Blutgrätsche. Jürgen Neff

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Название Blutgrätsche
Автор произведения Jürgen Neff
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839267004



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mich los von dem Bild und schnüffle weiter herum. Finde nichts Spezielles. Da liegt noch ein Bild. Ein Foto. Auf dem Nachttisch. Ein junger Kerl, sehr attraktiv. Dunkler Teint, schwarze Locken. Irgendwoher kenne ich den.

      »Das war die Gerichtsmedizin«, holt mich Schröter zurück, der im Türrahmen steht. »Wie vermutet. Todesursache die drei Stiche direkt ins Herz.« Mir wird schlecht. Wut steigt in mir auf. Zu wem hast du hochgeblickt, Katrin? Welches Dreckschwein hast du als Letztes angesehen in deinem kurzen Leben?

      Schröter scheint zu ahnen, was ich denke. Er sieht mich wieder mit seinem Religionslehrerblick an, und ich werde noch wütender. »Was?!«

      Er schüttelt den Kopf. »Nichts.« Es brodelt.

      »Wurde sie vergewaltigt?«, fahre ich ihn an.

      »Wissen sie noch nicht genau. Erster schneller Befund: vermutlich nicht.« Schröter zieht Augenbrauen und Schultern nach oben.

      Irgendwann halte ich seinen Blick nicht mehr aus. Ich betrachte erneut das Foto von Cat und mir und bin froh, dass er nicht näherkommt. Ich will nicht, dass er mich so sieht. Dann nehme ich den Rahmen von der Wand. Scheiße. Fröhlicher. Viel, viel fröhlicher. Die Nina Schätzle von damals. Was ist passiert? Wo habe ich das gelassen, verdammter Mist?

      Im Moment bin ich froh über den kleinen Dachschaden, den ich habe. Der macht, glaube ich, vieles leichter.

      »Ruf Berti an. Er soll hier alles auseinandernehmen. Alles!«

      »Ich dachte …«

      »Ist mir egal, was du dachtest!«

      Wann bin ich eigentlich in diese beschissene Abseitsfalle geraten? Wenn ich dieses Schwein erwische.

      Tinder oder die Götterkomödie

      Tinder-Date am vorigen Sonntag.

      Ich denke mir, was soll’s, muss auch mal abschalten, und sage zu.

      Und da sitze ich nun. 09:30 Uhr. Eigentlich eine unmögliche Zeit für so ein Treffen. War sein Vorschlag. Aber ich wollte eh mittags noch einmal die aktuellen Fälle durchgehen und dann einen kleinen Spaziergang über den Hochberg machen. Das hilft mir, mich zu ordnen.

      09:40 Uhr kommt er endlich. Ich musste schon zweimal den Kellner vertrösten und bin bereits genervt. In der Realität sieht er weniger gut aus als auf den Fotos. So ist es ja immer.

      Jetzt kommt der Kellner natürlich nicht mehr. Klar. Ich würde es genauso machen. Der Typ grinst über beide Ohren, und ich weiß nicht, was ich sagen soll. Zunächst bin ich froh, dass er mich nicht erkennt. Ich war die letzten Jahre häufig in der Presse, das macht das Privatleben nicht leichter. Und haben die Jungs erst einmal mitgekriegt, dass ich ein Bulle bin, dann klemmt ihr Schwanz in der Regel schon so eng zwischen den Schenkeln, dass man nicht weiß, ob man sich noch mit einem Kerl unterhält oder mit einer Pussy.

      Wir bestellen. »Einen großen Kaffee, bitte, schwarz.«

      »Eine Halbe Bier.«

      Wie bitte? Sein breites Grinsen verrät nicht: War das ein Scherz, oder meint er es so? Die lange Pause dagegen offenbart die Gedanken des Kellners, der darauf wartet, dass die Aussage revidiert wird. Wird sie aber nicht.

      Der Kellner mustert den Typ, dann blickt er mitleidig zu mir, notiert die zwei Dinge, als ob er sich die nicht merken könnte, vor allem das zweite, blickt erneut zu mir auf und ich sehe genau, dass er sich hinter seinem professionellen Gesichtsausdruck totlacht. Der kriegt sich nicht mehr ein. Dreht sich um und geht. Schnell. Wahrscheinlich kämpft er darum, nicht lauthals loszulachen.

      Ich blicke zu meinem Date und frage mich, warum ich meinen Kaffee nicht gleich storniert habe. Aber irgendwie kriegte ich es in diesem Moment nicht hin. Und jetzt? Jetzt sehe ich meinen ersten freien Sonntagvormittag seit sechs Wochen durch die Bierlatrine rinnen, schaffe es aber nicht, einfach aufzustehen und zu gehen.

      Erneutes Aufblitzen seiner Zähne. Na gut. Dann nehme ich es als Übung für Sozialkompetenz. Vielleicht stellt sich im Gespräch heraus, er hat im Lotto gewonnen und möchte feiern oder ihm wurden gestern die Scheidungspapiere zugestellt, er hat seinen Führerschein zurückerhalten oder ist Vater geworden.

