Название | Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer |
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Автор произведения | Arthur Schopenhauer |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027208456 |
Die Gesetzgebung entlehnt, wie gesagt, die reine Rechtslehre, oder die Lehre vom Wesen und den Gränzen des Rechts und des Unrechts, von der Moral, um dieselbe nun zu ihren, der Moral fremden Zwecken, von der Kehrseite anzuwenden und danach positive Gesetzgebung und die Mittel zur Aufrechthaltung derselben, d.h. den Staat, zu errichten. Die positive Gesetzgebung ist also die von der Kehrseite angewandte rein moralische Rechtslehre. Diese Anwendung kann mit Rücksicht auf eigenthümliche Verhältnisse und Umstände eines bestimmten Volks geschehn. Aber nur wenn die positive Gesetzgebung im Wesentlichen durchgängig nach Anleitung der reinen Rechtslehre bestimmt ist und für jede ihrer Satzungen ein Grund in der reinen Rechtslehre sich nachweisen läßt, ist die entstandene Gesetzgebung eigentlich ein positives Recht, und der Staat ein rechtlicher Verein, Staat im eigentlichen Sinn des Worts, eine moralisch zulässige, nicht unmoralische Anstalt. Widrigenfalls ist hingegen die positive Gesetzgebung Begründung eines positiven Unrechts, ist selbst ein öffentlich zugestandenes erzwungenes Unrecht. Dergleichen ist jede Despotie, die Verfassung der meisten Mohammedanischen Reiche, dahin gehören sogar manche Theile vieler Verfassungen, z.B. Leibeigenschaft, Frohn u. dgl. m. – Die reine Rechtslehre, oder das Naturrecht, besser moralisches Recht, liegt, obwohl immer durch Umkehrung, Jeder rechtlichen positiven Gesetzgebung so zum Grunde, wie die reine Mathematik jedem Zweige der angewandten. Die wichtigsten Punkte der reinen Rechtslehre, wie die Philosophie, zu jenem Zweck, sie der Gesetzgebung zu überliefern hat, sind folgende: 1) Erklärung der innern und eigentlichen Bedeutung und des Ursprungs der Begriffe Unrecht und Recht, und ihrer Anwendung und Stelle in der Moral. 2) Die Ableitung des Eigenthumsrechts. 3) Die Ableitung der moralischen Gültigkeit der Verträge; da diese die moralische Grundlage des Staatsvertrages ist. 4) Die Erklärung der Entstehung und des Zweckes des Staats, des Verhältnisses dieses Zweckes zur Moral und der in Folge dieses Verhältnisses zweckmäßigen Uebertragung der moralischen Rechtslehre, durch Umkehrung, auf die Gesetzgebung. 5) Die Ableitung des Strafrechts. – Der übrige Inhalt der Rechtslehre ist bloße Anwendung jener Principien, nähere Bestimmung der Gränzen des Rechts und des Unrechts, für alle möglichen Verhältnisse des Lebens, welche deshalb unter gewisse Gesichtspunkte und Titel vereinigt und abgetheilt werden. In diesen besondern Lehren stimmen die Lehrbücher des reinen Rechts alle ziemlich überein: nur in den Principien lauten sie sehr verschieden; weil solche immer mit irgend einem philosophischen System zusammenhängen. Nachdem wir in Gemäßheit des unserigen die vier ersten jener Hauptpunkte kurz und allgemein, jedoch bestimmt und deutlich erörtert haben, ist noch vom Strafrechte eben so zu reden.
