auf, die mit wachsender Unruhe Melanchthons Verhalten verfolgt hatten. »So das wahr wird«, schrieb der Augsburger Arzt Gereon Sailer, »ist es um die christliche Freiheit geschehen.« Wieviel auch von Seiten der Protestanten selbst gegen die christliche Freiheit gesündigt worden war, Freiheit war doch der Kern ihres Glaubens, und sie war in Gefahr, von listigen Vogelstellern im Garne gefangen zu werden. Luther schrieb dringende Briefe an den Kurfürsten und die Freunde, worin er jedes Zugeständnis ablehnte. Der Kaiser zwar wollte durchaus zu einem Ergebnis kommen und ließ neue Verhandlungen einleiten; aber sie endeten erfolglos. Es schien nun keinen anderen Ausweg mehr zu geben als Krieg, den von Anfang an gefürchteten. Da zeigte sich wieder, daß der Zusammenhang unter den Ständen doch noch größer war als die Abhängigkeit der katholischen Stände von Papst und Kaiser: sie wollten keinen Krieg in deutschen Landen. Einige Fürsten waren persönlich untereinander befreundet, so besonders der streng katholische Herzog Heinrich von Braunschweig mit Philipp von Hessen, die Kurfürsten von Mainz, Trier, Köln mit ihm und Sachsen. Trotzdem, da die Evangelischen von jetzt ab unnachgiebig einen »friedlichen Anstand«, die
pax politica, verlangten, kam es zu einem Reichstagsabschied, der unbedingte Unterwerfung von ihnen forderte. Die protestantischen Fürsten und 16 Städte lehnten den Abschied ab, darunter Augsburg und Ulm, die sich durch Kaisertreue immer ausgezeichnet hatten und denen der Entschluß nicht leicht wurde. Es war, als hätten sie die Worte aus einem Brief Gereon Sailers vernommen und zu Herzen gezogen: »Die Wiedertäufer haben recht zu sagen, daß ein Christ nicht nur gelehrt sein soll, sondern standhaft.« Zum Äußersten entschlossen, versammelten sich die protestantischen Stände – es waren Sachsen, Hessen, Ansbach, Lüneburg, Anhalt, die Grafen von Mansfeld und mehrere Städte – in Schmalkalden, einem unter hessischer und hennebergischer Hoheit stehenden Städtchen, und schlossen einen Bund zur Verteidigung mit den Waffen, falls einer von ihnen mit den Waffen sollte angegriffen werden. Dabei war der Kaiser nicht ausgenommen, wie es sonst üblich war. Der Beschluß, Einheit in den Kirchenbräuchen herzustellen, was das Bestehen einer evangelischen Kirche noch deutlicher machen sollte, kam nicht zur Ausführung; nicht mit Unrecht wandte Memmingen ein, das sei eine papistische Sitte. Angesichts der augenscheinlichen Gefahr wünschte man möglichst viele Glaubensgenossen in den Schmalkaldischen Bund aufzunehmen; sogar der Beitritt der Schweizer wurde ins Auge gefaßt unter der Bedingung, daß Zwingli in der Auffassung des Abendmahls sich Luther anschlösse; da Zwingli das ablehnte, wurde nichts daraus. Indessen die niederdeutschen Städte Lübeck und Braunschweig, zwei reiche, kraftvolle Republiken, wurden Mitglieder, sogar die entfernten nordischen Städte Riga, Reval und Dorpat suchten Anschluß. Frankreich näherte sich den Verbündeten trotz seiner dem Kaiser gegebenen Versprechungen, und der Sultan rüstete sich, um den im Reich sich vorbereitenden Bürgerkrieg auszunützen. Ohne daß es ausgesprochen wurde, waren die Erbfeinde des Reiches, Frankreich und die Türken, Bundesgenossen der Protestanten im Reich. Wiederum drückte auf Karl die Zange Frankreich und Türkei. Die Protestanten hatten auf dem Reichstage erklärt, keine Türkenhilfe leisten zu wollen, bevor ihnen nicht Friede gewährleistet sei. So mußte er sich zum Nachgeben entschließen. In Nürnberg kam im Jahre 1532 ein Religionsfriede zustande, den auch die päpstlichen Abgesandten billigten; der heranrückenden Türkengefahr gegenüber kam dem Papst jetzt selbst die Augsburger Konfession annehmbar vor, und er erinnerte sich, daß die Lutheraner doch auch Christen seien. Der Kaiser erließ einen Befehl, daß bis zum Konzil, oder falls dies binnen Jahresfrist nicht zustande käme, bis zum nächsten Reichstage, die Stände der Religion und anderer Gründe wegen einander nicht bekriegen, berauben, verfolgen, überziehen und belagern sollten. In einem besonderen Mandat versprach er dazu noch die Einstellung aller in den Religionssachen gegen die Protestanten anhängigen Prozesse. Sofort erntete Karl den Lohn für sein Einlenken; seit vielen Jahren war kein so starkes Heer gegen die Türken zusammengebracht, wie es jetzt geschah. Nürnberg stellte freiwillig doppelt so viel Truppen als seine Veranschlagung vorschrieb, und in ähnlicher Weise beeiferten sich gerade die Evangelischen alle zu zeigen, daß, wenn sie Gott mehr gehorchten als dem Kaiser, sie doch dem Kaiser das Seine zu geben von Herzen bereit wären. Angesichts dieser großartigen Einigkeit und Bereitschaft des Reiches wagte Suleiman seinen so pomphaft angekündigten Angriff nicht und trat den Rückzug an, es kam nicht zur Schlacht, die die beiden habsburgischen Brüder, schon in Wien harrend, selbst anzuführen willens waren. Nicht mehr dies Kriegsglück, wohl aber den Religionsfrieden erlebte Kurfürst Johann noch; er starb kurze Zeit, nachdem derselbe beschlossen war. Es war dem wahrhaft frommen und treuherzigen Fürsten vergönnt, in Frieden nicht nur mit Gott, sondern auch mit seinem Kaiser dahinzugehen, und das Reich, für das sich kaum einer unter den Fürsten mit solchem Ernst verantwortlich gefühlt hatte, in einmütiger Wirksamkeit zu sehen, bevor er es verließ.
