Название | Im Alten Reich |
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Автор произведения | Ricarda Huch |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 4064066388843 |
Ist die Grundidee stets dieselbe, so gestaltet sie doch jedes Volk anders, nach dem Urbild, das in ihm wohnt, in dem es sich selbst verherrlicht und sich selbst ein Ziel setzt. Der römische König und Kaiser deutscher Nation glich dem deutschen Gotte: er war der Inbegriff der Macht, Weisheit, Güte und Gnade, namentlich der Quell des Rechtes und der Freiheit. Ihm gehörte die Erde, nicht damit er sie für sich ausnutzte, sondern damit er sie allem Volk austeile und wieder einziehe, wenn der Belehnte gestorben war oder seinen Anteil durch Schuld verwirkt hatte. Wie Gott den Menschen verlieh er seinem Volke Freiheit und Verantwortlichkeit, er ließ sie, anstatt sie zu fesseln, in weiten Kreisen wirken und schaffen. So bildeten sich mannigfache Formen menschlichen Zusammenlebens in dieser kaiserlichen Republik aus und ergab sich eine Ordnung, die man, obwohl es nicht an strengen Bindungen, zum Teil rein ideellen, fehlte, im Vergleich zu den Anschauungen neuerer Zeit Anarchie nennen könnte.
Einige Orte, die zu den Kaisern in besonderer Beziehung standen, konnte man immerhin Hauptstädte nennen: Aachen als die alte Krönungsstadt, Frankfurt als die Stadt, wo die Kaiser gewählt, später auch gekrönt wurden, Wien als die Residenz der Habsburger in einer Zeit, als die fließenden Verhältnisse des Mittelalters zu erstarren begannen. Denkt man an Frankfurts Lage am Main, der die deutschen Lande in eine nördliche und südliche Hälfte teilt, und daß es Goethes Heimat ist, so darf man es wohl einen Mittelpunkt des alten Reiches nennen.
Wer auf dem Römerberge vor dem Rathause steht, im Hintergrunde prächtig herrschend den Bartholomäusdom aufragen sieht, den Weg überblickt, den die Kaiser unter Glockengeläute zur Krönung zogen, dem wird, wenn er die Geschichte seines Volkes auch nur in großen Zügen kennt, Stolz und Andacht das Herz ergreifen. Der Bogen, den die das Rathaus umgebenden Häuser bilden, gleicht in seinem sanften Schwunge einem Diadem, dessen Mitte der denkwürdige Römer mit Limpurg und Frauenstein einnimmt. Ungleich schöner, durch wundervolle Schnitzereien reich verziert, überaus vornehm wirkend durch den dunkelschwarzen Ton des Holzes, sind andere Häuser des Platzes, namentlich das Salzhaus; der Römer ist erst in neuester Zeit durch einen Balkon, Kaiserfiguren und Wappen geschmückt, aber immer noch schlicht. Es gibt auch originellere und schmückendere Brunnen als der mit der Justitia, und die Nikolaikirche mit dem graziösen Umgang, von dem aus einst die Ratsherren den Mysterienspielen zusahen, die von Handwerkern und Schülern auf dem Platze aufgeführt wurden, steht vielen anderen Kirchen an Schönheit nach. Gemessen an den Verhältnissen moderner Großstädte, ist der Römerberg und seine Umgebung klein, und auch wenn man von solchen Vergleichen absieht, wirkt er mehr anmutig als gewaltig. Das Anmutige, Maßvolle ist für Frankfurt charakteristisch, ein Patengeschenk vielleicht des schöngewundenen Flusses, an dem die Stadt erblühte. Ein Zug der Anmut und Heiterkeit geht auch durch die Geschichte der Republik, wie sie ihrem Dichter, dem größten Deutschlands, eigen sind, dessen Leidenschaft, Tiefe und Tragik in ihrer Erscheinung durch freie Anmut und Mäßigung gemildert werden. Dessenungeachtet vermittelt der Römerberg die Stimmung historischer Größe, und weht es vom Turme der Nikolaikirche schwarzrotgolden, in den Farben der Sturmfahne des alten Reichs, so ertönt er in einem strahlenden Akkord feierlicher Freude.
Die Entstehung Frankfurts hängt mit dem Namen Karls des Großen zusammen, der auf der Flucht vor den Sachsen hier eine Furt gefunden haben soll, die ihm den Übergang über den Main ermöglichte und ihn und sein Heer rettete. Daß eine bequeme Übergangsstelle schon früh zum Entstehen einer Ortschaft Anlaß gegeben hat, ist wahrscheinlich und sicher, daß Karl der Große sich gern dort aufhielt und dem von ihm leidenschaftlich betriebenen Jagdvergnügen in dem großen Reichsforst nachging, von dem noch Teile um Frankfurt erhalten sind. Im Jahre 794 hielt er eine Kirchenversammlung in Frankfurt ab, und im selben Jahre starb dort Fastrada, die geliebteste seiner Frauen. Die Entstehung Sachsenhausens wird darauf zurückgeführt, daß eine Anzahl sächsischer Familien am jenseitigen Ufer angesiedelt wurden, was den Bau der Brücke notwendig machte. Der Neigung des Ahnherrn folgend, hielten Ludwig der Fromme und Ludwig der Deutsche sich gern in Frankfurt auf und in der Pfalz wurde Karl der Kahle geboren und starben Ludwig der Deutsche und dessen Sohn Ludwig. Einige nehmen an, daß Ludwig der Fromme die alte Pfalz umbaute, andere, daß er eine neue errichtete; die Leonhardskirche am Main und der Saalhof sollen die Stellen bezeichnen, wo sie sich befanden. Alle Kaiser, die sich nach den Karolingern in Frankfurt aufhielten, bewohnten den königlichen Hof, bis auf Heinrich VII.; dann verfiel er. Im Jahre 1353 kaufte ihn ein reicher Patrizier namens Knoblauch, von dessen Erben er im 18. Jahrhundert an die Familie Bernus überging. Nach mehrfachem Umbau ist von der alten Pfalz nur noch eine romanische Kapelle übrig, aber auch diese wohl kaum karolingischen Ursprungs.
