Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3). Ricarda Huch

Читать онлайн.
Название Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3)
Автор произведения Ricarda Huch
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 4064066388812



Скачать книгу

sein. Mehr und mehr lastete das Bewußtsein auf dem Kaiser, daß er sein Vertrauen diesem Manne, der ihn nicht liebe, geschenkt habe; es war ihm, als hätte er ein Stück von seiner Seele in Langs Hand gegeben und müsse sie um jeden Preis wiederhaben.

      Vor Jahren hatte Tycho de Brahe, der kaiserliche Astronom, in einer mißvergnügten Stimmung den Kaiser vor seinem sechzigsten Lebensjahre gewarnt, während dessen sein Leben durch Mord oder sonstiges Verhängnis in Gefahr schwebe. Zu weiteren Erklärungen hatte sich Tycho nicht bewegen lassen, wie denn überhaupt der hoffärtige Däne seine Aussprüche wie Kostbarkeiten von sich gab, von denen er sich ungern trennte. Von Johannes Kepler, dem armen Schwaben, der um des Glaubens willen Amt und Brot verloren hatte und dankbar sein mußte, in Prag eine Unterkunft zu finden, hatte der Kaiser erwartet, daß er ausgiebiger sein würde; anstatt dessen war von diesem eigensinnigen Manne noch weniger herauszubekommen. Je mehr sich der Kaiser seinem sechzigsten Jahre näherte, desto häufiger lag ihm die Prophezeiung des Tycho beängstigend im Sinne, und eines Abends ließ er seinen Astronomen zu sich bescheiden in der unbestimmten Hoffnung, derselbe könne sie entkräften oder eine tröstliche an ihre Stelle setzen. Kepler, der es nicht vertragen konnte, in der Arbeit gestört zu werden, war ungehalten; er sei nicht des Kaisers Narr, murrte er, indem er seine Mappe zurückstieß, daß die beschriebenen Blätter im Zimmer umherflogen. Da sich seine Frau unter Seufzen anschickte sie aufzulesen, rief er ihr zu, sie solle das lassen. »Wenn ich meinen Brei verbrannt habe, werde ich ihn auch selbst auslöffeln«, sagte er ärgerlich. Warum er sich beklage, sagte jetzt die Frau vorwurfsvoll, daß der Kaiser ihn wie einen Lakaien oder Laufburschen traktiere? Er hätte zeitig vorbauen und als ein Mann von Adel, und der auf seine Würde hielte, auftreten sollen. Auch der Tycho hätte ihn, Kepler, wie einen Diener behandelt, und er hätte sich's gefallen lassen, nur zu Hause könne er den Part des Löwen brüllen.

      Kepler entschuldigte sich, er dürfe es doch mit dem Kaiser nicht verderben, schließlich sei es ja das schlimmste nicht, daß er nachts noch einmal auf das Schloß müsse, so gehe es bei Hofe einmal zu. Der Kaiser habe ihm doch auch Huld und Vertrauen erwiesen, und er habe Ursache, ihm dankbar zu sein. Was nämlich in Prag für Kepler unschätzbaren Wert hatte, waren die Beobachtungen, die Tycho de Brahe in langen Jahren über die Bahn des Planeten Mars angestellt hatte und die er zum Ausbau seines Systems gebrauchte. Als nun nach dem Tode des Tycho seine Erben diese Papiere nebst dem ganzen Nachlaß für sich beanspruchten und dem Kepler nicht zur Einsicht lassen wollten, entschied der Kaiser zu seinen Gunsten, damit er sein Werk vollenden könne.

      Im Schlosse angelangt, erzählte Kepler, in der Meinung, der Kaiser wolle über den Fortschritt seiner Arbeit unterrichtet sein, es gehe rüstig vorwärts, und im Laufe eines Jahres könne er etwas Neues, der Aufmerksamkeit Würdiges im Druck erscheinen lassen. Durch die Berechnungen des Tycho sei er instand gesetzt, den erhabenen Traum des Kopernikus auf die festen Säulen der Wirklichkeit zu gründen, und er zweifle nicht, daß diese Entdeckung den Ruhm des Kaisers vermehren werde, dessen Großmut ihm zum Besitz der dazu notwendigen Hilfsmittel verholfen habe.

      Der Kaiser hörte freundlich und ein wenig zerstreut zu; ob der neue Kalender noch nicht fertig sei? fragte er. Nein, antwortete Kepler, es stehe noch etwas aus, er sei allzusehr in seine große Arbeit vertieft gewesen, hätte auch einen neuen Stern am Himmel beobachtet, was ihm viel Zeit und Gedanken genommen hätte.

