Chronik eines Weltläufers. Hans Imgram

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Название Chronik eines Weltläufers
Автор произведения Hans Imgram
Жанр Языкознание
Серия Karl May Sonderband
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783780216243



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ihm ritt. Mein erster Kundschafterritt! Wir schlugen sogleich die Richtung ein, in der die beiden Apatschen fortgeritten waren. Erst eine Stunde vor Mittag kehrten wir um. Unterwegs trafen wir auf sechs Kundschafter der Kiowas, mit denen wir die Friedenspfeife rauchten. Sie waren auf dem Kriegspfad, um sich an den Mescalero-Apatschen zu rächen, die einige ihrer Krieger getötet hatten, als sie von diesen beim Pferdediebstahl erwischt worden waren. Sie ritten zuerst mit in unser Lager und dann weiter, um zweihundert Krieger herbeizuholen.

      Donnerstag, 6. September 1860:

      Heute beteiligte ich mich mit doppeltem Eifer an der Arbeit, weil ich gestern gefehlt hatte. Am Abend hatten wir eine doppelt so lange Strecke wie sonst vermessen. Deshalb waren wir sehr ermüdet und legten uns nach dem Abendessen zeitig schlafen. Das Lager war inzwischen weiter vorgeschoben worden.

      Freitag, 7. September 1860:

      Gegen Mittag kamen über zweihundert Kiowas in unser Lager. Ihr Anführer hieß Tangua. Wir machten mit dem Vermessen weiter, denn wenn wir nicht allen Fleiß aufwendeten, kamen die Apatschen, bevor wir fertig waren. Führten wir unser Werk aber vor ihrer Ankunft zu Ende, so war es uns vielleicht möglich, uns aus dem Staub zu machen und uns samt den wertvollen Messgeräten und Zeichnungen in Sicherheit zu bringen.

      Samstag, 8. September 1860:

      Es wurde wettermäßig ein ungemütlicher Tag. Als es zu dunkeln begann und wir unsere Vermessungen einstellten, waren wir in der Nähe des voraussichtlichen Kampfplatzes angekommen. Sam war inzwischen zu Fuß auf Kundschaft losgegangen.

      Sonntag, 9. September 1860:

      Es war erst wenig nach Mittag, als Sam Hawkens zurückkam und berichtete, dass er die Apatschen nicht nur gesehen, sondern auch belauscht habe. Es waren ungefähr fünfzig Krieger mit ihren beiden Häuptlingen, die uns überfallen wollten. Durch eine List konnten wir die Apatschen täuschen und sie gefangen nehmen. Am Abend saßen wir Weiße um unser altes Feuer, die Kiowas lagerten etwas abseits. Ich kroch an die Bäume heran, wo Winnetou und sein Vater angebunden waren. Mir gelang es, beiden die Fesseln zu durchtrennen und mir von Winnetous Haar eine Locke abzuschneiden. Dann schlich ich mich wieder zu unserem Feuer zurück. Sam machte mir Vorwürfe. Er hatte seine Augen auf die Apatschen gerichtet und hielt mitten in seiner Rede inne, weil die beiden eben jetzt von ihren Bäumen verschwanden. Es dauerte etwas, bis der Wächter einen lauten, durchdringenden Schrei ausstieß. Alles rannte zu den Bäumen, die Weißen auch. Das weitere Verhalten der Kiowas ließ uns um unsere Sicherheit besorgt sein.

      Montag, 10. September 1860:

      Wir durften keine Stunde versäumen, um mit unserer Vermessung womöglich noch fertig zu werden, bevor Intschu tschuna und Winnetou mit ihren Kriegern zurückkehren konnten. Als die Kiowas ihre Gefangenen am Marterpfahl sterben lassen wollten, schlug ich Tangua nieder. Nachdem er nun in meiner Gewalt war, versprach er, alle Apatschen freizulassen, wenn ich mit einem seiner Krieger um Leben und Tod kämpfen würde. Ich willigte ein. Mein Gegner nannte sich Metanakva, ‚Blitzmesser‘. Im Zweikampf fuhr ihm meine Klinge bis an das Heft ins Herz und er stürzte tot zu Boden. Kurz danach erscholl das schrill tönende ‚Hiiiiiiiiih‘, der Kriegsruf der Mescaleros. Hinter Büschen hatten sich die Apatschen unbemerkt herangeschlichen. Wir schlugen mehrere der Angreifer mit dem Kolben nieder. Ich konnte Intschu tschuna mit meinem Jagdhieb niederstrecken. Tangua aber wollte ihm den Skalp nehmen, doch als ich ihn daran hinderte, wurde ich mit dem Messer verletzt. Ein Kolbenhieb von Winnetou traf meine Schulter. Dann ließ er sein Gewehr fallen, zog sein Messer und stürzte auf mich. Er holte zum Stoß gegen meine Brust aus. Das Messer fuhr in meine linke Brusttasche, traf dort die Blechbüchse, worin ich meine Papiere verwahrt hatte, glitt an dem Blech ab und drang mir oberhalb des Halses und innerhalb der Kinnlade in den Mund und durch die Zunge. Es war ein Kampf um Leben und Tod. Es gelang mir, trotz meiner Verwundung, ihm zwei rasch aufeinanderfolgende Faustschläge zu geben und ihn zu betäuben. Doch dann bekam ich einen Kolbenhieb gegen den Kopf. Als ich wieder zu mir kam, war es Abend. Ich war an Händen und Füßen gefesselt. Zu meiner Rechten saß Sam Hawkens, der mir erzählte, wie er und die anderen sich hatten retten können, aber mehr hörte ich nicht, weil ich jetzt wieder in Ohnmacht fiel.

