Gesammelte Werke von Charles Darwin (Mit Illustrationen). Чарльз Дарвин

Читать онлайн.
Название Gesammelte Werke von Charles Darwin (Mit Illustrationen)
Автор произведения Чарльз Дарвин
Жанр Математика
Серия
Издательство Математика
Год выпуска 0
isbn 9788027208876



Скачать книгу

Tugenden, wie die Wahrheitsliebe, von einigen wilden Stämmen viel höher anerkannt werden als von andern,277 und ferner warum ähnliche Verschiedenheiten selbst unter civilisierten Nationen bestehen. Da wir wissen, wie stark viele fremdartige Gebräuche und Aberglauben fixiert worden sind, brauchen wir uns darüber nicht zu verwundern, daß die auf das Individuum Bezug habenden Tugenden uns jetzt in einem Grade natürlich erscheinen (da sie in der That auf Nachdenken beruhen), daß man sie für eingeboren halten möchte, trotzdem sie vom Menschen in seinem frühesten Zustand nicht geschätzt wurden.

      Trotz vieler Zweifelsquellen kann der Mensch meistens, und zwar leicht, zwischen den höheren und niederen moralischen Regeln unterscheiden. Die höheren gründen sich auf die socialen Instincte und beziehen sich auf die Wohlfahrt Anderer; sie beruhen auf der Billigung unserer Mitmenschen und auf Nachdenken. Die niedern Regeln, trotzdem manche von ihnen, wenn sie Selbstaufopferung mit im Gefolge haben, kaum den Namen niederer verdienen, beziehen sich hauptsächlich auf das eigene Selbst und verdanken ihren Ursprung der öffentlichen Meinung, sobald diese durch Erfahrung und Cultur gereift ist; denn sie werden von rohen Stämmen nicht befolgt.

      Wenn der Mensch in der Cultur fortschreitet und kleinere Stämme zu größeren Gemeinschaften vereinigt werden, so wird das einfachste Nachdenken jedem Individuum sagen, daß es seine socialen Instincte und Sympathien auf alle Glieder der Nation auszudehnen hat, selbst wenn sie ihm persönlich unbekannt sind. Ist dieser Punkt einmal erreicht, so besteht dann nur noch eine künstliche Grenze, welche ihn abhält, seine Sympathie auf alle Menschen aller Nationen und Rassen auszudehnen. In der That, wenn gewisse Menschen durch große Verschiedenheiten im Äußern oder in der Lebensweise von ihm getrennt sind, so dauert es, wie uns unglücklicherweise die Erfahrung lehrt, lange, ehe er sie als seine Mitgeschöpfe betrachtet. Sympathie über die Grenzen der Menschheit hinaus, d. h. Humanität gegen die niederen Thiere scheint eine der spätesten moralischen Erwerbungen zu sein. Wilde besitzen dieses Gefühl, wie es scheint, nicht, mit Ausnahme der Humanität gegen ihre Schoßthiere. Wie wenig die alten Römer dasselbe kannten, zeigt sich in ihren abstoßenden Gladiatorenkämpfen. Die bloße Idee der Humanität war, soviel ich beobachten konnte, den meisten Gauchos der Pampas neu. Diese Tugend, eine der edelsten, welche dem Menschen eigen sind, scheint als natürliche Folge des Umstands zu entstehen, daß unsere Sympathien immer zarter und weiter ausgedehnt werden, bis sie endlich auf alle fühlenden Wesen sich erstrecken. Sobald diese Tugend von einigen wenigen Menschen geehrt und ausgeübt wird, verbreitet sie sich durch Unterricht und Beispiele auf die Jugend und wird auch eventuell in der öffentlichen Meinung eingebürgert.

      Selbst die theilweise Vererbung tugendhafter Neigungen würde eine unendliche Unterstützung für den primären Antrieb sein, welcher direct aus den socialen Instincten und indirect aus der Gutheißung unserer Mitmenschen entspringt. Nehmen wir für einen Augenblick an, daß tugendhafte Neigungen vererbt werden, so erscheint es wenigstens in solchen Fällen, wie Keuschheit, Mäßigkeit, Humanität gegen Thiere u. s. w. wahrscheinlich, daß sie der geistigen Organisation sich zuerst durch Gewohnheit, Unterricht und Beispiel, mehrere Generationen hindurch in derselben Familie fortgesetzt, eingeprägt haben, und nur in einem völlig untergeordneten Grade, wenn überhaupt, dadurch, daß diejenigen Individuen, welche diese Tugenden besaßen, in dem Kampf um's Dasein am besten fortkamen. Der hauptsächlichste Grund, welcher mich mit Rücksicht auf irgend eine derartige Vererbung zweifeln lassen könnte, liegt in jenen sinnlosen Gebräuchen, abergläubischen Formen und Geschmacksrichtungen, wie das Entsetzen eines Hindu vor unreiner Nahrung, welche doch nach demselben Princip vererbt werden müßten. Obschon dies an sich vielleicht nicht weniger wahrscheinlich ist, als daß Thiere durch Vererbung den Geschmack für gewisse Arten von Nahrung oder die Furcht vor gewissen Feinden erlangen, so ist mir doch kein Zeugnis vorgekommen zur Unterstützung der Annahme, daß auch abergläubische Gebräuche und sinnlose Gewohnheiten vererbt würden.