Als Luther sich entschloß, seinen Grundsatz, das Wort dürfe nicht mit den Waffen verteidigt werden und die Fürsten wären dem Kaiser zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet, aufzugeben, war es, als sei eine Fessel von ihm abgefallen. In einer »Warnung an seine lieben Deutschen« sagte er, wenn es zum Kriege oder zum Aufruhr komme, wolle er seine Feder ruhen lassen und sich nicht im geringsten so dareinmischen, wie er im Bauernaufruhr getan habe. Den Fürsten gewährte er, was er den Bauern versagt hatte; eine bittere Erinnerung, die ihn aber nicht irremachte. Nachdem er den selbstauferlegten Zwang abgeschüttelt hatte, brach er los wie ein dem Käfig entsprungenes Raubtier, das mit Lust nach allen Seiten springt, schlägt und beißt. In seiner Glosse auf das vermeintliche kaiserliche Edikt vergleicht er, aufgebracht darüber, daß in diesem Edikt seine Lehre vom verknechteten Willen viehisch genannt worden war, die Verfasser desselben mit Säuen, die auf ihrem Reichstage beschließen: Wie Säue gebieten, daß niemand halten soll, daß Muskaten edle Würze sei, was sie aber sei, das wissen wir nicht, und spricht weiterhin unbefangen von den hochgelehrten und durchlauchtigsten Säuen zu Augsburg.
Luther war kein systematischer Denker und nicht immer folgerichtig im Handeln. Er war sehr abhängig von augenblicklichen Eindrücken und vergaß zuweilen ganz und gar, was er früher gesagt und gewollt hatte. Er hat sich oft selbst widersprochen und hat sich wohl aus persönlicher Abneigung in irgendeiner Richtung verrannt. So verurteilte er anfänglich die Hinrichtung von Ketzern, mißbilligte auch die in protestantischen Ländern vorgenommene Hinrichtung der Wiedertäufer. »Es ist mir wahrlich leid«, sagte er, »daß man sie so jämmerlich ermorde, verbrenne und greulich umbringe.« Später ging er nicht ohne sophistische Begründung davon ab. Wenn es dankenswert ist, daß er der Wahrheit nicht durch ein System Eintrag tat, so war es doch nicht unbedenklich, daß er, in seiner maßgebenden Stellung, sich zuweilen durch Stimmungen und wechselnde Eindrücke leiten ließ. Beschämen aber nicht jeden Ankläger seine übermenschlichen Leistungen, sein großes, liebeströmendes Herz, die Fülle seines Geistes, sein hoher Mut und die Qualen, die er sich mit Selbstanklagen zufügte?
Wenn man das Jugendbildnis Luthers mit seinen Altersbildnissen vergleicht, so treten einem zwei verschiedene Menschen entgegen. Das junge Haupt umhüllt ein schicksalvolles Geheimnis, die Welt ist für ihn nicht da, er hält Zwiesprache mit seinem Genius. Er hat die tiefen Augen, aus denen Professor Pollich weissagte, dieser Mensch werde wunderbare Phantasien haben. Es ist das Bild eines Träumers, der auf der Schwelle großer Taten steht. Wie anders der Mann und der Greis, der die Taten getan hat. Das aufgeschwemmte Gesicht ist hart und grob geworden, hart und grob auch der Ausdruck. Seltsam müssen in dem fleischigen und zugleich harten Gesicht die immer noch dämonischen Augen gewirkt haben, deren flackernde Glut dem päpstlichen Nuntius Vergerio auffiel, der im Jahre 1535 nach Wittenberg kam, um zu erforschen, ob die Protestanten ein vom Papst berufenes Konzil besuchen würden. Daß der Antichrist den Häresiarchen zu einem Konzil einlud, regte Luthers Humor an; da er überzeugt war, das Konzil werde nicht zustande kommen, überließ er sich sorglos seiner guten Laune. »Herr Doktor, wie kommt es, daß Ihr Euch so früh wollt barbieren lassen?« fragte der Barbier. »Ich soll«, lautete die Antwort, »zu des Heiligen Vaters, des Papstes, Botschafter kommen, so muß ich mich lassen schmücken, daß ich jung scheine, so wird der Legat denken: ei der Teufel, ist der Luther noch so jung und hat soviel Unheil angerichtet, was wird er denn noch tun!« Als dann Luther seine besten Kleider anzog und ein goldenes Kleinod umhing, sagte der Barbier: »Herr Doktor, das wird ihn ärgern.« »Darum tue ich es auch«, erwiderte Luther, »man muß mit den Schlangen und Füchsen also handeln und umgehen.« Wirklich gelang es Luther, den Legaten durch bestialische Frechheit, wie dieser sagte, verbis verdrieslicissimis, wie Luther es ausdrückte, gehörig zu ärgern. Kurze Zeit darauf trat