Auch von der Salvatorkirche, einer karolingischen Gründung, die der Legende nach den Namen daher hat, daß der Sohn Ludwigs des Deutschen, Karl, dort vom Teufel erlöst wurde, der ihn besessen und zur Empörung gegen den Vater angestiftet hatte, ist keine Spur geblieben, da sie ganz im Dome aufgegangen ist. Ein erhebender Augenblick aus der Zeit der sächsischen Kaiser, der fälschlich nach Quedlinburg verlegt worden ist, hängt mit der alten Salvatorkirche zusammen. Als Otto der Große im Jahre 942 nach glücklicher Beendigung von Kriegen und Empörungen in Frankfurt die Weihnacht feiern wollte, warf sich ihm vor dem Portal der Kirche ein Mann im Büßergewande zu Füßen; es war sein Bruder Heinrich, der nach der Niederwerfung des von ihm geleiteten Aufstandes entflohen war. Der Kaiser stutzte und stieß den Flehenden in der ersten Aufwallung des beleidigten Gefühls zurück. Den Bischof, der ihn an die Aufgabe des Christen mahnte, dem Feinde zu verzeihen, erinnerte er daran, daß er das schon siebenmal getan habe, worauf der Bischof die in der früher beliebten Ballade so gefaßten Worte erwiderte: »Nicht siebenmal vergib – Nein, siebenzig mal sieben – das ist dem Herren lieb.« Rethel hat den Augenblick, wo der Kaiser sich verzeihend zu dem knienden Bruder herabbeugt, auf einem Bilde dargestellt, das auf dem Frankfurter Historischen Museum aufbewahrt wird.
Mit dem Jahre 1239 beginnt die Geschichte des Domes, den wir jetzt kennen. Nach der Art des Mittelalters, wo alle Pläne unter dem phantastischen Szepter der Zeit, des Zufalls und der Notwendigkeit erwuchsen, zog sich der Auf- und Umbau der Kirche bis zum Jahre 1514 hin. In den letzten hundert Jahren entstand der Turm, Pfarrturm genannt, für den erst der Brand des Rathauses, das an der Westseite der Kirche stand, den Platz hatte freimachen müssen. In kraftvoll harmonischer Hoheit erhebt sich Frankfurts steinernes Haupt, anstatt in gotischer Spitze einst endigend, in einer stumpfen Haube, über der in einer Laterne die Sturmglocke hing, die der Sage nach aus reinem Silber gegossen war und vier Zentner wog. Dem Apostel Bartholomäus wurde der Turm geweiht, weil die Stadt kurz vorher in den Besitz der Hirnschale dieses Heiligen gelangt war, die noch im 19. Jahrhundert am Bartholomäustage öffentlich gezeigt und verehrt wurde.
Mit der Gründung des Domes hängt der Beginn einer Einrichtung zusammen, die eine irdisch nährende Quelle der Größe Frankfurts bedeutet, nämlich die Messe. Die neue Weihe der Kirche zu Ehren des heiligen Bartholomäus gab Anlaß zu der Kirchweih, aus der die Messe sich entwickelte, anfangs eine Herbstmesse, zu der etwa hundert Jahre später eine Ostermesse hinzukam. Von den Kaisern begünstigt, erlangte sie bald großen Ruf und legte den Grund zu Frankfurts Blüte als Handelsstadt.
Inzwischen war aus der den römischen Königen gehörigen und von ihnen abhängigen eine freie, sich selbst regierende Stadt geworden. Wie die Dome eine sich oft durch Jahrhunderte hinziehende Baugeschichte hatten, so war auch die mittelalterliche Freiheit nicht etwas Angeborenes oder eine mit einem Male zufallende, einheitliche Gabe, sondern sie wurde erworben, erkauft, erkämpft, stückweise, mit Mühe und durch Glück, ein goldenes Kleinod, vielmal in Feuersglut gehärtet, ein Edelstein, aus Tiefen herausgegraben und mit Fleiß und Geschick geschliffen und gefaßt. Nachdem durch Friedrich II. die Stadtvogtei, welche die königlichen Güter verwaltete, aufgehoben war, bemühten sich die beiden städtischen Bürgermeister und der städtische Rat, den Schultheißen zu verdrängen, der in Kaisers