Crazy Love. Eva Kah

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Название Crazy Love
Автор произведения Eva Kah
Жанр Языкознание
Серия Crazy Love
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783968160139



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Stelle. Diesmal rückte ich extra zur Seite und machte eine auffordernde Handbewegung. Er landete etwas holprig, und ich nahm ihn sofort hoch und sah nach dem Zettel. Es war ein neuer, diesmal mit mehr Text, ebenfalls in der steilen, ordentlichen Handschrift.

       Schön, dass du mit mir sprichst. Oder schreibst. Du wirst mich aber erst finden, wenn ich das möchte. Ich bin nicht allzu weit weg, aber gut genug versteckt. Also bitte nicht mehr hinfallen…!

      Das klärte die Frage, ob tatsächlich ich gemeint war. Und ob ich gefilmt wurde. Ein Blick auf die Unterseite des Helis bestätigte meine Befürchtung: Die kleine runde Glaslinse musste das Objektiv einer winzigen Kamera sein. Klar, irgendwie musste der Mensch das Ding ja steuern, für einen Blindflug war es viel zu gezielt. Trotzdem. Da saß also irgendwo ein Typ vor einem Monitor, und auf dem sah er jetzt in verpixelter Großaufnahme – mich.

      Mein Herz begann wieder schneller zu klopfen. Video-Kommunikation mit einem Unbekannten! Wie im Krimi. Vorsichtshalber lächelte ich in die Kamera.

      Jetzt rächte sich, dass meine Lieblingsbank so gut versteckt war. Der Platz öffnete sich nur zum Tümpel mit dem Ghettoblick, nach den anderen drei Seiten hin musste man ein kleines Wäldchen durchqueren, um in die anderen Bereiche des Parks zu gelangen. Natürlich verschwand der Heli zwischen den locker stehenden Bäumen des Wäldchens, wo er nach wenigen Metern hoffnungslos unsichtbar mit dem dunklen Blattwerk verschmolz. Keine Chance, dass ich dem Ding jemals hinterher kam. Wenn ich es mit dem Fahrrad versuchte, würde ich eben am nächsten Baum statt nur im Gras landen, und das auch noch mit Schmackes.

      Scheiße. Das war nicht nur wirklich spannend, das war auch wirklich romantisch. Wann hatte mich zum letzten Mal ein Mann im richtigen Leben angesprochen? Außer dem Penner vor dem U-Bahn-Eingang, meine ich? Und dann auch noch auf eine so extravagante Art… Ich liebe Geheimnisse. Alle Frauen lieben Geheimnisse, aber ich ganz besonders. Okay, wie ich am Vormittag zuvor mit dem zweiten luvjah-Benutzer in der Klinik gesehen hatte, war es nicht immer die beste Idee, Geheimnisse sofort aufklären zu wollen. Der feine Herr S. hatte mich beim Vögeln gehört! Ich bekam eine heiße Stirn. Aber trotzdem, vor dieser Peinlichkeit des Jahrtausends hatte ich wenigstens richtig guten Sex gehabt. Und im Moment war ich komplett bekleidet und nüchtern. Nicht einmal Schorschi konnte mich auf dumme Gedanken bringen. Eigentlich war ich auf meiner geheimen Bank so sicher vor meiner eigenen Tollpatschigkeit, wie man es nur sein konnte. Also warf ich der Kamera einen misstrauischen Blick zu und schrieb zurück.

      Das heißt, ich schrieb erst einmal gar nichts. Die Spitze meines Kugelschreibers hatte sich schon aufs Papier gesenkt, um ein schwungvolles großes D zu malen. D für Du hast ja Nerven, ich hätte mir sämtliche Knochen brechen können!

      Aber ich brach den Schreibvorgang ab. Das hier war kein belangloser luvjah-Chat, bei dem man einfach so drauflos tippen konnte, weil man die interessanten Knackpunkte des Gegenübers schon im Profil gesehen hatte. Erst einmal musste ich in meinem Oberstübchen ausbaldowern, womit ich dem geheimnisvollen Unbekannten am besten auf die Schliche käme. Es dauerte eine Weile, schließlich wollte ich ihn weder verschrecken noch zu stark anlocken – am Ende würde er meine Reaktion zu positiv bewerten und mir wie „Borat“ von hinten einen kasachischen Hochzeitssack über den Kopf stülpen.

      Die ganze Zeit über saß das Fliegedings wie eine geduldige dicke Spinne neben mir. Obwohl es keinerlei Geräusche oder Bewegungen machte, kam ich mir doch ein bisschen belauert vor. Das war meiner Konzentrationsfähigkeit nicht besonders zuträglich, aber nach ein paar Minuten hatte ich doch herausgefunden, was ich schreiben wollte: Eine einfache, unverfängliche Frage. Das musste wohl noch erlaubt sein, egal ob Psychostalker oder Quasimodo, damit konnte ich nicht viel falsch machen.

       Kennen wir uns?