      Dienstag, 11. September 1860:

      Als ich abermals aus meiner Betäubung erwachte, fühlte ich, dass ich mich in Bewegung befand. Ich hörte den Huftritt vieler Pferde und schlug die Augen auf. Ich lag auf der Haut des Grizzlybären, den ich erlegt hatte, und hing zwischen zwei Pferden, die mich auf diese Weise tragen mussten. Mein Mund war verschwollen und voll von geronnenem Blut. Ich wollte es mit der Zunge ausstoßen, konnte sie aber nicht bewegen. Dann wurde ich von der Ohnmacht wieder übermannt.

      Mittwoch, 3. Oktober 1860:

      Ich fuhr mir mit der Hand zur Stirn und hörte Sam Hawkens neben mir sprechen. Ich wollte antworten, konnte aber nicht, weil mir die Zunge schwer wie Blei im Mund lag. Deshalb nickte ich nur. Er sagte mir, dass ich drei Wochen in Ohnmacht gelegen hätte. Dann vernahm ich die Stimme Winnetous. Als meine Kameraden fragten, wann sie mich wieder sehen dürften, antwortete er: „Am Tage eures und seines Todes.“ Ich schlief wieder ein.

      Donnerstag, 4. Oktober 1860:

      Wie lange ich geschlafen hatte, wusste ich nicht. Es war ein Genesungsschlaf. Vor mir saßen zwei Indianerinnen. Die alte hatte Runzeln im Gesicht und war hässlich. Die junge dagegen war schön, sehr schön. Sie hieß Nscho-tschi und war Winnetous Schwester. Ich machte den Versuch zu sprechen. Sie holte mir Wasser, half mir beim Trinken und wusch mir auch Gesicht und Hände. Sie sagte, dass wir in einem Pueblo am Rio Pecos seien, wo wir in einigen Tagen am Marterpfahl sterben würden. Als ich einige Stunden darauf erwachte, kam Nscho-tschi mit einer tönernen Schüssel und einem Löffel. Das Essen wurde mir noch viel schwerer als das Trinken.

      Mittwoch, 17. Oktober 1860:

      Meine Genesung schritt von Tag zu Tag fort. Das Gerippe bekam wieder Muskeln und die Geschwulst im Mund nahm stetig ab. Nscho-tschi blieb immer gleich, stets freundlich besorgt und dabei überzeugt, dass mir der Tod immer näher rücke. Auf meine Bitte hin hatte ich schon vor einigen Tagen einen großen, schweren Steinblock bekommen, damit ich mich setzen konnte, wie ich angeblich sagte. In Wirklichkeit aber benutzte ich diesen Stein, um mit ihm meine Muskeln zu stärken.

      Montag, 29. Oktober 1860:

      Ich war nun schon sechs Wochen hier. Es war an einem schönen, sonnigen Herbstmorgen, als ich gefesselt wurde und auf Leitern den Pyramidenbau verlassen musste. Das Pueblo lag in einem schmalen Seitental, wo gewiss sechshundert Apatschen anwesend waren. Die Kiowas gesellten sich zu ihnen. Ich wurde neben Hawkens, Stone und Parker an einen Pfahl gebunden. Nach einer Beratung wurde entschieden, dass Intschu tschuna gegen mich kämpfen würde, und zwar im Wasser. Wenn ich lebendig das gegenüberliegende Ufer erreichte und bis zu einer bestimmten Zeder gelangte, so waren nicht nur ich, sondern auch meine drei Gefährten frei. Ich sollte waffenlos bleiben, Intschu tschuna jedoch hatte einen Tomahawk. Da half nur eine List, die mir auch gelang, denn ich war ein guter Taucher und schwamm unter Wasser stromaufwärts, wo mich niemand vermutete. Drüben stieg ich aus dem Wasser und rannte auf die Zeder los. Ich konnte Intschu tschunas Tomahawk ausweichen, ihn bewusstlos schlagen und ihn an die Zeder fesseln. Winnetou, der herübergeschwommen kam, zeigte Respekt vor meiner Tat und erklärte, dass wir frei seien, außer Rattler, der Klekih-petra erschossen hatte. Dann gingen wir zu der Zeder und banden dem Häuptling die Arme los. Als wir wieder drüben am anderen Ufer waren, durfte ich meine drei Gefährten losschneiden. Dann zeigte ich Winnetou die Haarlocke, die ich ihm bei seiner Befreiung von den Kiowas abgeschnitten hatte. Das machte ihn sehr betroffen, denn jetzt wusste er, dass ich wirklich sein Freund war, und wir wurden im Laufe dieses Tages Blutsbrüder. Mit Tangua, dem Häuptling der Kiowas, trug ich noch einen Zweikampf aus, wobei ich ihm beide Knie durchschoss. Noch am selben Tag verließen die Kiowas zusammen mit ihrem verletzten Häuptling das Lager der Apatschen.

      Rattler sollte noch am selben Tag den Martertod sterben. Als er jedoch laut schrie und jammerte, band man ihn los, stieß ihn in das Wasser des Rio Pecos und zwei junge Buben im Alter von etwa zehn Jahren feuerten ihre Gewehre auf ihn ab. Danach sprach ich mit Winnetou darüber, wie wir uns zum ersten Mal begegnet waren und dass ich dem sterbenden Klekih-petra versprochen hatte, ihm, Winnetou, treu zu bleiben.

      Dienstag,