Chefarzt Dr. Norden Staffel 6 – Arztroman. Helen Perkins

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Название Chefarzt Dr. Norden Staffel 6 – Arztroman
Автор произведения Helen Perkins
Жанр Языкознание
Серия Chefarzt Dr. Norden Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740976828



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Und später auch mit seiner Mutter, sobald es ihr Zustand erlaubt.«

      »Kai Wagner ist der Schuldige in diesem Fall«, war Mark sich ganz sicher. »Es ist nicht das erste Mal, dass meine Schwester versucht hat, ihn zu verlassen. Er ist ein Monster.«

      »Ich weiß jetzt Bescheid, Herr Hansen. Aber ich brauche Beweise«, betonte der Kommissar. »Wir müssen dem Mann etwas nachweisen können, um ihn anzuklagen.«

      *

      »Wohin wollen Sie?« Kai Wagner vertrat Elfriede Kramer den Weg. Die Haushälterin trug in jeder Hand einen Koffer.

      »Ich kündige. Der Brief liegt auf Ihrem Schreibtisch.«

      Sie musterte ihn kühl.

      »Und nun gehen Sie mir aus dem Weg.«

      »Sie bleiben. Ich kann es nicht zulassen, dass Sie meine schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit waschen. Sie wissen zu viel über mich.«

      Elfriede Kramer lachte hart auf. »Was soll das? Was bilden Sie sich eigentlich ein?«

      »Seien Sie still!« Der Unternehmer starrte sie böse an.

      Seit dem Zwischenfall in der Pension Mecking war Kai Wagner völlig neben der Spur. Ständig telefonierte er mit seinem Anwalt und der Detektei, die Lisa und Torben ausfindig gemacht hatte. Er schien von dem Gedanken besessen zu sein, dass man ihm etwas anhängen wollte, um ihn in der Öffentlichkeit schlecht zu machen. Elfriede Kramer fühlte sich zunehmend unwohl in der Nähe ihres Brotherrn. Sie wollte einfach nichts mehr mit ihm zu tun haben. Er schien den Bezug zur Realität verloren zu haben. Und in einem solchen Zustand war ihm wohl alles zuzutrauen.

      »Ich gehe jetzt«, sagte sie entschlossen.

      »Sie bleiben!« Er stürzte sich wie ein Geier auf ihr Gepäck und rannte damit aus dem Zimmer. Elfriede schaute ihm befremdet hinterher. In diesem Moment wurde an der Haustür geklingelt.

      Die Haushälterin wartete einen Moment, und da von Kai Wagner keine Reaktion erfolgte, ging sie, um zu öffnen.

      Vor der Tür standen zwei unauffällig gekleidete Männer, dahinter drei Polizisten in Uniform. Der ältere der Zivilen sagte: »Kommissar Sprenger, das ist mein Kollege Hübner. Ist Herr Kai Wagner zu sprechen?«

      »Ja, er ist zu Hause. Bitte, kommen Sie doch herein.«

      Die Beamten betraten das Haus, im gleichen Moment heulte draußen ein Motor auf und dann schoss Kai Wagners Wagen vom Grundstück. Elfriede Kramer meinte, ihren Augen nicht trauen zu können. Der Kommissar wies die Uniformierten an, dem Verdächtigen, wie er sich ausdrückte, zu folgen und, falls nötig, eine Fahndung nach ihm herauszugeben. Dann setzte er sich mit Elfriede Kramer zusammen und bat sie, ihm alles zu erzählen, was sie über die häuslichen Gewalttätigkeiten zwischen den Eheleuten Wagner wusste. Sie zögerte.

      »Frau Wagner liegt mit zwei gebrochenen Rippen und einer schweren Gehirnerschütterung im Krankenhaus. Es steht zu vermuten, dass dies das Werk ihres Mannes ist. Ihr Bruder, Mark Hansen, wollte sie vor Tagen abholen, wurde aber überfallen und niedergeschlagen. Er befindet sich ebenfalls in stationärer Behandlung. Wie es aussieht, hat Herr Wagner seine Frau ausfindig gemacht und wollte sie mit Gewalt zwingen, zu ihm zurück zu kommen. Bei dieser Auseinandersetzung ist Frau Wagner gestürzt und hat sich schwer verletzt. Ihr Sohn hat daraufhin einen Schock erlitten.«

      »O Gott«, stöhnte Elfriede. »So musste es ja kommen …«

      »Sind Sie also bereit, über die Zustände in diesem Haus auszusagen? Häusliche Gewalt ist ein Delikt, auf das durchaus Gefängnis steht. Von der Körperverletzung in der Pension ganz zu schweigen.«

      »Ich erzähle Ihnen alles, was Sie wissen wollen.« Die Haushälterin atmete tief durch. »Es wird Zeit, dass jemand Kai Wagner das Handwerk legt, endgültig!«

      Während Elfriede Kramer ihre Aussage machte, raste Kai Wagner in seinem schweren Wagen über die Autobahn Richtung Süden. Ein wildes Triumphgefühl erfüllte ihn, als es schien, dass er seine Verfolger abgehängt hatte. Er telefonierte mit seinem Anwalt, der ihm allerdings riet, vernünftig zu sein und sich zu stellen. Er sprach von einen sachlichen Gespräch, von Kompromissen und einer – wenn auch hohen – Geldstrafe. Für ihn schien das alles kein Beinbruch zu sein. Für Kai aber war so etwas undenkbar.

