Название | Erlösung und Utopie |
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Автор произведения | Michael Löwy |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783863935610 |
Das alles heißt nicht, dass man in dem weiten intellektuellen, kritischen und subversiven, melancholischen und utopischen Arsenal der jüdischen Kultur von Mitteleuropa des vergangenen Jahrhunderts nicht Ideen, Begriffe und „Wunschlandschaften” (Bloch) finden könnte, die für die heutigen Kämpfe Relevanz haben. Solange es Kämpfe und Anliegen gibt, die auf „eine radikale Idee der Freiheit” ausgerichtet sind – so Walter Benjamin im Blick auf den Surrealismus – wird dieses Erbe nicht vergessen sein.
Michael Löwy
Paris, Oktober 2020
INHALT
Zum Begriff der Wahlverwandtschaft
Jüdischer Messianismus und libertäre Utopie – Von den »Korrespondenzen« zur »attractio electiva«
»Theologia negativa« und »utopia negativa«: Franz Kafka
Abseits und am Scheideweg: Walter Benjamin
Kreuzwege, Treffpunkte und Figuren: einige Beispiele
Eine französische Ausnahme: Bernard Lazare
Der »historische Messianismus« als romantische/messianische Konzeption der Geschichte
EINLEITUNG
Die Besiegten der Geschichte
Unsere Generation wird bezahlt für ihr Wissen, denn das einzige Bild, das sie hinterlassen wird, ist das einer besiegten Generation. Dies wird ihre Hinterlassenschaft sein für die, die nach ihr kommen.
Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, 1940.
Der Begriff »Mitteleuropa« bezeichnet eine geographische, kulturelle und geschichtliche Vorstellungswelt, die durch die deutschsprachige Kultur vereinheitlicht wird: Deutschland und die Österreichisch-Ungarische Monarchie. Während eines Zeitraums, der von der Mitte des 19. Jahrhundert bis 1933 reichte, hat die jüdische Gemeinschaft Mitteleuropas eine kulturelle Blüte erlebt, die alle Kategorien sprengte, ein Goldenes Zeitalter, das sich nur mit der jüdisch-arabischen Kultur des 12. Jahrhundert in Spanien vergleichen läßt. Diese Kultur des deutschen Judentums war das Produkt einer einzigartigen geistigen Synthese und hat der Welt Heine und Marx geschenkt, Freud und Kafka, Ernst Bloch und Walter Benjamin. Sie erscheint uns heute wie eine verschwundene Welt, ein Kontinent, den die Geschichte ausgelöscht hat, ein im Ozean versunkenes Atlantis mit seinen Palästen, Tempeln und Monumenten. Von der Flut des Nationalsozialismus hinweggespült, konnte sie nur im Exil überleben. Ihre Vertreter wurden in alle Winde zerstreut. Die letzten Überlebenden, die letzten Funken eines gewaltigen geistigen Feuers, sind vor kurzem erloschen: Marcuse, Fromm, Bloch.
Doch in dem, was unser 20. Jahrhundert an kulturellem Reichtum und geistiger Erneuerung hervorgebracht hat, haben sie bleibende Spuren hinterlassen: in der Wissenschaft, der Literatur und der Philosophie.
Diese Arbeit widmet sich einer ganz bestimmten Generation, einer ganz bestimmten geistigen Strömung im Universum der jüdischen Kultur in Mitteleuropa: einer Generation von Intellektuellen, die im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts geboren sind und deren Schriften sich sowohl aus den Quellen der deutschen Romantik wie aus der jüdischen Tradition des Messianismus speisen.
In ihrem Denken verbinden sich im tiefsten Kern, organisch und unauflöslich, deutsche und jüdische Elemente, ganz gleichgültig, ob dieser Synkretismus nun stolz verantwortet wird wie bei Gustav Landauer, oder ob er in die innere Zerrissenheit führt wie bei Kafka. Einige von ihnen versuchen, ihre deutschen Ursprünge zu verleugnen (Gershom Scholem), andere ihre jüdische Identität (Lukács). Ihre Gedanken kreisen um die jüdische oder kabbalistische Idee des Tikkun, ein Begriff mit mehreren Bedeutungen, der sowohl Erlösung heißen kann, wie vor allem auch Entschädigung, Wiedergutmachung, Erneuerung, Wiederherstellung der verlorenen Harmonie.
Es war eine Generation von Träumern und Utopisten. Sie erstrebten eine Welt, die von Grund auf anders sein sollte, ein Königreich Gottes auf Erden, ein Reich des Geistes, ein Reich der Freiheit, ein Reich des Friedens. Ihr Ideal war die Gemeinschaft, in der alle gleich sind, der freiheitliche Sozialismus, die antiautoritäre Revolte, die permanente Revolution des Geistes. Mehrere von ihnen sind gefallen – einsame Kämpfer in den Thermopylen des 20. Jahrhunderts, Opfer der aufkommenden Barbarei wie Gustav Landauer 1919 in München, oder Opfer des Triumphs der Barbaren: Walter Benjamin 1940 in Port-Bou.
Die meisten von ihnen waren unbewaffnete Propheten. Eine Episode, die man aus dem