Heidejagd. Angela L. Forster

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Название Heidejagd
Автор произведения Angela L. Forster
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783827184016



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blonde Strähne aus dem Gesicht, die an ihrer nassen Wange klebte. Über ihrer rechten Augenbraue und der rechten Wange hatte sie eine blutende Schürfwunde, und ihre Hände waren von Büschen und Zweigen zerkratzt. Auf ihrem dunkelblauen Blouson und ihrer Bluejeans zeigten sich Blutspuren, die von ihrem Sturz über ihren Lehrer herrührten.

      „Er wollte es gleich mit allen dreien aufnehmen? Du hast einen tollen Freund, Lea“, sagte Inka, dann: „Aber wieder zurück. Hat Konstantin gesagt, warum er nicht zu eurem verabredeten Treffpunkt gekommen ist?“

      „Ich hab gar nicht gefragt. Ich war nur froh, dass er bei mir war.“

      „Natürlich. Ihr standet inzwischen alle auf der Brücke. Was geschah weiter?“

      „Klara sagte, wir müssen sofort die Polizei rufen. Peer riss ihr aber das Handy aus der Hand. Er meinte, niemals würde er einen toten Biolehrer melden und schon gar keinen Werwolf. Wenn rauskäme, dass sie ein Paintballspiel veranstaltet hätten, er die Sachen aus der Halle des Kumpels seines Vaters heimlich ausgeliehen hätte, könne er sich für die nächsten Monate im Keller einquartieren. Sein Alter würde garantiert vor Wut kochen und ihm alle Vorzüge einschließlich der Kreditkarte streichen. Mir war das egal, ich hab mein Handy aus der Hosentasche gezogen und die Hundertzehn gerufen. Auch Jannik hat geflucht und mich wieder als Bitch beschimpft. War logisch, dass Ärger mit der Polizei auch Ärger mit den Eltern bedeutete, so angetrunken, wie er war. Peer sagte, er würde abhauen, auf den Zoff hätte er keinen Bock. Konstantin hielt ihn am Arm fest. Er müsse dableiben, wie wir anderen. Wenn nicht, hielte er garantiert nicht den Mund, sondern würde rausposaunen, wer am Spiel teilgenommen hat. Peer ist trotzdem abgehauen. Jannik auch, er meinte, seine Alten würden das schon klären.“

      „Wie hat er das gemeint? Klären?“

      „Seine Eltern sind Rechtsanwälte. Macht Jannik Unsinn … na ja, er ist von den Herzog-Brüdern das schwarze Schaf in der Familie, aber seine Eltern pauken ihn immer wieder aus der Scheiße.“

      Inka nickte. „Das soll es geben.“

      „Max und Jannik sind Peer über die Laufstrecke der Seepromenade hinterher, die wir einmal die Woche mit unserem Sportlehrer laufen. Doch weit sind sie nicht gekommen, weil ein Streifenwagen die Auffahrt zum See hochkam und sie einfangen hat. Diese Idioten.“

      „Habt ihr den Fußabdruck über dem Kopf eures Lehrers gesehen?“

      „Ja klar, aber dass mich ein stinkendes Ungeheuer, dieser Werwolf, verfolgt hat, hat trotzdem niemand geglaubt. Selbst Konstantin hat mich skeptisch angesehen. Ich kann es ja selber nicht glauben, aber es war so. Ich schwöre es. Einfach grauenhaft. Dieses Vieh wollte mich töten.“

      „Und das geschah, bevor du Hendrik gefunden hast. Ist das richtig?“, vergewisserte sich Inka erneut.

      „Ja, diese stinkende Bestie hat mich bis auf die Brücke gejagt, bis ich über Hendrik gestolpert bin. Als ich aufgestanden bin, war sie plötzlich verschwunden und Klara kam mir entgegen.“

      „Und das Zeichen der …“

      „Sie meinen die Wolfsangel“, nahm Lea Inka das Wort aus dem Mund. „Sicher haben wir das gesehen. Taucht ja geschichtlich im Unterricht immer wieder auf. Hermann Löns, Hitler, Himmler und so. Bei uns an der Hofeinfahrt liegt auch ein Grenzstein mit dem Zeichen.“

      „Ja, der ist vielerorts zu finden“, bestätigte Inka. Sie erinnerte sich an ihren Vater, als der vor dem großen grauen Grenzstein an ihrer Hofeinfahrt stand. Mutter wollte den Stein entfernen, aber Vater war dagegen, weil es ein Stück Geschichte sei. Irgendwann pflanzte Mutter Bodendeckerpflanzen um den Stein, die im Laufe der Jahre mit immergrünen Blättern den Stein und seine Geschichte fest umschlossen. „Wie spät war es, als du Hendrik gefunden hast?“

      „Es muss halb zwei gewesen sein. Es war so … so schrecklich“, flüsterte Lea. Tränen rannen über das Gesicht der Schülerin. „Hendrik war ein wirklich netter Lehrer“, schniefte sie. „Ich hör noch immer die schweren dumpfen Schritte, das Keuchen und Schnaufen, die brennenden Augen, die mich verfolgten. Ich hatte eine Höllenangst. Das Tier war so gewaltig groß. Und dann Hendriks blutiges Gesicht und sein zerfetzter Oberkörper. Ich glaub … ich glaub, mir wird schlecht.“ Lea eilte hinter die Schranke und erbrach sich neben einem Wacholder.

