Alpendöner. Willibald Spatz

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Название Alpendöner
Автор произведения Willibald Spatz
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839268261



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hätte nun 15 Minuten warten können. Frühstücken traute er sich nicht wegen der Gegenstände, wollte er auch nicht, es war ihm schlecht.

      Einen Kater hatte er nicht, dazu war er noch zu voll. Er nahm ein Glas aus dem Kasten, das nicht fiel und deswegen Birne gefiel. Am Schrank schlug er sich nicht an. Am Wasserhahn stellte er nicht aus Versehen das heiße Wasser an. Er riss eine Packung Aspirin auf, was nicht einwandfrei klappte, er fluchte aber nur wenig und leise, weil der Rest des Morgens relativ gut zu ihm war, den Umständen entsprechend.

      Die Tablette löste sich auf, er schaute zu. Dabei fiel ihm ein, dass er jetzt mal schauen könne, ob die Zeitung da war.

      Er zog sich nur ein paar Sandalen an und ging runter, fand, dass er auf den alten Stufen des Treppenhauses relativ viel Krach machte. Er bemühte sich, leiser zu sein. Er blieb kurz stehen, um zu hören, ob es ein Hintergrundrauschen gab, in dem er mit seinen eigenen Geräuschen hätte aufgehen können. Nichts. Dunkle Nacht. Weit weg ein Auto auf einer Straße. Der Bahnhof, ein dünnes Rauschen von Blättern im Wind. Eine schöne Stille.

      Die Zeitung war noch nicht da, um die Zeit musste sie das auch noch nicht, das war in Ordnung. Er ging wieder hoch, dabei ging das Licht im Treppenhaus aus. In seiner Wohnung hatte er vergessen das Licht im Gang anzumachen. Er stolperte so saublöd über seinen Telefontisch, dass es ihn hinhaute, der Länge nach. Das tat weh, der Kopf jetzt auch, er fluchte, sehr laut, sonst war es still, bis auf das Brausen der Aspirintablette, die sich endgültig in ihrem Glas Wasser in der Küche auflöste, wo das Licht an war. Birne hätte geweint als Kind.

      Werner war pünktlich.

      »Alles klar, Junger?«, wollte er wissen, als Birne in seinen roten, alten 3er BMW stieg. »Hast du dich warm eingepackt?«

      »Alles klar.«

      »Gefrühstückt wirst du schon haben.«

      »Ja, ja.« Aspirin halt.

      »Und wie war deine erste Nacht in Kempten? Du weißt, dass man sagt: ›Was man in der ersten Nacht in seiner neuen Wohnung träumt, das geht in Erfüllung.‹«

      Woher hatte der Mann in dieser Früh seine Redefreude her? »Das war nicht meine erste Nacht.«

      »Man sagt’s ja auch bloß.«

      Danach war Stille. Werner hatte gespürt, dass Birne nichts sagen wollte. Oder auch er stimmte sich schweigend auf die Jagd und die Natur da draußen ein.

      Sie fuhren ein Stück auf der Autobahn, bogen dann ab, kamen durch einen schlafenden Ort, fuhren von dort auf einen Feldweg und waren bald da.

      Birne braucht eine Weile, bis er wieder zur Ruhe fand, und nickte dann auf den letzten Kilometern ihrer Fahrt noch mal ein. Sein Arbeits- und Jagdkollege schaute grinsend zu ihm hinüber, freute sich, dass der andere nichts gewohnt war als Großstadtmensch.

      »Da sind wir.«

      Birne schlug die Augen auf und sah, dass sie neben einem Bauernhof geparkt hatten. Neben dem Silo führte ein wenig benutzter Feldweg einen Hang hinauf. Weiter konnte er nicht schauen, denn Werner stellte den Motor ab und mit ihm gingen auch die Scheinwerfer aus.

      »Wir müssen zu Fuß ein Stück, aber keine Panik, es ist nicht viel.«

      Birne war zu müde für Panik, er ließ sich von Werner behängen mit einem Fernglas und dem Gewehr, vor dem er zunächst schon Respekt hatte.

      »Da musst du keine Angst haben, es ist gesichert.«

      Gesichert? Werner konnte keine Ahnung davon haben, wie sehr die Dinge gegen ihn arbeiteten.

