Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Ricarda Huch |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 4064066388829 |
Maximilian war 34 Jahre alt, als sein Vater starb. Schon zwei Jahre später fand der denkwürdige Reichstag von Worms statt, von dem man nach dem Urteil Mösers den Beginn eines neuen Zeitalters für Deutschland datieren sollte. Er nennt den das ganze Reich umfassenden Ewigen Landfrieden, der hier verkündigt wurde, eine große und glückliche Konföderation, durch welche das dem Auseinanderfallen nahe Reich noch einmal zu einem lebens- und handelsfähigen Organismus zusammengefaßt sei. Die Fehde wurde nicht für einen beschränkten Zeitraum, sondern für immer aufgehoben, sie hörte auf, ein unter gewissen Umständen zulässiges Rechtsmittel zu sein. Sicherlich mußte es außerordentliche Folgen sowohl für das öffentliche Leben wie auch für die einzelne Person haben, daß nun in allen Streitfällen der Prozeß an die Stelle der Waffen trat. Da gleichzeitig das Söldnerheer mehr oder weniger allgemein die ständigen Heere ersetzte, entwöhnten sich allmählich alle Schichten des Volkes der Waffen, das Volk wurde friedlich, Roheit und Gewalttätigkeit beschränkten sich auf die Söldner und Landsknechte, auf den Auswurf der Gesellschaft. Menschen, die sich im 15. Jahrhundert noch als ritterliche Unholde, als verwilderte Helden gebärden konnten, wurden schlechtweg als Verbrecher angesehen. Freilich liefen die Unbewaffneten Gefahr, den Bewaffneten gegenüber eine gutartige und respektable, aber schüchterne oder gar feige Lämmerherde zu werden. Auch die Anarchie hat Vorzüge, auf ihrem unsicheren Boden erwachsen starke Persönlichkeiten, erwachsen alle die Mittel der Selbsthilfe, durch die während des hohen Mittelalters gerade das Bürgertum so rühmliche Ergebnisse erkämpfte. Doch indessen wären Besorgnisse dieser Art überflüssig gewesen. Der Ausspruch, es fehle nicht an guten Gesetzen, sie müßten nur ausgeführt werden, konnte auch auf das Fehdeverbot angewendet werden. Es wurde so wenig beobachtet, als wenn der Reichstag zu Worms ein Auftritt in einem Theaterstück gewesen wäre. Im Jahre 1499, also ein Jahr später, unterwarf der Erzbischof von Trier die Reichsstadt Boppard, ohne daß jemand der Vergewaltigten zu Hilfe gekommen wäre.
Allerdings gelangte auch die bessere Hälfte des Fehdeverbots, das Kammergericht, noch nicht gleich zu regelmäßiger und durchgreifender Tätigkeit. Dennoch war es etwas Großes und Bedeutendes, daß ein Gesetz in Übereinstimmung von Kaiser und Ständen geschaffen war, auf das immer wieder zurückgegriffen werden konnte. Nach fast hundertjährigem Projektieren und Experimentieren schien die vielberedete Reformation endlich zustande gekommen. Auf einem Reichstage zu Nürnberg hatte der Abt Trithemius gesagt, es sei viel vorgeschlagen, besprochen und erwogen, aber außer Worten sei nichts ausgerichtet, weil alle nur den eigenen Vorteil gesucht hätten. Das war nun anders geworden: auf kaiserlicher und auf ständischer Seite stand je ein Mann, der bei allem natürlichen Eigennutz doch den ehrlichen Willen hatte, die Reformation im Interesse des Reiches durchzuführen, allerdings in ganz verschiedenem Sinne, der eine wesentlich monarchisch, der andere wesentlich aristokratisch; die beiden Männer waren Maximilian und der Erzbischof von Mainz, Berthold von Henneberg. Das Ringen der beiden hat den großen Reichstagen zu Beginn des 16. Jahrhunderts den dramatischen Charakter gegeben.
