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Vielleicht erwacht sie dann wieder aus dem Koma.« Sie hielt inne und schöpfte Atem. »Es liegt allein in Ihrer Hand.«

      Fabian gab seinen Widerstand auf. Mit hängenden Schultern kehrte er in sein Atelier zurück. Bevor die Tür ins Schloss fiel, folgte Sophie Petzold ihm. Eine Weile sah sie ihm dabei zu, wie er zwischen seinen Bildern auf und ab ging. Endlich blieb er stehen und sah sie herausfordernd an.

      »Wenn Sie glauben, dass Alexandra wegen mir aus dem Koma aufwacht, haben Sie eine falsche Vorstellung von unserem Verhältnis.«

      »Herrgott noch einmal. Es geht um Ihre Mutter!« Allmählich verlor Sophie die Geduld.

      Fabian lächelte spöttisch.

      »Ach, ich habe eine Mutter? Das ist mir in all den Jahren entfallen.«

      Dieser Satz war einer zu viel. Empört stemmte Sophie die Hände in die Hüften.

      »Jetzt hören Sie mir mal genau zu, Sie Schnösel. Ich habe Ihre Mutter genauso überheblich behandelt wie Sie. Deshalb liegt sie jetzt im Koma. Es ist allein meine Schuld. Und ich kann nur an Ihren Verstand appellieren: Machen Sie nicht den gleichen Fehler wie ich. Gehen Sie zu Alexandra. Bitte.« Am Ende ihrer leidenschaftlichen Rede glänzten Tränen in ihren Augen. Doch diesen Triumph wollte sie Fabian nicht auch noch gönnen.

      Auf dem Weg durch das Atelier zerrte sie ein Taschentuch aus der Jacke. Gleich darauf fiel die schwere Tür krachend hinter ihr ins Schloss.

      *

      Die medizinischen Geräte schnauften und piepten leise und gleichmäßig vor sich hin. Hochkonzentriert stand Dr. Felicitas Norden am Operationstisch. Dr. Klaiber kümmerte sich um die Anästhesie, die Assistenzärztin Stefanie Brugger und eine Operationsschwester standen ihr zur Seite.

      »Ich entlaste jetzt die Blutung«, teilte sie den Kollegen mit.

      »Kleine Kompresse«, verlangte die Assistenzärztin. Die OP-Schwester reichte ihr das Gewünschte.

      »Ich entferne jetzt Blutkoagel und lege den frakturierten Wirbel frei.« Vor Anspannung stand Fee der Schweiß auf der Stirn. Sie atmete tief durch. »Bitte tupfen.«

      Die Schwester erfüllte ihren Wunsch sofort. Stefanie Brugger beugte sich über das Operationsfeld.

      »Der Kleine hat Glück. Es ist kein Infektionsherd zu sehen«, stellte sie fest.

      »Dann hat Lammers doch gute Arbeit geleistet.« Felicitas fiel ein Stein vom Herzen. Mit einem Mal ging ihr die Arbeit leicht von der Hand. »Wir spülen den Operationsherd vorsichtshalber trotzdem und legen eine Drainage. Subku­tannaht.« Sie schickte Stefanie Brugger einen auffordernden Blick.

      Die verstand und nahm den Platz der Chefin ein.

      »Ich denke, Sie kommen jetzt ohne mich zurecht.« Fee nickte ihrem Team zu und bedankte sich. »Ich gehe jetzt zu den Eltern und überbringe die frohe Botschaft.« Sie verließ den Operationssaal. In Gedanken versunken wusch sie sich die Hände, ehe sie sich auf den Weg machte.

      Kurz darauf öffnete sie die Tür des Aufenthaltsraums, der für die Angehörigen der Patienten eingerichtet worden war. Hier konnten sie – ungestört von neugierigen Blicken – ihren Ängsten, Nöten und Hoffnungen freien Lauf lassen. Thorsten und Frauke saßen nebeneinander und hielten sich stumm an den Händen. Als Fee eintrat, sprangen sie wie auf Kommando auf.

      »Wie geht es unserem Sohn?«, fragte Thorsten, ohne die Hand seiner Frau loszulassen.

      Fees Lächeln nahm die Antwort vorweg.

      »Es ist uns gelungen, das Hämatom zu entfernen. Entgegen unseren Befürchtungen hat sich darunter keine Infektion gebildet. Das bedeutet, dass Dr. Lammers keinen Fehler gemacht hat.«

      Die nächste, bange Frage ließ nicht auf sich warten.

      »Wird Severin wieder gesund werden?« Fraukes Stimme bebte vor Angst. »Wieder laufen, springen und hüpfen können, wie er es immer so gern getan hat?«

      Selten war Felicitas Norden dankbarer gewesen, eine Frage positiv beantworten zu können.