      Niemals würde er zulassen, dass man ihn vor Gericht stellte. Schließlich hatte er sich nichts zuschulden kommen lassen. Sein Image als sauberer Strahlemann musste unter allen Umständen gewahrt bleiben. Er würde eine andere Lösung finden!

      »Wie’s drinnen aussieht …«

      Kai schrak zusammen, als er die Stimme seines Vaters hörte. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass sie nur in seinem Kopf war. Eine dumme, unpassende Erinnerung. Wütend schob er sie weg. Doch der Alte ließ sich nicht zur Seite schieben, das hatte noch nie geklappt.

      »Du mieser kleiner Wicht. Gibt es eigentlich nichts, was du richtig machen kannst?«, dröhnte der Bass des Alten unter seiner Schädeldecke. »Lässt sein Weibel weglaufen, lässt sich zum Gespött machen. Bald werden alle Bescheid wissen, alle. Sie werden sich die Bäuche vor Lachen halten, über dich …«

      »Nein!« Kai gab Gas, der schwere Wagen lag wie ein Brett auf der Straße, das Voralpenland ringsum flog an ihm vorbei.

      »O doch!«, höhnte der Alte weiter. »Du bist nicht mein Sohn, du bist es nicht wert. Nichts bist du, nur ein blasser, dummer Abklatsch von mir. Ich schäme mich für dich!«

      »Sei endlich still!« Der Tacho zeigte bereits zweihundert Stundenkilometer und kroch noch weiter nach rechts. Kai Wagner starrte mit glasigem Blick auf das graue Band der Straße, das sich vor seinen Augen in Rauch und Staub auflöste. Und dann sah er wieder das verhasste Jagdzimmer vor sich. Die mit dunkler Wandbespannung bezogenen hohen Mauern voller Geweihe, die Vitrine aus Wurzelholz mit den Gewehren, den ausgestopften Fuchs, das blicklose Reh, all die toten Dinge, die ihn mitleidlos zu betrachten schienen. Und der Alte in all seiner Pracht, in seiner Rechten den schwarzen Stock aus Mahagonieholz mit dem silbernen Knauf.

      »Ich werde dich lehren, mir zu gehorchen! Ich werde einen Mann aus dir machen, einen richtigen Mann…«

      Mit einem lauten Knall verpuffte die böse Erinnerung. Kai Wagner wollte aufatmen, als er begriff, dass dieser Knall nichts mit dem zu tun hatte, was sich gerade in seinem Kopf abspielte. Er war ganz real gewesen. Ein Reifen war geplatzt. In der nächsten Sekunde leuchtete der Bordcomputer wie ein Christbaum auf. Der Wagen bekam sofort Schlagseite. Kai kurbelte wie ein Wilder am Lenkrad, ohne noch etwas zu erreichen.

      Die Lenkung blockierte, der Jaguar legte sich kurz quer, dann schoss er wie ein Pfeil auf die Leitplanken zu. Es herrschte wenig Verkehr an diesem Frühlingsabend. Für ein paar endlose Sekunden sah der Unternehmer in der Ferne den Chiemsee im letzten, milden Licht der Frühlingssonne bläulich schimmern. Dann folgte der Aufprall. Mit ohrenbetäubendem Krachen und Knirschen zerlegte der schwere Wagen die Leitplanken, als seien sie aus Papier. Kurz touchierte er ein Feld, auf dem die erste Saat spross, drehte sich und überschlug sich mehrere Male, bis er völlig demoliert auf dem Dach liegen blieb.

      *

      Lisa Wagner öffnete mühsam die Augen. Zuerst sah sie nur schwache Umrisse und meinte, sich noch in jenem seltsamen Zustand zu befinden, der sie seit gefühlt unendlich langer Zeit nicht freigeben wollte. Das Letzte, woran sie sich erinnern konnte, war ihre Flucht vor Kai gewesen. Dann der Sturz. Und danach nur noch Dunkelheit.

      »Lisa, kannst du mich hören?«

      Nun war sie erst recht überzeugt, zu träumen. Marks Stimme? Das konnte nicht sein, war schlicht unmöglich. »Mama, wach doch auf!«

      Torben? Lisa versuchte noch einmal, aus dem tiefen, dunklen Schacht der Bewusstlosigkeit aufzutauchen. Diesmal gelang es ihr. Und dann schaute sie verwundert in das Gesicht ihres Bruders, der ihr zulächelte.

      »Mark …« Ihre Stimme war nur ein Hauch.

      »Lisa, endlich!« Ihr Bruder drückte sacht ihre Rechte. Und dann schob sich Torbens kleines Gesicht neben das des Onkels.