Berthold aus dem Geschlecht der Grafen von Henneberg wurde 1484 mit 43 Jahren Erzbischof von Mainz. Nach allem, was wir von ihm wissen, war er ein untadeliger Mann von konservativer Gesinnung, fest in seinen Überzeugungen, stolz und ernst. Von ihm stammt das erste deutsche Zensurgesetz. Es ist vom 4. Januar 1486 und beklagt den Mißbrauch, der mit der göttlichen Kunst des Bücherdrucks getrieben werde, namentlich durch Übersetzungen ins Deutsche, wodurch ins Volk getragen werde, was nur den Gelehrten zuständig sei. Ähnlich wie Geiler von Kaisersberg und Wimpheling sprach er sich frei gegen die übermäßigen Geldforderungen der Kirche, überhaupt gegen kirchliche Übergriffe aus, ohne den päpstlichen Primat anzugreifen. Er war durchaus ein Mann der Ordnung, der an Hand der Tradition die fließenden, unklaren Verhältnisse des Mittelalters in feste, geregelte verwandeln wollte. Es scheint, daß Kurfürst Albrecht Achilles von Brandenburg, der sich zeitlebens mit Reformplänen abgegeben hatte und stolz auf seine Kenntnis der Reichsgesetze war, ihn für die Idee der Reichsreform gewonnen hatte. Es war die letzte Tat des todkranken Mannes, daß er die Wahl Maximilians zum römischen König beförderte; auch seine kaiserliche Gesinnung wird er versucht haben, auf Berthold zu übertragen. Aber wie ganz anders war Maximilian als der Erzbischof! Auch er war für die Reichsreform und nicht nur, weil er es seinen Wählern hatte versprechen müssen, sich dafür einzusetzen. Er fühlte sich so eins mit dem Reich, daß der Wunsch, es zu schirmen und zu stärken, ihm selbstverständlich war. Reich begabt und vielseitig, wie er war, fühlte er sich doch in erster Linie als Feldherr, der an der Spitze eines Heeres den Bestand des Reiches zu sichern hat. In der Organisation der Landsknechte hat der kaiserliche Dilettant etwas Gründliches und Dauerndes geleistet, zur Kriegführung hatte er eine verhängnisvolle Leidenschaft. Ohne Zweifel hatte er recht, wenn er das Reich in Gefahr glaubte. Seit sie im Jahre 1453 Konstantinopel erobert hatten, waren die Türken rasch vorgedrungen. Schon verheerten ihre räuberischen Einfälle Kärnten, Krain und Steiermark. Ebenso bedrohlich war Frankreich im Westen, besonders seit es versuchte, sich in Italien festzusetzen. Waren auch die Rechte des Reichs in Italien zu bloßen Titeln herabgesunken, wollte Maximilian sie doch nicht preisgeben. Wenn Frankreich Mailand besaß, so konnte es zugleich von Westen und Süden her ins Reich vordringen. Die Aufgabe, Deutschland im Osten und Westen zugleich gegen krieggewöhnte, eroberungssüchtige Mächte zu verteidigen, hätte wohl von einem Herrscher erfüllt werden können, der über die kriegerische Kraft der ganzen Nation verfügte. Das war aber nicht der Fall. Zwang zur Heeresfolge bestand nach altem Herkommen nur für den Zug nach Rom zur Erlangung der Kaiserwürde; im übrigen war der Kaiser auf das angewiesen, was die Stände an Geld und Truppen bewilligten. Auf jedem Reichstage kehrten die Geldgesuche zur Führung des Türkenkrieges wieder, und so tragisch verknüpft waren die Geschicke des Reichs, daß diese so sehr berechtigte Forderung, die zugleich vom Papst ausging, fast immer abgewiesen wurde, weil die Stände zweifelten, ob die eingehenden Gelder wirklich für den genannten Zweck verwendet würden. Ein so aufrichtiger Patriot wie Gregor von Heimburg bekämpfte die Türkensteuer, als Pius II. selbst, obwohl schwer krank, die Führung des Kreuzzuges übernehmen wollte. Auch hatte man sich schon so sehr daran gewöhnt, Österreich als eine gesonderte Ländermasse zu betrachten, daß man es ihm überließ, die sich heranwälzende Gefahr von seinen Grenzen abzuwenden. Die Folgen zu übersehen, die die Eroberung Ungarns durch die Türken für Deutschland haben würde, waren die Fürsten vollends nicht weitblickend genug. Was sie nicht unmittelbar betraf, das wollten sie sich nichts kosten lassen. Begreiflicherweise empörte es Maximilian, daß ihm ein Reichsregiment an die Seite gesetzt werden sollte, in dem die Fürsten das Übergewicht hätten. So kurzsichtig und selbstsüchtig zwar wie die meisten war Berthold von Henneberg nicht. Den berechtigten Besorgnissen und Forderungen Maximilians verschloß er sich nicht; aber wichtiger als die äußeren Angelegenheiten schien ihm die Ordnung der inneren zu sein. Ehe die Reformation nicht durchgeführt sei, wollte er von der Verflechtung in Kriege mit den Nachbarn nichts wissen.
Der halbhundertjährige Regierungsschlummer Friedrichs III. hatte das Zutrauen der Stände zum Kaiser sehr gemindert; die Unternehmungslust des Sohnes war nicht geeignet, sie zu beleben. Den weiten Horizont, der sich vor seinen Augen rundete, Ungarn, Böhmen, die Niederlande, Spanien, sahen sie nicht, oder er befremdete und erschreckte sie. Maximilian pflegte Geld und Truppen von heute auf morgen zu verlangen, während sie an unendliches Aufschieben und Feilschen gewöhnt waren, und die überraschenden Wendungen und Sprünge, mit denen er sich seinen Weg durch die trugvollen Schliche der Diplomatie bahnte, ließen ihn in ihren Augen unzuverlässig erscheinen. Andererseits, wie hätte er eine starke, geradlinige kriegerische Politik treiben können ohne Geld und Soldaten? Die Umstände und das Verhalten der Stände selbst ließen ihn sprunghafter, leichtsinniger erscheinen, als er war; aber er war es gewiß mehr als der ernste,