      »Wenn nichts Unvorhergesehenes mehr passiert und sich Severin in der Reha Mühe gibt, wird er bald wieder der Alte sein.«

      Diese Worte waren wie eine Erlösung für die Eltern. Frauke fiel ihrem Mann in die Arme und weinte heiße Tränen der Erleichterung. Dieser Anblick war weitaus mehr Lohn für Dr. Felicitas Norden als alles Geld der Welt. Erfüllt mit einer tiefen Dankbarkeit, trat sie schließlich den Rückzug an. Auch auf sie warteten an diesem Tag noch zahlreiche Aufgaben, die sie nicht vernachlässigen durfte.

      *

      Schwester Elena war sichtlich überrascht, als sich der junge Mann vorstellte und darum bat, seine Mutter Alexandra Endress besuchen zu dürfen.

      »Ich muss Sie bitten, diese kleidsame Tracht anzulegen.« Sie half ihm in einen sterilen Kittel.

      »Ich kenne eine herausragende Mode-Designerin, die auf der Suche nach einem Thema für ihre Abschlussarbeit ist«, scherzte er, während er die Haube auf den Kopf setzte. »Da könnte sie sich mal so richtig austoben.«

      »Vielleicht komme ich bei Gelegenheit auf das Angebot zurück.« Elena war sensibel genug, um die Nervosität des jungen Mannes zu spüren. Sie nickte ihm aufmunternd zu. »Aber jetzt wünsche ich Ihnen beiden erst einmal viel Glück.«

      »Vielen Dank. Davon kann man nie genug haben.« Einen Moment blieb Fabian noch vor der Tür des Intensivzimmers stehen. Er holte tief Luft, ehe er ans Bett seiner Mutter trat. Elena begleitete ihn für den Fall, dass er ihre Hilfe benötigte. Sie kontrollierte den Inhalt des Infusionsbeutels und trug die Daten der Überwachungsgeräte in das Patientenblatt ein, das am Fußende auf einem Wagen lag.

      »Sie sieht aus, als ob sie schliefe«, murmelte Fabian versonnen. Er hatte seine Mutter seit Jahren nicht gesehen, und ein schmerzhafter Stich fuhr in sein Herz. Noch immer war Alexandra eine attraktive Frau. Älter zwar, mit Falten um Augen und Mund, die von ihrem anstrengenden Leben zeugten. Aber das konnte ihrer natürlichen Schönheit nichts anhaben. »Bekommt sie etwas mit?«, fragte er heiser.

      Schwester Elena trat an die andere Seite des Bettes.

      »In der Komaforschung ist man sich bis heute nicht im Klaren darüber, was ins Bewusstsein dringt. Was das überhaupt ist. Wo das, was wir Bewusstsein nennen, anfängt und aufhört. Einig sind sich die Forscher darin, dass die Patienten die Nähe anderer spüren. Deshalb soll man mit ihnen sprechen, auch wenn sie nicht reagieren. Man soll ihnen vorsingen, vorlesen, sie berühren. Denn niemand weiß mit Sicherheit zu sagen, was wirklich zu ihnen vordringt.« Elena legte die Hand auf Fabians Schulter. »Ich lasse Sie jetzt allein. Wenn Sie mich brauchen, finden Sie mich nebenan.« Sie nickte ihm zu und verließ lautlos das Zimmer.

      Den starren Blick auf seine Mutter gerichtet, blieb Fabian am Bett zurück. Mechanisch zog er sich einen Stuhl heran und setzte sich. Er hatte nicht länger die Kraft, sich gegen die Bilder aus der Vergangenheit zu wehren. Sie stürmten auf ihn ein, wie eine mächtige Welle einen Strand überspült. Der Tag, an dem er vom Tod seines Vaters erfahren hatte. Alexandras Verzweiflung. Ihr Kampf zurück ins Leben. Seine, Fabians, Einsamkeit, während sie sich um die Rettung der Brauerei kümmerte. Seine Weigerung, in die Fußstapfen des Vaters zu treten und das Geschäft zu übernehmen. Und schließlich der Bruch, als er verkündete, die Kunstakademie zu besuchen und Maler zu werden. Alexandras fassungslose Miene, als sie ihm nachsah, wie er sein Elternhaus ein für alle Mal verließ, würde er nie vergessen.

      »Mama!« Erst jetzt bemerkte Fabian, dass ihm Tränen über die Wangen liefen. »Ich bin es, dein Sohn. Ich bin wieder da!« Er hob die Hand, zögerte, ob er seinem Verlangen nachgeben sollte, und legte sie schließlich auf Alexandras Wange. Er beugte sich über sie und weinte, bis keine Träne mehr übrig war.

      *

      Lisa Haimerl hatte es nicht über sich gebracht, ganz allein im Aufenthaltsraum zu warten, bis die Operation vorbei war. Rastlos ging sie auf dem Flur auf und ab. Als Volker Lammers nach einer gefühlten Ewigkeit endlich durch die Türen trat, lief sie auf ihn