      Kaum hatte ich das Zettelchen an die Büroklammer geklemmt, hoben die vier Spinnenbeine ab. Also hatte mich die Kamera tatsächlich die ganze Zeit scharf beobachtet – oder aber das Ding besaß so eine eingebaute Waage und merkte automatisch, wenn die Büroklammer wieder befüllt wurde. Ich fand mich ganz schön mutig, mich einfach so mit einem fremden Stück Technologie abzugeben. Vielleicht versprühte es auch Wohlfühl-Hormone oder einen tödlichen Giftcocktail, der gleich meine Haare ausfallen und mir die grüne Beulenpest auf die Oberschenkel zaubern würde. Jedenfalls stellte ich noch keine Symptome fest, bis die Rückmeldung kam. Es war ein neuer Zettel, ebenso ordentlich gefaltet und säuberlich beschrieben.

       Wir kennen uns noch viel zu wenig. Aber doch, wir sind uns auch im realen Leben schon mal begegnet.

      Eine kryptische Antwort. Im realen Leben war ich vermutlich schon ungefähr zwanzigtausend Männern begegnet. Alleine heute ein paar Dutzend. Von meinem grimmigen Hausmeister über den Typen, der mir beim Radeln die Vorfahrt genommen hatte bis zum Kassierer im Supermarkt. Soweit sie Lesen, Schreiben und ein Fliegedings bedienen konnten, kamen die theoretisch auch alle in Frage. Ganz abgesehen von meinen Kollegen und Patienten. Da musste doch mehr heraus zu kitzeln sein! Ich würde ihn schon irgendwie provozieren können. Auf die Rückseite des Zettels schrieb ich diesmal:

       Sorry, keine Ahnung. Ich kenne nicht viele Techniknerds, die sich lieber hinter einem Spielzeug verstecken, als sich persönlich mit mir zu unterhalten. Und mit Fremden rede ich eigentlich nicht. Könnte ja sonst was dahinterstecken. Wenn du also weiter anonym bleibst, geh ich halt.

      Mit klopfendem Herzen sah ich dem viereckigen Flugobjekt nach. War ich nicht doch zu grob gewesen? Wenn ich ehrlich war, wollte ich gar nicht weggehen. Selbst wenn der Typ noch wochenlang anonym bliebe. Dieses Spielchen war viel zu spannend, um jetzt schon beendet zu werden.

      Es dauerte diesmal länger, bis die Antwort einschwebte. Sicherlich eine Viertelstunde. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Ich versuchte, mich mit ein paar Stückchen Schokolade auf Trab zu halten, lehnte mich auf meiner Bank zurück und ließ mir die Spätnachmittagssonne auf die Schienbeine scheinen.

       Du wirst nicht gehen. Dafür bist du viel zu neugierig. Das weiß ich, weil du dieses konzentrierte Funkeln in den Augen bekommst, wenn du etwas Neues vor dir hast. Neugierde ist eine der herausragendsten Eigenschaften. Sie kommt noch vor der Intelligenz. Womit ich allerdings nicht sagen will, dass du nicht auch ordentlich Grips hättest.

       Entschuldige, aber bist du sicher, dass du nicht für „Versteckte Kamera“ arbeitest? Wieso überschüttest du mich aus heiterem Himmel mit einem solchen Haufen Komplimente?

       Weil ich dich nicht aus heiterem Himmel mit Luxusgütern überschütten kann, ohne dir ernsthafte Verletzungen zuzufügen. Nein, ehrlich: Weil du der beste Mensch bist, dem ich je begegnet bin. Und zufällig auch noch die schönste Frau, die ich mir vorstellen kann.

       Oha. Sehr schmeichelhaft. Aber dann ist es ja nicht so weit her mit deinem Vorstellungsvermögen…

       Quatsch. Höchstens mit deinem Selbstbewusstsein. Und vielleicht mit meiner Sehkraft. Wobei die allemal ausreicht, um deine Perfektion zu beurteilen.

       Ich bin perfekt? Erzähl mir mehr!

       Ich dachte, du redest nicht mit Fremden.

      Schlagfertig war er, mein Unbekannter. Ich lachte und stellte dabei fest, wie sehr mich unser Zettelkrieg schon in den Bann geschlagen hatte.

       Treffer. Eigentlich will ich aber ja auch gar nicht mit dir reden. Ich will nur weiter lesen, warum ich so schön und perfekt bin. Das war mir nämlich bisher gar nicht so klar.

       Aber stehen Frauen denn nicht heimlich auf die großen Schweiger mit den breiten Schultern?

       Möglich. Wenn sie im richtigen Moment schweigen… Hast du denn breite Schultern?

       Könnte man wahrscheinlich schon so sagen. Aber ich bin da vermutlich nicht besonders objektiv.

      Beim letzten Satz sah ich meine eigene Hand kaum mehr vor Augen, geschweige denn das, was ich da schrieb. Vor lauter Schreiben und Warten, Lesen und Lachen war mir ganz entgangen, wie die Dämmerung eingesetzt hatte. Der Park war menschenleer; aus einiger