Название | Gesammelte Werke |
---|---|
Автор произведения | Ricarda Huch |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 4064066388829 |
Als einige von diesen neuen Propheten sich nach Wittenberg begaben, machten gewisse Punkte ihrer Lehre auf Melanchthon, auf Spalatin und den Kurfürsten Eindruck. Sie waren augenscheinlich von der Wahrheit ihrer Behauptungen überzeugt, von denen sich manche in der Tat nicht ohne weiteres widerlegen ließen. Es war richtig, daß Widersprüche in der Bibel enthalten wären, daß sie ausgelegt werden müsse, daß jeder, dem allgemeinen Priestertum zufolge, das Recht dazu habe, und daß das Auslegen schon eine Offenbarung im Geiste sei. Und warum sollte Gott sich einem Storch, Stübner und Münzer nicht ebensogut offenbaren wie einem Luther? Auch die Behauptung, daß neugeborene Kinder keinen Glauben haben könnten und daß deshalb die Taufe an Erwachsenen vollzogen werden müsse, wie ja auch Christus als Erwachsener sich habe taufen lassen, hatte etwas Einleuchtendes. Die Verlegenheit, wie den neuen Propheten zu begegnen sei, führte zur Auflösung jeder Ordnung in Wittenberg, was schließlich den Stadtrat veranlaßte, sich an Luther mit der Bitte zu wenden, er möge zurückkommen. Dem Kurfürsten wurde es bange. Durch das Edikt von Worms wurde er eigentlich gezwungen, Luther auszuliefern, wenn er sich nicht mehr damit entschuldigen konnte, er wisse nicht, wo er sei. Er sah die ärgerlichsten Verwicklungen voraus und schrieb an Luther in einer Weise, die die ratlose Unruhe seines Gemütes widerspiegelt: »Ich habe gehört, daß du bereit bist zu kommen; die Wittenberger Zustände sind unerträglich; ich kann dir nicht raten zu kommen und kann mich deiner Sache nicht öffentlich annehmen; wüßte ich aber, daß es Gottes Wille wäre, daß du kämest, so wollte ich gerne leiden, was daraus erwächst; die Wittenberger Zustände wachsen mir über den Kopf; gleichwohl rate ich, bis auf den nächsten Reichstag zu warten. Doch wünsche ich auch nicht, daß durch dein Warten Gottes Wille gehindert wird.« Die zartfühlende Güte des Kurfürsten, seine großartige Bescheidenheit, seine Sorge um Luther, sein aufrichtiger Wunsch, den Willen Gottes zu erfüllen, spricht aus dem Brief. Luther beachtete ihn kaum. Er antwortete respektvoll, mehr, so scheint es, dem greisen Haupt als dem Fürsten zu Ehren, aber streng, stolz, wie aus einer unzugänglichen Ferne. Es war, als wolle er sagen: hier handelt es sich um Gottes und um meines Volkes Sache, was du sagst, was du leidest ist gleichgültig. Mit einer ruhigen Handbewegung schob er den Landesherrn beiseite.
An einem der ersten Märztage ritt er von der Wartburg herunter im ritterlichen Wams und roten Barett, von einem Reitknecht begleitet. Von zwei Sankt-Galler Studenten, die im Schwarzen Bären vor Jena mit ihm zusammentrafen, hat der eine, Johann Keßler, die merkwürdige Begegnung ausführlich geschildert. Wir fühlen das Sausen der Zeit, das Gespanntsein der Gemüter auf Neues, Wunderbares, das sich jeden Augenblick begeben kann, wie es große Revolutionen mit sich bringen. Wie föhnige Windstöße flackert es um die großen Namen, die auf aller Lippen sind, und um den merkwürdigen Mann mit den tiefen schwarzen Augen, der ein ritterliches Gewand trägt und ein Buch neben sich liegen hat. Er ist gütig und heiter, sehr anmutig in seiner Art, sich zu geben, und es ist etwas Besonderes um ihn, etwas Geheimnisvolles. Ist es Luther? Ist es Hutten? Ja, es wird Hutten sein; denn wie wäre es möglich, daß sie, zwei einfache junge Studenten, so traulich mit Luther gesprochen hätten? Als sie in Wittenberg bei Hieronymus Schurf Besuch machten, an den sie Empfehlungsbriefe hatten, da war er wieder, begrüßte sie als Bekannte aus dem Schwarzen Bären und stellte sie seinem Freunde Melanchthon vor, und es war wirklich Luther, das Wunder des Jahrhunderts. Dann hörten sie die acht Predigten, die er eine Woche hindurch hielt, um die Ordnung in Wittenberg wiederherzustellen.
