Jesus vertrauen - aus gutem Grund. Ulrich Parzany

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Название Jesus vertrauen - aus gutem Grund
Автор произведения Ulrich Parzany
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783417229950



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      Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum gebe ich auf und bereue in Staub und Asche.

      Hiob 42,5 ff.

      Auch Jesus reagiert auf die Erwartungen von Menschen überraschend. Zwei verschiedene Reaktionen von Jesus werden in den Evangelien berichtet.

      Im Lukasevangelium 13,1-5 lesen wir:

      Es waren aber zu der Zeit einige da, die berichteten Jesus von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. Und er antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle andern Galiläer, weil sie das erlitten haben? Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen. Oder meint ihr, dass die achtzehn, auf die der Turm von Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen seien als alle andern Menschen, die in Jerusalem wohnen? Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen.

      Was Schreckliches geschehen ist, können wir nur aus diesem Bericht erschließen. Der Gouverneur Pilatus hat offensichtlich mit einem brutalen Einsatz von Soldaten galiläische Pilger im Tempel umbringen lassen, als sie ihre Opfer darbrachten. Wie kann Gott ein solches Verbrechen im Heiligtum zulassen? Die Fragesteller scheinen geglaubt zu haben, dass die Galiläer furchtbar gesündigt haben müssten, wenn ihnen das zu Recht geschah. Wenn das Geschehen aber keine Strafe Gottes für die Galiläer war, warum wird dann Pilatus nicht für seine frevelhafte Entweihung des Heiligtums von Gott bestraft?

      Jesus liefert keine Erklärung. Er dreht den Spieß um.

      … wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen.

      Die Katastrophe in Siloah muss allen Anwesenden bekannt gewesen sein. Ein Turm stürzte ein und erschlug achtzehn Leute. Ein typischer Fall für die Frage: »Wie kann Gott das zulassen?« Auch hier spitzt Jesus alles auf die persönliche Mahnung zur Umkehr zu, anstatt die Warum-Frage zu beantworten.

      Das Bedürfnis, Leiden als Strafe für Böses zu erklären, scheint allgemein menschlich zu sein. Es ist jedenfalls typisch für den religiösen Menschen. Ganze Religionssysteme sind darauf aufgebaut. Die Karma-Lehre in den asiatischen Religionen besagt, dass der Mensch durch das Tun des Guten gutes Karma sammelt, das sich später in einem guten Leben auswirkt. Wenn er Böses tut, erwirbt er schlechtes Karma. Das bewirkt notwendig leidvolles Leben und wird dadurch sozusagen abgearbeitet. So besteht für den Menschen wiederum die Möglichkeit, in einem nächsten Leben Besseres zu erleben. Wenn das stimmt, ist alles erklärt. Alles Leid ist selbst verschuldet – in einer früheren Existenz. Es muss erlitten werden, damit es später mal besser wird. Alles hat seine Ordnung. Man kann am Leiden der Menschen grundsätzlich nichts ändern. Beruhigend?

      Als Pfarrer habe ich von Kranken oft den Satz gehört: »Was habe ich getan, dass ich so etwas erleiden muss? Wie kann Gott das zulassen?« Ich habe noch nie gehört, dass jemand sich beschwert hat, dass Gott ihm ungerechterweise einen schönen Urlaub, strahlende Gesundheit, eine berufliche Beförderung, eine intakte Familie gegeben hat, obwohl er sich gar nicht um Gott gekümmert hat.

      Jesus hat einmal sehr drastisch gezeigt, dass Leid und Schuld nicht persönlich aufgerechnet werden dürfen.

      Wir lesen im Johannesevangelium 9,1-7:

      Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden und sprach zu ihm: Geh zu dem Teich Siloah – das heißt übersetzt: gesandt – und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.

      Weder dieser noch seine Eltern haben gesündigt? Ist das theologisch korrekt? Jesus hat doch selbst gesagt, dass aus dem Herzen des Menschen Böses kommt,

      Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Arglist, Ausschweifung, Missgunst, Lästerung, Hochmut, Unvernunft.

      Markus 7,21 ff.

      Davon ist doch keiner frei. Wir leben in der Welt nach dem Sündenfall. Ja, das stimmt.

