Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Ricarda Huch
Жанр Философия
Серия
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 4064066388829



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dem Volk erklären, anstatt es glauben zu machen, durch Geld könne man Sündenvergebung erkaufen. Was liegt dem Papst an Geld! Viel teurer ist ihm das Gebet der Christen. Der Papst würde lieber aus seinem eigenen Geld, und sollte er den Dom Sankt Peters verkaufen müssen, manchen von den Armen geben, denen es die Ablaßprediger aus der Tasche ziehen. Die frechen und falschen Ablaßprediger sind Ursache, daß es den Gelehrten schwerfällt, die scharfen Einwendungen der Laien zurückzuweisen, die zum Beispiel fragen: Warum befreit denn der Papst nicht, wenn er glaubt, es zu können, die im Fegefeuer leidenden Seelen aus dem Drang heiliger Liebe, da er es doch tut elenden Geldes wegen zum Bau der Peterskirche, also einer leichtwiegenden Sache wegen? Oder: Warum erbaut der Papst, der reicher ist als einer der reichsten Geldfürsten, nicht wenigstens die Peterskirche aus seinem eigenen Vermögen? Oder: Warum, da es dem Papst mehr um das Heil der Seelen als um Geld zu tun ist, setzt er jetzt die früheren Ablässe außer Kraft, die doch ebenso wirksam sind? Man gibt Papst und Kirche dem Gespött der Feinde preis, wenn man solche Einwände mit Gewalt dämpfen will, anstatt ihnen durch Angabe von Gründen zu begegnen.

      War es nicht Hohn, wenn Luther die über alles Weltliche erhabene Sinnesart des Papstes als das Selbstverständliche voraussetzte und ihm in der Haltung eines Dieners einen Spiegel hinhielt, in dem er seine Schmach erblicken mußte? Wenn er den Papst wie ein hoch über ihm Stehender hieß, was er zu denken und zu tun habe? Und doch war es kaum so gemeint. Es war Luther so sehr Ernst um die Sache, daß er nicht zweifelte, wenn der Papst auf die furchtbaren Schäden aufmerksam gemacht würde, die das Volk in seinem Namen bedrohten, so werde er sie abstellen. Darum eben wollte er, daß Gelehrte, aufrichtige Glieder der Kirche, das Problem des Ablasses durchdächten und Linien zu seiner Begrenzung feststellten, wodurch der Papst veranlaßt würde, den Betrieb zu reformieren, vielleicht sogar ganz abzustellen. Denn wenn Himmel und Hölle in die Seele des Menschen verlegt wurden, Liebe den Himmel mehrte, Nichtlieben die Hölle, würden dann noch Menschen für Ablaßzettel Geld ausgeben? Es war mehr Aufruhr in den Thesen, als Luther sich bewußt war. Als er um die Mittagszeit des 31. Oktober 1517, am Tage vor dem Allerheiligenfest, die Thesen an das Portal der Stiftskirche schlug, glaubte er nicht, damit den Stein zu werfen, der schlummerndes Unheil aufweckt; es war eine Angelegenheit der Universitäten, nichts weiter. Das vernichtende Gewitter begann mit einem so schwachen Donnern, wie es manchmal im Hochsommer die mittägliche Stille nur leise erzittern läßt.

       Inhaltsverzeichnis

      Die Thesen waren geschrieben angeschlagen, bald wurden sie gedruckt und ins Deutsche übersetzt. Etwas längst Erwartetes war plötzlich sichtbar und greifbar geworden, etwas, das verhüllt schon lange da war. Sie flogen von einem Munde zum anderen, weil sie aussprachen, was viele, nur weniger klar, schon gedacht und geflüstert hatten. Für den, der die Thesen aufgesetzt hatte, war ihr Inhalt viel weniger selbstverständlich. Im Kloster, allein mit Gott und den Dämonen, hatte er sich nicht um das gekümmert, was in der Welt vorging. Er wußte nichts von der Kirchen- und Reichsreform. So wenig glaubte er die Kirche anzugreifen und so sehr war er überzeugt, daß jeder, und je höher er stehe, desto mehr, nach sachlichen Gesichtspunkten urteile, daß er seine Thesen dem Erzbischof Albrecht mitteilte, damit er die Mißbräuche der Ablaßpredigt abstelle, durch die die ihm anvertraute Herde an der Seele geschädigt werde. Den Erzbischof, der bereits durch den ziemlich geringen Ertrag des Geschäftes beunruhigt war, berührte diese Störung des Betriebes sehr peinlich. Er wäre mit zornigen Worten gegen Luther losgefahren; aber andererseits lag ihm sein Ruf eines aufgeklärten Humanisten zu sehr am Herzen, als daß er sich durch dick und dünn für einen Dominikaner hätte einsetzen mögen. So wählte er den Ausweg, daß er sämtliche den Fall betreffenden Akten nach Rom schickte, damit der Papst entscheide. Auch der Bischof von Brandenburg, Hieronymus Skultetus, dessen Diözese es anging, wollte nicht zu den Dunkelmännern gezählt werden. In höflichster Form versicherte er Luther, daß er nichts Unkatholisches in den Thesen finde, riet ihm aber, sich nicht in die Gewalt der Kirche einzumischen, und Luther versprach zu schweigen. Er hatte nicht die Absicht, sich mit der Kirche zu verfeinden, und hielt sein Versprechen, obwohl die Angriffe der Gegner es ihm schwer machten. Wie fest die Macht der Kirche in das Leben und die Gewohnheiten eingegraben war, zeigte sich darin, daß noch immer niemand zur Disputation sich meldete, daß der Beifall, obwohl im stillen reichlich vorhanden, nicht laut wurde, wohl aber der Widerspruch, zunächst von seiten der unmittelbar angegriffenen Dominikaner. Sie hatten im Jahre 1506 durch den entdeckten Betrug in Bern eine tödliche Niederlage erlitten, kürzlich eine neue durch die Entwicklung der Reuchlinschen Sache und die Veröffentlichung der Dunkelmännerbriefe. Sie wollten nicht noch einmal verlacht werden; gelang es nicht mit Reuchlin, wollten sie sich an Luther entschädigen. Tetzel entzündete neben seiner Wohnung in Jüterbog ein Feuer zum Zeichen, daß er Ketzermeister sei und Irrgläubige auf den Scheiterhaufen bringen könne. Er wurde ausersehen, um an der Universität Frankfurt an der Oder Thesen gegen Luther zu verfechten, die zum Teil von deren erstem Rektor Koch, nach seiner Geburtsstadt Wimpfen Wimpina genannt, verfaßt waren. Wimpina haßte den berühmten Mediziner Pollich, der von Friedrich dem Weisen hochgeschätzt wurde und der erster Rektor an der Universität Wittenberg gewesen war, und freute sich sehr, in Luther die sächsische Universität zu treffen, die zu übertrumpfen Frankfurts Ziel war. In den Thesen wurde Luther eine kirchenfeindliche Gesinnung zugeschrieben, wie er sie nicht hatte und auch buchstäblich nicht geäußert hatte; sie ließen ihn als einen gefährlichen, todeswürdigen Ketzer erscheinen. Sie schlossen mit dem Vers des Moses voll unheimlichen Posaunenklangs: Ein jegliches Tier, das den Berg anrührt, soll gesteinigt werden.

