Название | Ausgewählte philosophische Werke von Moses Mendelssohn |
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Автор произведения | Moses Mendelssohn |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027207183 |
Hat es aber keine Heldengeister gegeben, die, ohne von ihrer Unsterblichkeit überführt zu seyn, für die Rechte der Menschlichkeit, Freyheit, Tugend, und Wahrheit ihr Leben hingegeben? O ja! und auch solche, die es um weit minder löblicher Ursachen willen auf das Spiel gesetzt. Aber gewiß hat sie das Herz, und nicht der Verstand dahin gebracht. Sie haben es aus Leidenschaften, und nicht aus Grundsätzen gethan. Wer ein künftiges Leben hoffet und das Ziel seines Daseyns in der Fortschreitung zur Vollkommenheit setzet, der kann zu sich selber sagen: Siehe! du bist hieher gesendet worden, durch Beförderung des Guten dich selbst vollkommener zu machen: du darfst also das Gute, wenn es nicht anders erhalten werden kann, selbst auf Unkosten deines Lebens befördern. Drohet die Tyranney deinem Vaterlande den Untergang, ist die Gerechtigkeit in Gefahr unterdrückt, die Tugend gekränkt, und Religion und Wahrheit verfolgt zu werden: – so mache von deinem Leben den Gebrauch, zu welchem es dir verliehen worden, stirb, um dem menschlichen Geschlechte diese theuren Mittel zur Glückseligkeit zu erhalten! Das Verdienst, mit so vieler Selbstverleugnung das Gute befördert zu haben, giebt deinem Wesen einen unaussprechlichen Werth, der zugleich von unendlicher Dauer seyn wird. So bald mir der Tod das gewähret, was das Leben nicht gewähren kann, so ist es meine Pflicht, mein Beruf, meiner Bestimmung gemäß zu sterben. Nur alsdann läßt sich der Werth dieses Lebens angeben, und mit andern Gütern in Vergleichung bringen, wann wir es als ein Mittel zur Glückseligkeit betrachten; so bald wir aber mit dem Leben auch unser Daseyn verlieren, so hört es auf ein bloßes Mittel zu seyn, es wird der Endzweck, das letzte Ziel unserer Wünsche, das höchste Gut, wornach wir streben können, das um sein selbst willen gesucht, geliebt und verlangt wird, und kein Gut in der Welt kann mit ihm in Vergleichung kommen, denn es übertrifft alle anderen Betrachtungen an Wichtigkeit. Ich kann daher unmöglich glauben, daß ein Mensch, dem mit diesem Leben alles aus ist, sich nach seinen Grundsätzen, dem Wohl des Vaterlandes, oder des ganzen menschlichen Geschlechts aufopfern könne. Ich bin vielmehr der Meynung, daß, so oft die Erhaltung des Vaterlandes z. B. unumgänglich erfodert, daß ein Bürger das Leben verliere, oder auch nur in Gefahr komme es zu verlieren, nach dieser Voraussetzung, ein Krieg, zwischen dem Vaterlande und diesem Bürger entstehen muß, und was das seltsamste ist, ein Krieg, der auf beiden Seiten gerecht ist. Denn hat das Vaterland nicht ein Recht, von jedem Bürger zu verlangen, daß er sich dem Wohl des Ganzen aufopfere? Wer wird dieses leugnen? Allein dieser Bürger hat das gerade entgegengesetzte Recht, so bald das Leben sein höchstes Gut ist. Er kann, er darf, ja er ist diesen seinen Grundsätzen nach, verbunden es zu thun, den Untergang seines Vaterlandes zu suchen, um sein allertheuerstes Leben einige Tage zu verlängern. Jedem moralischen Wesen kömmt nach dieser Voraussetzung, ein entschiedenes Recht zu, den Untergang der ganzen Welt zu verursachen, wenn es sein Leben, das heißt sein Daseyn, nur fristen kann. Ebendasselbe Recht haben alle seine Nebenwesen. Welch ein allgemeiner Aufstand! welche Zerrüttung, welche Verwirrung in der sittlichen Welt. Ein Krieg der auf beiden Seiten gerecht ist, ein allgemeiner Krieg aller moralischen Wesen, wo jedes in Wahrheit das Recht auf seiner Seite hat; ein Streit, der an und für sich selbst, auch von dem allergerechtesten Richter der Welt, nicht nach Recht und Willigkeit entschieden werden kann: was kann ungereimter seyn? Wenn alle Meynungen, worüber die Menschen jemals gestritten und in Zweifel gewesen, vor den Thron der Wahrheit gebracht werden sollten: was dünkt euch, meine Freunde! würde diese Gottheit nicht alsofort entscheiden, und unwiederruflich festsetzen können, welcher Satz wahr, und welcher irrig sey? Ganz unstreitig! denn in dem Reiche der Wahrheit