Hypnosystemische Therapie bei Depression und Burnout. Ortwin Meiss

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Название Hypnosystemische Therapie bei Depression und Burnout
Автор произведения Ortwin Meiss
Жанр Документальная литература
Серия Hypnose und Hypnotherapie
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783849782757



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ähnlich schmerzhaft sein. Gleichwohl handelt es sich um durchaus unterschiedliche Gefühlszustände.

      Der Trauernde betrauert etwas, das er verloren hat und das ihm wichtig war. Etwas, das ihm viel bedeutet hat und von dem er sich trennen musste. Das kann etwas sein, das ihm in Bezug auf seine innere Bilanz ein emotionales Plus verschafft hat. Man trauert über eine wichtige Beziehung, die liebevoll und erfüllend war, trauert über das Ende einer erfolgreichen Sportkarriere, die einem viele glorreiche Erfahrungen beschert hat, trauert über den Verlust der Heimat, mit der man schöne Erinnerungen verbindet. Trauern kann man auch über eine Liebesbeziehung, in der die Liebe verflogen ist und aus der man sich lösen will. Im Gegensatz zum depressiven Menschen empfindet der Trauernde in diesen Fällen kein Minus in seiner emotionalen Bilanz.

      Mein Herz schlägt schneller als deins,

      sie schlagen nicht mehr wie eins

      Wir leuchten heller allein,

      vielleicht muss es so sein

      Ich geb’ dich frei

      Ich werd dich lieben

      Bist ein Teil von mir geblieben

      (aus: »Auf anderen Wegen«, Andreas Bourani)

      Trauern kann man auch über verlorene Jahre, die man in einer Beziehung verbracht hat, die einem im Rückblick nur Stress und Ärger eingebracht hat und aus der man sich viel zu spät befreit hat. Manche Menschen trauern den Gelegenheiten und Chancen nach, die sie im Leben nicht genutzt oder liegen gelassen haben. Gleichzeitig kann die Hoffnung oder Erwartung bestehen, in Zukunft etwas ändern und zukünftige Verlustgeschäfte vermeiden zu können. Der Trauernde hat meist durchaus eine Kontrollerwartung für die Zukunft. Er fühlt sich in der Lage, seine Zukunft aktiv zu gestalten. Dem Trauernden fehlt die für die Depression typische Hoffnungslosigkeit und das Gefühl der Inkompetenz, das eigene Leben so zu formen, dass es einem gut geht.

      Der in gesunder Weise Trauernde realisiert über die Trauer seinen Verlust, das heißt, er lässt ihn real und wirklich werden. Er befindet sich in einem Prozess, in dem er sich schließlich von dem Wertvollen löst, das er verloren hat. Im Gegensatz dazu sitzen die depressiven Menschen oft auf ihren Verlusten und warten auf den Ausgleich des Minus, das sie angesammelt haben.

      Trauerprozesse können aus vielen Gründen kompliziert werden. Manchmal kann etwas nicht angemessen betrauert werden, wenn der Verlust als ungerecht und unverdient empfunden wird oder durch das Fehlverhalten eines anderen zustande gekommen ist. Dann besteht nicht die Bereitschaft, den Verlust zu verbuchen, denn es wird ein Ausgleich gefordert oder man sinnt auf Rache. Wird weder das Revanche- und Rachebedürfnis erfüllt noch die Schuld gestrichen, kann sich die Trauer mit der Depression und der Verbitterung vermischen. Ein komplizierter, nicht enden wollender Trauerprozess ist die Folge.

      Manchmal erkennen Patienten, die an einer Depression leiden, dass sie den Ereignissen in ihrem Leben nicht so hilflos gegenüberstehen und -standen, wie sie es geglaubt haben. Dabei reift die Erkenntnis, dass man in der Vergangenheit viele Möglichkeiten und Chancen gehabt hat, die man vorbeiziehen ließ, und sich beispielsweise auf Beziehungen eingelassen hat, die einem nicht gutgetan haben, faule Kompromisse eingegangen ist, die einem geschadet haben. Dies kann einen Trauerprozess über die verlorenen Jahre in Gang bringen. Dieser Prozess ist oft notwendig und eine Möglichkeit, über den Trauerprozess aus der Depression herauszufinden.

       3Minusgeschäfte und Gratifikationskrisen

      Die Natur belohnt Investitionen, die im Verhältnis zum Ertrag ein positives Ergebnis aufweisen, mit Freude, Lust und Zufriedenheit. Aktionen, die einen ins Minus bringen, lösen unangenehme Gefühle aus. Wenn eine Person über einen längeren Zeitraum erlebt hat, dass ihre Bemühungen keine angemessenen Resultate erbracht haben, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Depressionen kommt. Der folgende Fall zeigt, wie bei einem zuvor leistungsstarken und kompetenten Unternehmer Depressionen entstehen, indem er, beim Versuch, seine Frau zufriedenzustellen, Entscheidungen trifft und Handlungen vollzieht, die ihn selbst ins Minus bringen.

