte, und Verundish fühlte sich genötigt, einen Schritt nach vorne zu machen und ihn zu umarmen. »Wieso zur Grube tröste ich dich, du Idiot?«, fragte sie, als sie seine Tränen an ihrem Handrücken spürte. »Ich bin diejenige, die ihrem Tod entgegengeht.«

      »Ich bin derjenige, der ohne dich weiterleben muss.«

      Verundish schüttelte den Kopf. »Geh zurück in dein Zelt.«

      »Nein. Ich habe mich freiwillig gemeldet, die zweite Angriffswelle anzuführen. Wenn es dir gelingt, die Bresche einzunehmen, werde ich direkt hinter dir sein. Wir werden uns gemeinsam durch die Festung kämpfen.«

      »Zur Grube. Du bist wirklich ein Narr.«

      Ein Raunen ging durch die Reihen, dass sich das Himmelfahrtskommando auf den Angriff vorbereiten solle. Verundish drückte ihre Lippen auf die von Constaire und machte sich ohne einen Blick zurück auf den Weg an die Front.

      General Tamas wartete bei der Artillerie, die ihren Angriff einleiten würde. Hinter ihm standen vier Privilegierte, deren weiße Handschuhe mit blutroten Runen verziert waren, die im matten Fackellicht schimmerten. Sie betrachteten das Himmelfahrtskommando skeptisch.

      Als sich das Himmelfahrtskommando formiert hatte, sprach Tamas zu ihnen.

      »Dort drüben«, sagte er und zeigte auf die Festung, die eine Meile hinter ihm lag, »ist unser Feind. Sie sitzen in ihren Türmen, wiegen sich in Sicherheit und stoßen an auf einen weiteren Tag, an dem wir versagt haben. Sie danken ihrem heidnischen Gott, dass wir nicht den Mumm haben, ihre Mauern mit Leitern anzugreifen.

      Das wird sich heute Nacht ändern. Heute Nacht werden wir eine Bresche schlagen. Wir werden ihre Festung stürmen und ihren Shah und ihre Privilegierten über die Klinge springen lassen.«

      Den Privilegierten hinter Tamas war es sichtlich unangenehm, als er davon sprach, ihre gurlischen Gegenüber zu töten.

      »Die Eroberung von Darjah wird das Selbstbewusstsein der Gurlaner zerstören, wodurch wir dem Ende dieses verdammten Krieges einen Schritt näherkommen. Und dann, meine Freunde, werden wir alle nach Hause gehen.« Tamas wirkte plötzlich erschöpft und weitaus älter als seine vierzig Jahre. Er lächelte. »Ich habe dieses verdammte, staubige Land satt. Ich will nach Hause und meinen Jungen auf meinen Knien reiten lassen und dann meine Frau mit nach oben nehmen, um sie auf meinen Knien reiten zu lassen.«

      Ein Glucksen ging durch die Reihen.

      »Bringt diese Belagerung zu Ende, Männer«, sagte Tamas. »Geht da rein und macht ihnen ein für alle Mal den Garaus, und im Morgengrauen wird jeder Einzelne von euch, egal ob lebendig oder tot, ein Held sein.«

      Ein leiser Jubelruf ertönte aus der Kompanie, und Tamas hob die Hände, um Ruhe zu haben. »Ich würde mit euch kommen, wenn der König es mir erlauben würde. Bei Kresimir, das würde ich.«

      Aus dem Mund von jedem anderen General wäre das eine Lüge gewesen, aber Verundish wusste, dass es die Wahrheit war.

      Tamas fuhr fort: »Captain Verundish wird euch anführen. Folgt ihr, als würdet ihr mir folgen.« Dann trat er beiseite und machte eine Geste in Richtung Verundish.

      Verundish hob ihren Säbel über ihren Kopf. »Kein Licht. Kein einziges Wort. Wir werden im Schutz der Dunkelheit bis unter die Mauern vorrücken und auf den Donner warten. Wenn die Mauer fällt, greifen wir an.« Sie wartete das Nicken ihrer Männer ab, dann senkte sie den Arm. »Und los.«

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      Verundish durchquerte das zerklüftete Gelände zwischen dem adronischen Lager und der Festung Darjah.

      Ihr Weg wurde nur beleuchtet vom fahlen Mondlicht und den Sternen über ihr, die glitzerten wie die Lagerfeuer einer Armee, die sich über das Himmelszelt erstreckte.

      Seit Monaten lagerten sie jetzt schon hier und tauschten Artilleriebeschuss mit der Festung aus, aber abgesehen von zwei Angriffen war die Landschaft unberührt geblieben. Schakale jagten im hohen Wüstengras, wo sich Hasen und Füchse vor den adronischen Soldaten versteckten.

      Von irgendwo in der Nähe ertönten die Rufe einer Wüsteneule.

      Sie führte ihre Kompanie durch mehrere kleine Rinnen und dann in eine Senke, die bis hin zum Fuß der Festungsmauer führte. Man hatte ihr erzählt, dass die Senke ein Abfluss für den Festungsschacht war, über den die gurlischen Bäder in die Wüste entleert wurden.

      Niemand hatte ihr erzählt, dass so auch Fäkalien abgeleitet wurden.

      Ein Soldat musste bei dem Gestank anhalten, um sich lautstark zu übergeben, sodass sich die gesamte Kompanie in den Dreck kauerte aus Angst vor einem Alarm. Auf den Mauern waren die Umrisse der gurlischen Wachposten im Fackelschein zu erkennen. Keiner von ihnen schlug Alarm, und Verundish befahl ihrer Kompanie mit einem leisen Flüstern, vorzurücken.

      Sie erreichten den Fuß der Mauer und hockten sich hin, um zu warten. Verundish knöpfte sich die Vorderseite ihrer Uniform auf, um es sich bequemer zu machen. Hier draußen würde sie niemand wegen fehlender Disziplin tadeln.

      Sie schätzte, dass sie etwa fünfzehn Minuten Zeit hatten, bevor es losging.

      Es dauerte nicht lange, bis Verundish hörte, wie einer ihrer Männer die Reihen entlang zu ihr gekrochen kam. Sie kniff die Augen