Kant stellt die grundfalsche Behauptung auf, daß es außer dem Staate kein vollkommenes Eigenthumsrecht gäbe. Unserer obigen Ableitung zufolge giebt es auch im Naturzustande Eigenthum, mit vollkommenem natürlichen, d.h. moralischen Rechte, welches ohne Unrecht nicht verletzt, aber ohne Unrecht auf das äußerste vertheidigt werden kann. Hingegen ist gewiß, daß es außer dem Staate kein Strafrecht giebt. Alles Recht zu strafen ist allein durch das positive Gesetz begründet, welches vor dem Vergehn diesem eine Strafe bestimmt hat, deren Androhung, als Gegenmotiv, alle etwanigen Motive zu jenem Vergehn überwiegen sollte. Dieses positive Gesetz ist anzusehn als von allen Bürgern des Staats sanktionirt und anerkannt. Es gründet sich also auf einen gemeinsamen Vertrag, zu dessen Erfüllung unter allen Umständen, also zur Vollziehung der Strafe auf der einen und zur Duldung derselben von der andern Seite, die Glieder des Staats verpflichtet sind: daher ist die Duldung mit Recht erzwingbar. Folglich ist der unmittelbare Zweck der Strafe im einzelnen Fall Erfüllung des Gesetzes als eines Vertrages. Der einzige Zweck des Gesetzes aber ist Abschreckung von Beeinträchtigung fremder Rechte: denn damit Jeder vor Unrechtleiden geschützt sei, hat man sich zum Staat vereinigt, dem Unrechtthun entsagt und die Lasten der Erhaltung des Staats auf sich genommen. Das Gesetz also und die Vollziehung desselben, die Strafe, sind wesentlich auf die Zukunft gerichtet, nicht auf die Vergangenheit. Dies unterscheidet Strafe von Rache, welche letztere lediglich durch das Geschehene, also das Vergangene als solches, motivirt ist. Alle Vergeltung des Unrechts durch Zufügung eines Schmerzes, ohne Zweck für die Zukunft, ist Rache, und kann keinen andern Zweck haben, als durch den Anblick des fremden Leidens, welches man selbst verursacht hat, sich über das selbsterlittene zu trösten. Solches ist Bosheit und Grausamkeit, und ethisch nicht zu rechtfertigen. Unrecht, das mir Jemand zugefügt, befugt mich keineswegs ihm Unrecht zuzufügen. Vergeltung des Bösen mit Bösem, ohne weitere Absicht, ist weder moralisch, noch sonst, durch irgend einen vernünftigen Grund zu rechtfertigen, und das jus talionis als selbstständiges, letztes Princip des Strafrechts aufgestellt, ist sinnleer. Daher ist Kants Theorie der Strafe als bloßer Vergeltung, um der Vergeltung Willen, eine völlig grundlose und verkehrte Ansicht. Und doch spukt sie noch immer in den Schriften vieler Rechtslehrer, unter allerlei vornehmen Phrasen, die auf leeren Wortkram hinauslaufen, wie: durch die Strafe werde das Verbrechen gesühnt, oder neutralisirt und aufgehoben, u. dgl. m. Kein Mensch aber hat die Befugniß, sich zum rein moralischen Richter und Vergelter aufzuwerfen und die Missethaten des Andern, durch Schmerzen, welche er ihm zufügt, heimzusuchen, ihm also Buße dafür aufzulegen. Vielmehr wäre Dieses eine höchst vermessene Anmaaßung; daher eben das Biblische: »Mein ist die Rache, spricht der Herr, und ich will vergelten«. Wohl aber hat der Mensch das Recht, für die Sicherheit der Gesellschaft zu sorgen: dies aber kann allein geschehn durch Verpönung aller der Handlungen, die das Wort »kriminell« bezeichnet, um ihnen durch Gegenmotive, welches die angedrohten Strafen sind, vorzubeugen; welche Drohung nur durch Vollziehung, im dennoch vorkommenden Fall, wirksam seyn kann. Daß demnach der Zweck der Strafe, oder genauer des Strafgesetzes, Abschreckung vom Verbrechen sei, ist eine so allgemein anerkannte, ja, von selbst einleuchtende Wahrheit, daß sie in England sogar in der sehr alten Anklagungsformel (indictment), deren sich noch jetzt in Kriminalfällen der Kronadvokat bedient, ausgesprochen ist, indem solche