Название | Gesammelte Werke von Cicero |
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Автор произведения | Марк Туллий Цицерон |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027209569 |
Das Lebensalter hat seine bestimmte Bahn, und es gibt nur einen Weg der Natur, und zwar einen einfachen; und einem jeden Abschnitte des Lebens ist seine bestimmte Zeitigkeit zugewiesen, indem die Schwäche der Kinder, die Wildheit der Jünglinge, der Ernst des männlichen Alters und die Reife des Greisenalters etwas Naturgemäßes hat, was zu seiner Zeit benutzt werden muß. 34. Du hast, denk' ich, gehört, mein Scipio, was dein großväterlicher Gastfreund Masinissa 117 noch heute in einem Alter von neunzig Jahren thut. Wenn er eine Reise zu Fuß angetreten hat, so besteigt er durchaus kein Pferd; wenn zu Pferde, so steigt er nicht vom Pferde ab; durch keinen Regen, durch keine Kälte läßt er sich bewegen sein Haupt zu bedecken; er besitzt eine ungemeine Trockenheit 118 des Körpers; daher verrichtet er noch alle Pflichten und Geschäfte eines Königs. So können also Uebung und Mäßigkeit auch im Greisenalter Etwas von der vormaligen Rüstigkeit bewahren.
XI.
Gesetzt, es fehlen im Greisenalter die körperlichen Kräfte; so verlangt man auch keine Kräfte vom Greisenalter. Deßhalb ist unser Alter nach den Gesetzen und dem Herkommen von solchen Geschäften frei 119, welchen man sich ohne Kräfte nicht unterziehen kann. Und daher zwingt man uns nicht zu dem, was wir nicht vermögen, ja nicht einmal zu so viel, als wir vermögen.
35. » Aber viele Greise sind so schwach, daß sie kein Geschäft ihres Berufes oder überhaupt des Lebens verrichten können.« Aber dieß ist kein eigentlicher Fehler des Greisenalters, sondern ein gemeinsamer des Gesundheitszustandes. Wie schwach war des Publius Africanus Sohn 120, der dich an Kindesstatt angenommen hat! von wie zarter oder vielmehr gar keiner Gesundheit! Wäre das nicht der Fall gewesen, so würde er ein zweites Licht des Staates geworden sein; denn zu der väterlichen Geistesgröße war bei ihm noch ein größerer Reichthum an wissenschaftlicher Bildung hinzugetreten. Was Wunder also bei Greisen, wenn sie zuweilen schwach sind, da auch Jünglinge diesem Uebel nicht entgehen können? Widerstand muß man, Lälius und Scipio, dem Greisenalter leisten und seine Gebrechen durch Achtsamkeit ausgleichen. Kämpfen muß man, wie gegen eine Krankheit, so gegen das Greisenalter. 36. Man muß Rücksicht nehmen auf seine Gesundheit, mäßige Uebungen anstellen, Speise und Trank nur in dem Maße genießen, daß die Kräfte ersetzt, aber nicht unterdrückt werden.