      Aber Jesus wischt die Frage der Jünger einfach weg. Die Logik hinter der Frage war klar. Wenn das Schicksal des Blindgeborenen eine Strafe für Sünde war, dann kann er selbst ja nicht der Verursacher gewesen sein. Also müssen seine Eltern schuld sein. Jesus erklärt gar nichts, er weist nach vorne:

      … sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.

      Jesus selbst vollbringt an dem Blindgeborenen das Werk Gottes, nämlich die Heilung. Er tut es auf befremdliche Weise. Spucke, Erde, Matsch, Waschen am Teich Siloah. Warum mit dieser unappetitlichen Methode? Jesus hat sonst Blinde, Lahme und andere Kranke nur mit einem Wort geheilt. Die unangenehme, umständliche Prozedur kann nur ein Hinweis darauf sein, dass Jesus die eigentliche Heilung der Menschen durch sein Leiden und Sterben am Kreuz vollbringen wird. Nur wenn wir uns darauf einlassen, wie der Blindgeborene hier auf die von Jesus vollzogene und gebotene Prozedur, werden uns die Augen aufgehen und wir werden das Licht der Welt sehen und gerettet werden.

      Aber noch etwas fällt auf. Jesus sagt:

      Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.

      Er redet nicht nur von sich. Er bezieht seine Jünger mit ein:

      Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat …

      Jesus macht aus den Zuschauern Mitarbeiter. Die Warum-Frage haben sie als Zuschauer im Vorübergehen gestellt. Sie wollten von Jesus die Erklärung für ein schwieriges Problem. Jesus verweigert die Antwort auf ihre Frage. Stattdessen handelt er an dem Blindgeborenen und kündigt an, dass seine Jünger in dieses Wirken Gottes einbezogen werden. Genau das hat Gott mit uns vor. Er will uns von Zuschauern zu beteiligten Mitarbeitern seiner Hilfe für die Menschen machen.

      Mancher ist nicht zufrieden, dass die Frage unbeantwortet bleibt. Aber was wäre die Folge, wenn wir die Warum-Frage befriedigend beantwortet bekämen? Wir könnten uns beruhigt zurücklehnen und dem Elend in der Welt zuschauen, weil ja alles seine Ordnung hat. Genau das ist die Folge in Religionen und Weltanschauungen, die behaupten, die Frage nach dem Warum des Leidens für jeden Fall befriedigend beantworten zu können. Jesus befriedigt diesen Wunsch nicht. Die unbeantworteten Fragen brennen wie offene Wunden. Jesus beruft uns, an der Linderung der Not mitzuwirken. Und er rüstet uns dazu aus.

      Zwei tiefe Erfahrungen in meinem Leben haben mir geholfen, mit den brennenden offenen Fragen leben zu können.

      Als Jugendpfarrer erlebte ich, dass der vierzehnjährige Sohn meines guten Freundes bei einer Fahrradtour in unserem Sommerlager tödlich verunglückte. In der Nacht musste ich die Eltern im Urlaub in Italien informieren. Ich holte mir am nächsten Morgen bei der Polizei den Schlüssel zur Totenzelle auf dem Friedhof der Stadt im Sauerland. Ich stand allein an der Bahre. Der Junge lag unter einer Decke. Ich enthüllte seinen verletzten Kopf. Nie hatte ich zuvor in meinem Leben eine so schreckliche Situation erlebt. Ich weiß nicht mehr, ob ich geweint habe oder gar nicht mehr weinen konnte. Eins habe ich nicht vergessen, weil es mich in dieser Totenzelle neben dem Leichnam des Jungen überraschte: Ich war ganz gewiss, dass der auferstandene Jesus gegenwärtig war. Selten war ich seiner Gegenwart so gewiss wie an diesem Ort und in dieser schweren Stunde.

      Die zweite Erfahrung musste ich Anfang 1985 in einem sudanesischen Flüchtlingslager an der Grenze zu Äthiopien machen. In Wad Kauly hatte sich damals in wenigen Tagen ein Lager mit etwa 50 000 Flüchtlingen aus Eritrea gebildet. Ich besuchte dienstlich einen deutschen CVJM-Mitarbeiter, der mit dem sudanesischen YMCA arbeitete. Er nahm mich auf eine zehn Stunden lange Autofahrt über staubige Pisten zu diesem abgelegenen Lager mit. Es gab dort nur wenig Wasser. Keine hygienischen Einrichtungen. Noch keine ärztliche