Es ist nicht zu verwundern, daß die Studenten von der Persönlichkeit des Propheten überwältigt waren; sie erlebten Luthers größte Stunde. Damals, als er von der Wartburg nach Wittenberg kam, gebannt und geächtet, vogelfrei, aber ganz sicher in seinem Gott, als wäre er für Menschenaugen unsichtbar, stand sein gläubiges Herz wie die Sonne in seiner Brust, getragen von den Dämonen, die sich ihm beugten. Seine Wildheit, seine Maßlosigkeit, seine Herrschsucht, alle Unbändigkeiten seines Wesens dienten dieser Sonne, waren nur dazu da, dieses himmlische Feuer anzufachen. Vor der erbarmungsvollen Vatergüte, die er ausstrahlte und die den Glanz seiner Überlegenheit erträglich machte, mußten sich Widerstand, Bosheit, Torheit und Roheit in Erkenntnis der Schuld und guten Willen wandeln. Kaum jemals wieder war so viel Großartigkeit und so viel Schmelz in seiner Rede. Wie wenn ein König aus der Verbannung zurückkehrt und sein Zepter wieder ergreift, nahm er die Herrschaft wieder in die Hand, und jeder fand es selbstverständlich. Meine Freunde, welchen Schmerz habt ihr mir angetan, wiederholte er immer wieder. Vielleicht seid ihr gläubiger, klüger, weiser als ich, aber ich bin es doch, der dies Wesen angefangen hat; war es recht, daß ihr, ohne mich zu fragen, es nach eurem Gutdünken regellos weiterführtet? Er erklärte, daß sie die Freiheit nicht verstünden, wenn sie meinten, weil es nicht christlich sei, Menschen mit Zwang im Kloster zurückzuhalten, sei es christlich, sie mit Zwang daraus zu entfernen. Das tue ihm am meisten weh, sagte er, daß sie es an Liebe hätten fehlen lassen. Zum ersten Male wohl ertönte in deutscher Sprache des Paulus und sein unsterbliches Gedicht: »Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.« Vielen, die diese Predigten hörten, war es zumute, als habe wirklich ein Engel gesprochen. Wie auf Zauberwort rückte alles an seinen Platz, glättete und ordnete sich alles Verstörte. Das Leben in Kirche, Kloster und Universität entfaltete sich unter allgemeiner Teilnahme wie früher. Auch die Zwickauer Propheten und Bibelausleger wichen unter bösem und traurigem Krächzen aus der Stadt wie Raben, wenn es Frühling wird, freilich ohne ihr Wesen und ihre Absichten zu ändern. Luther hatte den Mut zu entscheiden, daß er von Gott berufen sei und daß jene es nicht seien. Er war der Ansicht, berufen sei jeder zu dem Tun, das in seinem Amt begriffen sei; deshalb betonte er gern, daß er Doktor der Theologie und vom Kurfürsten zum Predigen angestellt sei. Als Theologe und Prediger sei er für die Seelen seiner Gemeinde und für die Erhaltung des Gotteswortes verantwortlich. Auf die unmittelbare Berufung durch Gott, die ihm wohl bewußt war, könne man nicht pochen; sie müßte erlebt werden und sich auswirken.
Dadurch, daß er das Zusammenarbeiten mit den Zwickauern durchaus ablehnte, machte er sie sich zu Feinden. Das schreckte ihn nicht; wohl aber war es ein bitteres und folgenschweres Erlebnis, daß er, dem das Volk zugejubelt hatte, als er von Kaiser und Papst verfolgt war, sich nun gegen einen Teil dieses Volkes, gegen seine eigenen Anhänger wenden mußte, die in seinem Sinne gehandelt zu haben glaubten. Er hatte bisher das schöne Lied der Freiheit gesungen, nun mußte er mit strengen Worten Ordnung fordern. Im Augenblick seines Sieges mußte er einen neuen Weg einschlagen, einen weniger gefährlichen, aber freudlosen.
Neue Kirche
Im Mittelpunkte von Luthers religiösem Leben stand das, was man in dogmatischer Sprache die Rechtfertigung durch den Glauben nennt: das Bewußtsein des Menschen, aus eigener Kraft den Frieden der Seele nicht erwerben zu können, von Gott aber damit begnadigt zu werden, wenn er ihm vertraut, wenn er glaubt, daß Christus, Gottes Sohn, die Menschen mit seinem Blut von der