giebt es keinen Zweifel, keinen Schein, kein Dünken und Meynen; sondern alles ist entschieden wahr, oder entschieden irrig und falsch. Jedermann wird mir auch dieses einräumen, daß eine Lehre, die nicht bestehen kann, wenn wir nicht in dem Reiche der Wahrheiten selbst Widersprüche, unauflösliche Zweifel oder nicht zu entscheidende Ungewißheiten annehmen, nothwendig falsch seyn müsse: denn in diesem Reiche herrschet die allervollkommenste Harmonie, die durch nichts unterbrochen oder gestört werden kann. Nun aber hat es mit der Gerechtigkeit die nehmliche Beschaffenheit: vor ihrem Throne werden alle Zwiste und Streitigkeiten über Recht und Unrecht durch ewige und unveränderliche Regeln entschieden. Da ist kein Rechtsfall streitig und ungewiß, da sind keine Gerechtsame zweifelhaft, da finden sich niemals zwey moralische Wesen, die auf eine und eben dieselbe Sache ein gleiches Recht hätten. Alle diese Schwachheiten sind ein Erbtheil des kurzsichtigen Menschen, der die Gründe und Gegengründe nicht gehörig einsiehet, oder nicht gegeneinander abwiegen kann; in dem Verstande des allerhöchsten Geistes stehen alle Pflichten und Rechte moralischer Wesen, so wie alle Wahrheiten, in der vollkommensten Harmonie. Aller Streit der Obliegenheiten, alle Kollision der Pflichten, die ein eingeschränktes Wesen in Zweifel und Ungewißheit setzen können, finden hier ihre unwiederrufliche Entscheidung, und ein gleiches Recht und Gegenrecht ist in den Augen Gottes nicht weniger ungereimt, als ein Satz und Gegensatz, Seyn und Nichtseyn, welche beide in eben der Zeit dem Gegenstande zukommen sollen. Was sollen wir also zu einer Meynung sagen, die uns durch die bindigsten Folgerungen, auf so übel zusammenhängende und unstatthafte Begriffe führet? Kann sie vor dem Throne der Wahrheit genehmiget werden? Mein Freund Kriton war vor einigen Tagen nicht geneigt mir einzuräumen, daß ich es der Republik und den Gesetzen schuldig sey, mich der Strafe zu unterwerfen, die mir auferlegt worden. Wenn mir seine Denkungsart nicht ganz unbekannt ist, so schien er nur deswegen Bedenken zu tragen, weil er das Urtheil, welches über mich ausgesprochen worden, für ungerecht hielt. Wenn er wüßte, daß ich mich wirklich der Verbrechen schuldig gemacht die wider mich eingeklagt worden sind, so würde er nicht zweifeln, daß die Republick berechtiget sey, mich am Leben zu strafen, und daß mir obliege, diese Strafe zu leiden. Dem Rechte zu thun entspricht allezeit eine Verbindlichkeit zu leiden. Hat die Republik, wie jede andere sittliche Person, ein Recht denjenigen zu strafen, der sie beleidiget, und wenn es leichtere Strafen nicht thun, ihn so gar am Leben zu strafen: so muß der Beleidiger auch nach der Strenge der Gerechtigkeit verbunden seyn, diese Strafe zu dulden. Ohne diese leidende Verbindlichkeit, wäre jenes Recht ein leerer Ton, Worte ohne Sinn und Bedeutung. So wenig es in der physischen Welt ein Wirken ohne ein Leiden giebt: eben so wenig kann in der sittlichen Welt ein Recht auf eine Person, ohne eine Verbindlichkeit von Seiten dieser Person gedacht werden. Ich zweifle nicht, meine Freunde! daß Kriton, und ihr alle hierinn mit mir einstimmet. Aber so könnten wir nicht denken, wenn das Leben uns alles wäre. Dieser irrigen Meynung zu Folge, käme dem abscheulichsten Verbrecher nicht die Obliegenheit zu, die wohlverdiente Strafe zu leiden; sondern wenn er bey der Republik sein Leben verwirkt hat, so ist er befugt das Vaterland, das seinen Untergang will, zu Grunde zu richten. Das Geschehene ist nicht mehr zu ändern, das Leben ist sein höchstem Gut: wie kann er ihm das Wohl der Republik vorziehen? Wie kann ihm die Natur eine Pflicht vorschreiben, die nicht zu seinem höchsten Gute abzielet? Wie kann er verbunden seyn, etwas zu thun, oder zu leiden, das mit seiner ganzen Glückseligkeit streitet? Es wird also ihm nicht unerlaubt seyn, ja sogar obliegen, den Staat durch Feuer und Schwerdt zu verwirren, wenn er sein Leben dadurch retten kann. Wodurch aber hätte der Bösewicht diese Befugniß erlangt? Bevor er das zu bestrafende Verbrechen begangen, war er, als Mensch, verbunden das Wohl der Menschen, als Bürger, das Wohl seiner Mitbürger