      „Es tut mir sehr leid. Eine Leiche zu finden, ist schwer zu verkraften“, sagte Inka, während sie sich neben Lea stellte, ihr den Rücken streichelte und ihr ein Paket Papiertaschentücher reichte. Im Hintergrund waren die Stimmen der Eltern und Schüler zu hören, die von ihren Kollegen befragt wurden. Im Licht der Scheinwerfer sah Inka, wie die letzten Fahrräder in Kofferräumen verstaut wurden. „Ich könnte dir einen Psychologen …“

      „Nein“, wehrte Lea ab und wischte sich mit einem Taschentuch über den Mund. „Ich schaff das schon. Außerdem sind meine Eltern Psychologen. Ich will nur nach Hause, die Klamotten ausziehen und unter die Dusche.“ Sie sah an ihrer blutverschmierten Jacke und der Jeans herunter.

      „Das kannst du auch“, sagte Inka.

      Sie sah Lea nach, wie sie in die Arme ihrer Eltern flüchtete, als wäre wieder eine Bestie hinter ihr her. Ein Werwolf. Wie sollte sie das nur glauben? Doch was hatte das Mädchen dann im Wald gesehen? Konnte es ein verkleideter Mitschüler gewesen sein, der Lea erschrecken wollte? Aber warum? Und wer hatte Stunden zuvor den Lehrer getötet? Oder spielten dem Mädchen in der Dunkelheit ihre Wahrnehmung und der Alkohol, den sie getrunken hatte, einen Streich? Womöglich war nicht nur die Flasche Gin, sondern auch ein Joint herumgereicht worden. Unmerklich schüttelte Inka den Kopf.

      Jannik Herzog debattierte mit seinen Eltern, wobei er heftig schwankte und sich immer wieder an den Kotflügel des SUV seiner Eltern lehnen musste, um nicht umzufallen. Inka sah, wie sein Vater ihn an den Oberarmen packte und aufrichtete. Beim Vorbeigehen schnappte sie Wortfetzen auf. „Verdammt! Reiß dich zusammen! Wieder mal du! Beispiel an deinem Bruder! Angestellt! Ehrenrunde! Nachspiel!“

      Kapitel 2

      Wolfgang Kohlhase, der Reporter des Hanstedter Heideblattes, traf am Tatort ein.

      „Du meine Güte, der hat mir noch gefehlt. Hat er am See geschlafen oder warum taucht er jetzt schon auf, es ist gerade kurz vor drei am Morgen?“, fragte Inka ihre Kollegen Mark und Amselfeld, als sie den Reporter in seinem weißen Transporter über die schmale asphaltierte Auffahrt bis vor die Absperrung fahren sah. Sie konnte den Kerl einfach nicht ausstehen. Mit seinem Transporter, in dem es aussah wie in einer Raumstation, war er zu jeder Tageszeit an jedem Heideort präsent. Und ob Diebstahl, Wohnungsbrand oder Mord, seine Mediengeilheit fand keine Grenzen. Grenzen, die er gerne in seinen Artikeln mit eigener Meinung überschritt und ausufernd ausschmückte.

      Wolfgang Kohlhase wuchtete seine massigen Kilos aus dem Wagen und winkte Inka mit seinem Basketballcape zu. Knapp eins sechzig groß, untersetzt und kaum Haare auf dem Kopf, sah der Reporter in seiner Jogginghose aus, als käme er gerade aus dem Bett. Inka konnte sich dem Gedanken nicht verwehren, dass er tatsächlich in seinem Transporter nächtigte, um so schneller am nächsten Geschehen zu sein.

      „Kohlhase, was treiben Sie hier?“, fragte Inka. Mit schnellen Schritten eilte sie auf den Reporter zu, der sich unter dem Absperrband hindurchzudrücken versuchte.

      „Was ist los, Frau Brandt? Schlecht geschlafen? Ich mach nur meine Arbeit.“ Er richtete sich vor Inka auf.

      „Es gibt keine Auskunft.“ Sie verwies den Reporter zurück hinter die Absperrung.

      „Aber ein Mädchen …“, er nickte in die Gruppe der Eltern und Schüler, „… ist über eine Leiche gestolpert. Wie ich hörte, war der Täter ein Werwolf. Das ist eine Sensation, die die Heidebevölkerung erfahren muss.“

      „Wir haben einen Toten, ja, aber mehr gibt es für Sie nicht zu schreiben. Es gibt keinen Namen oder weitere Ermittlungen, die ich Ihnen preisgeben werde, und es gibt keinen Werwolf. Also verschwinden Sie.“

      „Haben die Schüler etwas mit dem Mord zu tun? Den Wolf mit Silberkugeln erlegt? Wurde jemand gebissen? Wird es eine Gestaltwandlung geben?“ Kohlhase