      Sie gingen den Hang hinauf, kamen auf eine Wiese, die sie überquerten. Im Hintergrund hob sich dunkel ein Berg ab. Sie stiegen über einen Elektrozaun, der nicht geladen war. Dazu durfte er Werner sein Gewehr zurückgeben und unbewaffnet drüber. Nun führte der Weg bergab über einen steileren Hang als den, den sie heraufgekommen waren. Vereinzelt standen hier Fichten. Etwa auf halber Höhe ließ Werner Birne anhalten. Der hatte, um nicht zu fallen, nur noch auf den Boden vor ihm geschaut.

      Sie waren an einem kleinen Jägerstand angekommen, der kaum Platz für sie beide bot. Das war ihnen egal, sie stiegen beide ein und waren leise.

      »Ihr Deutschen, leck mich.« Werners Atem dampfte.

      »Sag mal, ist das jetzt geladen?«, wollte Birne sicher sein.

      »Was denkst denn du?«, war die Antwort Werners. »Wir warten jetzt zehn Minuten, knallen den Fuchs und sind schon auf dem Weg zurück. Alles ganz schnell.«

      Birne bekam zurzeit selten die Gelegenheit, den Sonnenaufgang zu sehen. Die Sonne kam nun immer schon, bevor er die Zeitung holen ging. Bis vor ein paar Wochen hatte er beim Zeitungsholen das Gefühl, früh aus dem Haus zu sein, sich seine Zeitung als Belohnung zu holen.

      Birne dachte sich, dass er momentan mehr über seine Zeitung nachdachte als über Frauen und überlegte, ob das in Ordnung sei.

      Zehn Minuten schauten sie nun auf die Fichten eines Waldrands. Birne traute sich nicht, etwas zu sagen, meinte, still sein zu müssen, um die Tiere nicht zu warnen. Eigentlich hätten sie schon knallen müssen.

      »Gefällt es dir bei uns?« Birne erschrak, als Werner ihn fragte.

      »Müssen wir nicht leise sein wegen der Füchse?«

      »Wenn wir leise flüstern, reden wir in einer Frequenz, die sie nicht wahrnehmen.«

      »Ach so.«

      »Hast du das nicht gewusst?«

      »Nein. Ist das einer?«

      »Was?«

      »Da drüben.«

      »Richtig.«

      Werner hatte den Lauf gerade zur anderen Öffnung rausstehen, musste ihn reinholen, dabei Birne ins enge Eck drücken und dann mit Mühe das Gewehr durch den anderen Schlitz rauszwängen. Birne hatte Angst, das Teil könne losgehen und, wenn es schon keinen von beiden blind träfe, ihre Trommelfelle zerfetzen. Irgendetwas – das Rascheln ihrer Jagdjacken, Werners Fluchen, das Schlagen des Metalls an das Holz des Jägerstands – musste in einer Frequenz gewesen sein, die der Fuchs hörte, oder er hatte die Schnauze voll gehabt von dem Platz neben den Bäumen – er war weg, und Werner fluchte: »Scheiße!« Laut. »Den hätten wir haben müssen. Scheiße.«

      »Tut mir leid.«

      »Du bist nicht schuld.«

      Sie warteten, und Birne wusste jetzt nicht mehr, wie lange. Er sagte nichts.

      »Bist du verheiratet?«

      »Nein.«

      »Aber eine Frau hast du.«

      »Nein, nicht direkt.«

      »Versteh schon, schlechtes Thema.«

      »Nein, nein, wir können schon darüber reden. – Sie ist mir weg. Ein anderer. Aber scheißegal, das kommt wieder.«

      »Was? Sie?«

      »Die Liebe.«

      »Pst.«

      Sie hatten wieder einen, es könnte auch der gleiche gewesen sein. Werner war wieder 90 Grad verkehrt. Er fluchte und legte an, diesmal war es knapper, aber es fiel kein Schuss, dazu war das Tier schon zu sehr auf der Flucht, als dass es noch wert gewesen war, es auf einen Schuss ankommen zu lassen. »Scheiße.«

      »Tut mir leid.«

      »Du bist nicht schuld. – Ich bin manchmal ganz froh, wenn ich zu Hause mal rauskomme. – Wohnen da, wo du wohnst, viele Ausländer?«

      »Es geht. Wieso?«

      »Nichts. Es gibt gerade viele Ausländer. Ich bin nicht feindlich, ich stelle es nur fest.«

      »Aber einen Kebab isst du, damit hast du keine Pro­bleme.«

      »Ich bin nicht feindlich, das habe ich nicht gesagt. Ich stelle nur fest. Ich habe einen Bekannten