       Chippendalemöbel

      Der Mann berichtet, er habe seine Frau in Südafrika kennengelernt. Sie sei damals noch in einer anderen Ehe gewesen. Sie habe darüber geklagt, dass ihr Ehemann sie übel behandle und dass sie den Glauben an die Männer verloren habe. Er habe sich daraufhin zum Ziel gesetzt, sie nicht nur von diesem grässlichen Ehemann zu befreien, sondern ihr auch zu zeigen, dass es Männer gebe, die ihre Frau glücklich machen. Er habe sie nach Deutschland, nach Hamburg, gebracht. In der Stadt habe sie sich aber nicht wohlgefühlt, da sie, wie sie betonte, kein Stadtmensch sei. Also habe er ein Haus in der Nähe Hamburgs auf dem Land gekauft, das sie beide bezogen haben. Auf dem Land habe sie sich einsam und beschäftigungslos gefühlt, weshalb er zugestimmt habe, Tiere anzuschaffen. Es hätte begonnen mit einem Pferd, aber da Pferde Herdentiere seien und alleine depressiv würden, habe sie weitere Pferde gekauft. Er habe das notgedrungen mitgetragen. Pferde waren der Frau dann zu einseitig, denn nach ihrer Meinung gehöre zu einem Landleben auch ein Hund. So wurden zwei Hunde angeschafft. Schließlich habe seine Ehefrau auch noch Katzen angeschleppt, sodass augenblicklich in dem Haushalt neben den Pferden zwei Hunde und acht Katzen leben.

      Neben der Vorliebe für allerlei Getier hat die Frau jedoch noch eine andere Leidenschaft. Sie sammelt echte Chippendalemöbel, die sie mit Hingabe pflegt. Ihrem Mann gegenüber besteht sie darauf, dass dies Teil ihrer Persönlichkeit sei. Sie brauche das, um sich wohlzufühlen. Da es sich bei den Möbeln um echte Antiquitäten handelt, dürfen nun die sechs Zimmer des Hauses, die damit ausgestattet sind, kaum betreten werden. Da vor allem Tiere keinen Sinn für echte Antiquitäten haben, sammelt sich alles in den restlichen zwei Wohnräumen des Hauses. Da es mir schwerfällt, mir vorzustellen, wie man mit acht Katzen und zwei Hunden in zwei Wohnräumen leben kann, frage ich den Patienten: »Sind Sie Katzenliebhaber?«, worauf dieser antwortet, er könne das Viehzeug nicht ausstehen. »Wie sind sie dann zu acht Katzen gekommen?«, will ich von ihm wissen. Er berichtet, es sei immer gleich gelaufen. Seine Frau habe ein Kätzchen angebracht und gesagt: »Die wollten sie ersäufen, wenn wir sie nicht nehmen, dann ist sie tot.« Er wollte dann nicht schuld sein und als moralisches Schwein dastehen und verantwortlich dafür sein, dass das Kätzchen umgebracht würde, und schon hatten sie eine weitere Katze.

      Ich erkundige mich, wie man sich das häusliche Leben vorzustellen habe, und er berichtet, dass die Tiere zu Hause in den zwei Zimmern Narrenfreiheit besitzen, auf Tischen und anderen Möbeln umherspringen, alle halbwegs bequemen Sitzmöbel belagern und man sich kaum bewegen kann. Wenn er dann genervt eines der Tiere etwas unwirsch vom Tisch oder Sessel schubse, um sich Bewegungsfreiheit zu verschaffen, bekomme er zu hören, er solle sich nicht so aggressiv den Tieren gegenüber verhalten, schließlich seien sie auch Lebewesen und außerdem schutzbedürftig.

      Bei den Schilderungen bekommt man den Eindruck, dass man in der Familie als Ehemann deutlich schlechter dran ist als als Hund oder Katze. Schließlich entwickelt sich bei dem Mann die depressive Symptomatik, er kommt nicht mehr aus dem Bett, sitzt nur noch untätig herum und bekommt von seiner Frau zu hören, was für eine armselige Gestalt er sei. Er sei nur noch eine Belastung für sie. Wegen ihm habe sie das schöne Südafrika verlassen, und nun könne sie nicht zurück. Auch dafür gibt sie ihm die Schuld.

      Der Fall erinnert an das Märchen »Vom Fischer und seiner Frau«, die mit nichts zufriedenzustellen ist. Er zeigt, wie jemand seine Minuskonten anwachsen lassen kann. Mit der Bemerkung, sie habe den Glauben an die Männer verloren, lockt die Frau ihren späteren Mann auf eine Leimspur, auf der er kleben bleibt. Die Bemühungen, seine Frau zufriedenzustellen, sind vergeblich, stattdessen erfährt er Kritik. Die eigenen Bedürfnisse werden weit zurückgestellt, das damit verbundene Ziel der Anerkennung seiner Großzügigkeit wird nicht erreicht. Seine zunehmenden Aggressionen werden als Zeichen von Egoismus und Egozentrik gedeutet. Egoistisch und selbstbezogen möchte er jedoch auf keinen Fall sein. Mit Schuldzuweisungen wird er dann noch weiter in die Defensive gedrückt. Auch wenn er versucht, ihr alle Wünsche zu erfüllen, es will ihm nicht gelingen.

      Wie es schon der deutsche