      Ein neuer Streit zwischen zwei Orden und den entsprechenden Universitäten schien ausgebrochen zu sein. Die Humanisten lachten belustigt. Mögen sie sich gegenseitig zugrunde richten, sagte Hutten. Johann Maier, genannt Eck nach seinem Geburtsort, Professor in Ingolstadt und als geschickter Disputatär berühmt, hielt sich zu den Humanisten, wollte aber zugleich sich um die Kirche verdient machen. Von den älteren Humanisten, Wimpheling, Sebastian Brant und anderen, unterschied er sich durchaus; denn diesen lag das wahre Wohl der Kirche am Herzen, und sie waren deshalb Anhänger der Reform, wie denn auch Wimpheling Luthers Auftreten freudig begrüßte, während es Eck, man möchte fast sagen im Gegenteil, auf die bloße Gewalt ankam, zu der es ihn gefühlsmäßig hinzog, und die er als ein Held mit Rückendeckung verteidigte. Während er Luther in einer Schrift als böhmischen Ketzer verdächtigte, gebärdete er sich brieflich ihm gegenüber als Freund und Verehrer.

      Zur Verteidigung Luthers regte sich niemand als die Jugend, diese mit erfrischender Tapferkeit. Ein Student, namens Knipstro, trat bei der Frankfurter Disputation für ihn in die Schranken, und als ein Hallenser Buchdrucker einen ganzen Ballen der Frankfurter Gegenthesen nach Wittenberg geschickt hatte, bemächtigten sich ihrer die Studenten und verbrannten sie unter mutwilligen Zeremonien mittags auf dem Marktplatz. Es war der 18. März 1518. Am folgenden Tage mißbilligte Luther diesen Vorgang in einer Predigt; er wollte nichts tun, um das Feuer zu schüren, vielmehr, soviel an ihm war, es zu dämpfen. Etwa eine Woche darauf trat er eine Reise nach Heidelberg an, wo er auf dem Frühlingskapitel der Augustiner über seine Tätigkeit als Distriktvikar Rechenschaft abzulegen und sein Amt dem Nachfolger zu übergeben hatte. Manche warnten ihn vor dieser Reise. Der Kurfürst hatte ihm sagen lassen, er werde nicht dulden, daß man ihn nach Rom schleppe, und ihn seines Schutzes versichert; aber gerade darum, meinte man, wenn die Kurie die Aussicht verliere, ihn rechtmäßig zu verbrennen, würde sie ihn hinterrücks ermorden. Luther bestand darauf zu reisen, und zwar zu Fuß. Er war guten Mutes, voll des Friedens, in dem er so oft mitten im Sturm beseligt ruhte. Mit einem Begleiter, wie es die Klosterregel vorschrieb, ging er die Saale entlang über Koburg nach Würzburg, mit angelegentlich empfehlenden Briefen des Kurfürsten versehen. Dort nahm ihn Bischof Lorenz von Bibra, dessen Erscheinung uns Riemenschneiders edle Kunst überliefert hat, gastlich auf. Er war ein Reformfreund, der schon gegen den Ablaß eingeschritten wäre, wenn der Erzbischof von Mainz es ihm nicht gewährt hätte. Man erzählte sich, ein Prediger in der Hauptkirche von Würzburg habe auf der Kanzel gesagt, nichts sei mit dem Evangelium zu vergleichen, und wer recht handle, werde selig; der Ablaß nütze dem nichts, der nicht recht handle. Wenn aber einer rechtschaffen lebe oder, falls er gesündigt habe, Buße tue und sich bessere, der werde auch ohne Ablaß Bürger des