      Ein neuer Stern? fragte der Kaiser; was das zu bedeuten habe. Ob es ein Komet sei. Nein, sagte Kepler, ein Komet sei auch sichtbar, aber dieser Stern gebe ihm mehr zu denken. Ob er ihn sehen wolle? Er könne ihn von der Galerie des Belvedere aus beobachten. Die Dienerschaft und die übrigen Anwesenden waren erstaunt, als der Kaiser seine Geneigtheit erklärte, und vollends erschrocken, als er ihre Begleitung ausschlug. Der Kepler solle ihn führen, sagte er, indem er diesen fragend ansah, worauf der lachend antwortete, das getraue er sich wohl, und sehen müsse der Kaiser ohnehin mit seinen eigenen Augen. Es könne der Majestät doch etwas zustoßen, sagte der neue Ofenheizer Rhutsky ängstlich, wenigstens müsse mit Windlichtern geleuchtet werden, und unten vor der Galerie müsse jemand warten, für den Fall, daß der Kaiser etwas benötige. Nachdem alles angeordnet war, ergriff der Kaiser Keplers Arm und ließ sich von ihm durch den Schloßgarten am singenden Brunnen vorüber zum Belvedere führen. Vor dem jähen Anblick der himmlischen Unendlichkeit schloß der Kaiser die Augen und hieß Kepler durch einen Wink mit der Hand einen Sessel dicht an die Mauer rücken, denn er litt an Schwindel. Den Pelz, den man ihm umgehängt hatte, dicht um sich ziehend, obwohl es eine laue Frühlingsnacht war, setzte er sich und blieb eine Weile so, ohne sich zu rühren. Nachdem er sich erholt hatte, wies ihm Kepler erst den Kometen, der als ein schwacher, etwas verschwommener Schein aus dem blaßblauen Himmel auftauchte, und dann den neuen Stern, der sich im Sternbild der Leier zeigte. Wenn er recht aufmerke, sagte er zum Kaiser, werde er sehen, daß dieser Stern anders als die anderen, wie eine stark brennende Fackel aussehe und daß zuweilen rubinrote Zungen darin aufflammten, als ob in einem Hochofen gewisse Stoffe zerschmolzen würden. Er halte dafür, daß es mit diesem Stern seine besondere Bewandtnis habe.

      Was er damit andeuten wolle? fragte der Kaiser aufmerksam, er solle es ungescheut heraussagen.

      »Wie,« sagte Kepler, »wenn es gar kein Stern wäre, sondern eine Welt, die jenseits der uns sichtbaren Sonnenwelten läge und die, durch inneres Gesetz oder unerforschliche Revolutionen erschüttert, untergehend durch unseren Raum stürzte? Dann freilich müßte sie, wie sie aus ihrer, unseren armen Werkzeugen unzugänglichen Entlegenheit herausbrach, auch wieder verschwinden.« Ein neuer Stern müsse einen neuen Kaiser bedeuten, sagte der Kaiser, so viel verstehe er auch von der Sternkunst.

      Ach nein, sagte Kepler gutmütig, indem er sich über den Lehnstuhl des Kaisers beugte, das solle er sich doch aus dem Sinn schlagen. Der Weltensturz, der jetzt dort erscheine, sei vor unmeßbarer Zeit geschehen, als die römischen Kaiser deutscher Nation noch gar nicht vorhanden gewesen.

      Aber umsonst könne er doch nicht erscheinen, beharrte der Kaiser, und auch nichts Geringes zu bedeuten haben.

      Kepler zuckte ein wenig ungeduldig die Schultern und sagte nach einer Weile: »Wenn es so wäre, daß wir, die irdische Luft verlassend, im Äther atmen und in den Weltraum hineinschiffen könnten, dann würden wir Jahrhunderte reisen, bis wir etwa in die Nähe jener Welt kämen. Wenn unser Herz dann von dem Donner der umrollenden Sonnen und dem Anblick der entblößten Allmacht Gottes noch nicht gebrochen wäre, würden wir vielleicht sehen, wie ein aus den Weltentrümmern verjüngter Ball durch den kochenden Ozean rollte. Scheiterte dann unser Schiff in der feurigen Brandung, wer früge danach? Was könnten wir den Erstlingen Gottes gelten?«

      Der Kaiser wendete sich mit mißtrauischem Blick nach Kepler um. Er sei ein Ketzer, sagte er; ob er etwa nicht glaube, daß Gott, der die Menschen erschaffen habe, ihren Lauf und die Stunde ihres Todes wisse? Ob er nicht glaube, daß Gott sie durch Zeichen warnen könne?

      »Alles, was geschieht, geschieht in Gott,« sagte Kepler eifrig, »und also ist Gott allwissend.« Es möchte auch wohl sein, fuhr er fort, daß, da alle Teile der Welt in Gott zusammenhingen, der eine Teil sich im anderen spiegle. Aber so im einzelnen könne man dem nicht nachgehen. Es könnten auch Kaiser auf anderen Sternen regieren, um die sich Gott bekümmern müßte, man könnte da leicht etwas auf den unrechten Ort beziehen. Wolle der Kaiser aber durchaus eine Auslegung von ihm haben, so wolle er ihn mahnen, nach Ungarn zu blicken, weil der Stern dort hinüber aufgegangen sei.

      So gehe es doch auf den Matthias, murmelte der Kaiser, in sich hinein schaudernd.

      Das habe er nicht gemeint, sagte Kepler, mitleidig in das fahle, jammervolle Gesicht des Kaisers blickend. Die Ungarn seien rebellisch, das sei allbekannt, aber es fehle ihm ja nicht an treuen Untertanen. Er wolle den Kaiser nun aber wieder hinunterführen, die nächtliche Kühle könne ihm schaden, und der Komet sei ohnehin schon untergegangen.

      Folgsam stand Rudolf auf, lehnte sich auf Keplers Arm und wandte sich der Treppe zu, ohne noch einen Blick in den Himmel zu werfen, der von unzählbaren aus seiner Unermeßlichkeit quellenden Keimen zitterte.

      Trotz seiner Müdigkeit konnte der Kaiser nicht schlafen. Von Matthias, stöhnte er, von Matthias drohe ihm Gefahr, er sei des Todes, niemand könne ihn retten. Philipp Lang suchte ihn zu beruhigen: hier in der Burg sei er sicher, alle Zugänge seien von zuverlässigen