      Nein. Nichts dergleichen. Er findet es schlicht normal. Und hat definitiv nur wenig Kerzen im Kronleuchter. »Du weißt, dass zu viel Kaffee ungesund ist.«, »Alter. Das Gequatsche über Emanzipation macht mich fertig. Haben echt andere Probleme.«, »Was ist mit deinem kleinen Finger passiert?« Und so fort.

      Der Typ hatte im Chat in geraden Sätzen geschrieben. Jetzt aber redet er nur gequirlte Kacke. Und: Er verbessert mich ständig. Schüttelt bei jedem zweiten Satz von mir den Kopf, heftig, störrisch, wie meine Mutter als ich 15 war, mich für Umweltpolitik begeisterte und ihr so manchen jugendlich-verblendeten Vortrag gehalten habe.

      »Ne, das ist nicht richtig«, erwidert er ständig. »Das ist nicht richtig«, eigentlich bei jedem Thema. Er geht bei allem in Opposition. Lenke ich nicht ein, fabuliert er immer heftiger, seine flache Hand tätschelt dabei die Tischplatte. Eine ziemliche Herausforderung für meine eh viel zu kurze Zündschnur. Aber gutes Antiaggressionstraining für meinen Dachschaden.

      »Fußball? Fußball ist doch was für Deppen. Die haben nichts in der Birne. Nicht die Kicker und die Fans noch viel weniger. Das ist doch gar kein richtiger Sport.«

      »Und was ist ein richtiger Sport?« … »Kickboxen? Aha. Okay.« Ich sehe ihn an. Sage lieber nichts. Irgendwann dann doch.

      »Das ist nicht richtig. Mädel. Du hast doch keine Ahnung. Das hat etwas mit dem Chi zu tun. Mit geistiger Klarheit, innerer Reinheit in einer Kampfsituation. Sich in den andern hineinversetzen, weißte, was er als Nächstes vorhat und so. Verstehste? Und Umleitung von Energie, die auf mich zukommt.«

      Chi? Ne, verstehe ich nicht. Und innere Reinheit noch viel weniger. Die dreschen doch nur aufeinander ein.

      »Kampf- und Geisteskunst in einem ist das. Ich meditiere vor jedem Fight eine halbe Stunde.«

      Mein Blick scheint ihn ebenso zu nerven wie das, was ich sage oder eben nicht. Er redet sich immer mehr in Rage und wird dabei zunehmend lauter und bissiger im Ton. Was will der von mir, frag ich mich die ganze Zeit. Soll ich jetzt ernsthaft in den Staub fallen, weil er wochenends nach Stuttgart oder Ulm fährt, sich dort in einer kleinen, schweißmiefenden Turnhalle aufs Linoleum setzt, ein paar Chi spricht und dann auf irgendeinen Typen eindrischt?

      Ich zucke zusammen, als er wieder auf die Tischplatte schlägt. Die Leute sehen schon her, will ich sagen.

      Und so geht’s weiter.

      Sozialkompetenz, Nina. Gewaltfreie Kommunikation. »Ich nehme da eine gewisse Aggression wahr … Das macht mich irgendwie … Es wäre mir lieber, wenn wir das Thema …«

      Kommt nicht an bei ihm.

      Irgendwann nehme ich es als Menschenstudie, blicke von oben auf die skurrile Szene hinab, fasse nicht, was der armen Frau Oberkommissarin da gerade widerfährt. Das Leben ist ein einziger Witz; aus der Götterperspektive betrachtet. Warum gibt es eigentlich so wenige Abbildungen von schmutzig und schallend lachenden Göttern? Die machen sich doch einen Spaß daraus, ausgerechnet mich mit meiner speziellen Behinderung in eine solche Lage zu bringen.

      Währenddessen schütte ich den Kaffee in mich hinein. Warum habe ich nur einen großen bestellt?! Wahrscheinlich, weil mein Schmutzengel es mir im Auftrag der Götter ins Ohr gesäuselt hat. Damit sie noch länger was zu lachen haben.

      »Ein Kollege in der Nachtschicht«, brüllt er nun fast, »der ist bei den Ultras vom FCH. Uwe Boltz. Was für ein Typ. Selbst total unsportlich, aber jeden Sonntag aufm Platz. Und immer schlaue Sprüche, als sei er die rechte Hand des Trainers. Lässt sich aber von so Mädels im Block auf der Nase rumtanzen.«

      Der sitzt. Aber ich habe mich im Griff. Ommm.

      Wider alle Vernunft, auch trotz der Wut, die immer mehr in mir hochkocht, starte ich einen letzten Versuch, das Gespräch zu lenken. Führt nur dazu, die Aufmerksamkeit weiterer Leute zu erregen. Als die Tasse endlich leer