Aber nicht allein dem Körper muß man zu Hülfe kommen, sondern in noch höherem Grade dem Geiste und der Seele; denn auch diese erlöschen im Greisenalter, wenn man nicht, wie bei einer Lampe, Oel einträufelt. Der Körper fühlt sich durch ermüdende Uebungen beschwert; der Geist hingegen wird durch Uebung gehoben. Denn unter den Greisen, welche Cäcilius 121 im Lustspiele »alberne Alte« nennt, versteht er leichtgläubige, vergeßliche, unordentliche Greise: Fehler, welche nicht dem Greisenalter überhaupt, sondern nur dem unthätigen, trägen und schläfrigen Greisenalter zukommen. Wie Muthwille, wie Sinnlichkeit mehr Jünglingen als Greisen eigen ist, doch nicht allen Jünglingen, sondern nur den nicht guten; ebenso gehört jene Albernheit des Alters, die man Aberwitz zu nennen pflegt, leichtfertigen Greisen an, nicht aber allen. 37. Vier kräftige Söhne, fünf Töchter, ein so großes Hauswesen, so große Schutzgenossenschaften verstand Appius 122, der alt und blind war, zu beherrschen; denn er hielt seinen Geist wie einen Bogen gespannt und unterlag nicht aus Erschlaffung dem Greisenalter. Er behauptete nicht nur sein Ansehen, sondern auch die Herrschaft über die Seinigen; ihn fürchteten seine Sklaven, ihn achteten seine Kinder; Alle hatten ihn lieb; es blühte in seinem Hause noch der Vorältern Sitte und Zucht. 38. Denn das Greisenalter steht dann in Ehren, wenn es sich selbst vertheidigt, wenn es sein Recht behauptet, wenn es sich Niemandem sklavisch unterwirft, wenn es bis zum letzten Lebenshauche über die Seinigen gebietet. Denn sowie ich den Jüngling lobe, in dem sich Etwas von einem Greise findet; so lobe ich auch den Greis, in dem sich Etwas von einem Jünglinge findet, und wer hiernach strebt, kann wol dem Körper nach Greis sein, dem Geiste nach wird er es nie sein. Ich habe jetzt das siebente Buch meiner Urgeschichte 123 unter Händen; ich sammele alle Urkunden des Alterthums; die Reden über alle wichtigeren Rechtshändel, die ich je vertheidigt habe, arbeite ich gerade jetzt aus; ich beschäftige mich mit dem Rechte der Auguren und der Oberpriester, sowie mit dem bürgerlichen Rechte; auch die Griechische Litteratur treibe ich fleißig, und nach Art der Pythagoreer 124
μηδ' ύπνον μαλακροι̃σιν επ' όμμασι προσδέξασθαι
πρὶν τω̃ν ημερινω̃ν έργων τρὶς έκαστον επελθει̃ν·
πη̃ παρέβην τί δ' έρεξα; τί μοι δέον ουκ ετελέσθη;
αρξάμενος απὸ πρώτου επέξιθι καὶ μετέπειτα
δαιλὰ μὲν εκπρήξας επιπλήσσεο, χρηστὰ δὲ τέρπου.
XII.
39. Nun folgt der dritte Tadel des Greisenalters, daß es, wie man sagt, der sinnlichen Vergnügungen entbehre. O welch ein herrliches Geschenk des Alters, wenn anders es von uns das wegnimmt, was am Jünglingsalter das Fehlerhafteste ist! Vernehmt denn, edle junge Männer, eine alte Rede des Tarentiners Archytas 125, eines vorzüglich großen und herrlichen Mannes, die mir mitgetheilt wurde, als ich in meiner Jugend mit Quintus Maximus 126 in Tarentum war.
»Keine verderblichere Pest«, sagte er, »sei den Menschen von der Natur gegeben als die sinnliche Lust; denn die nach ihr gierig strebenden Triebe würden blindlings und zügellos angereizt sich derselben zu bemächtigen. 40. Hieraus entstehe Verrath des Vaterlandes, hieraus Umsturz der Staaten, hieraus heimliche Unterhandlungen mit den Feinden; kurz, es gebe keinen Frevel, keine Uebelthat, zu deren Ausübung die sinnlichen Begierden nicht anreizten; Unzucht aber und Ehebruch und jede derartige Schändlichkeit werde durch keine anderen Lockungen angeregt als durch die der Sinnenlust. Und der Vernunft, welche dem Menschen sei es die Natur, sei es die Gottheit als das Herrlichste verliehen habe, dieser göttlichen Gabe und diesem göttlichen Geschenke, sei Nichts so feind als die Sinnenlust. 41. Denn wo die Sinnenlust herrsche, da sei für Besonnenheit kein Raum, und überhaupt könne im Reiche der Sinnenlust die Tugend nicht bestehen. Um dieß besser begreifen zu können, fordert er auf sich einen Menschen vorzustellen, welcher von der höchsten Sinnenlust, die man genießen könne, gereizt sei. Niemandem, meint er, würde es zweifelhaft sein, daß ein Solcher, so lange er sich