Spreewaldkohle. Franziska Steinhauer

Читать онлайн.
Название Spreewaldkohle
Автор произведения Franziska Steinhauer
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839268001



Скачать книгу

zuckte bei diesem Kommentar merklich zusammen, was die Witwe offensichtlich nicht bemerkte.

      »Gibt es Freunde, die etwas wissen könnten?« Klapproth übernahm wieder.

      »Vielleicht bei der Partei.«

      »Der Staatsschutz ist an den Ermittlungen beteiligt. Bei den Kollegen, die in dem Fall nachforschen, fragen wir nach.«

      »Die Leute sind nervös. Gereizt. Das Thema Kohleausstieg treibt ganze Familien um. Manche glauben, diese Entscheidung treibe sie in den persönlichen Ruin, und die Grünen mit ihren Forderungen nach immer schnellerem und früherem Ausstieg trügen die Schuld daran. Patrick hat versucht, den Menschen zu erklären, dass es eine Umkehr im Denken und Handeln eines Jeden geben muss, damit der Klimawandel aufgehalten werden kann. Aber es ist schwierig. Es gibt ja auch eine Partei, die vehement leugnet, dass der Mensch mit den Veränderungen etwas zu tun hat. Wenn sich nicht einmal die Politiker einig sind, sehen die Menschen nicht ein, dass sie eine Neuorientierung privat und beruflich hinnehmen sollen. Seit dem Mord an Dr. Lübke sind alle besorgt. Es spricht nur keiner gern darüber.«

      »Aber hier in der Region wurde Ihr Mann für den Kohleausstieg persönlich verantwortlich gemacht?«

      »Nun ja … Wenn man so will, war er wohl das Gesicht der Energiewende in der Region.« Sie schwieg abrupt. Ihre bebenden Finger strichen über die Haare, flatterten um die Lippen, fuhren durchs Gesicht. »Wie soll ich das bloß den Mädchen erklären?«

      »Können wir jemanden anrufen, der zu Ihnen kommt? Sie sollten jetzt besser nicht allein sein.« Nachtigall warf Frau Stein einen besorgten Blick zu. »Wir haben ein sehr kompetentes Kriseninterventions-Team.«

      Klapproth machte dem Kollegen ein Zeichen und verließ das Haus, um zu telefonieren.

      Frau Stein fixierte die Augen des Cottbuser Hauptkommissars kalt. »Wir brauchen niemanden. Wir kommen klar«, behauptete sie mit wankender Stimme trotzig und warf den Kopf zurück.

      »Möglicherweise wäre es eine gute Idee, die Mädchen zu Bekannten oder Freunden zu bringen, bevor das Team des Erkennungsdienstes hier herumstöbert. Für Kinder kann so etwas sehr verstörend sein.«

      »Was will denn der Erkennungsdienst … ach so, Laptop, Kalender, Notizen. Das Handy haben Ihre Kollegen ja schon, alles andere finden Ihre Leute in seinem Arbeitszimmer.«

      »Sein Adressbuch würde ich gern sofort mitnehmen, ebenso den Kalender.«

      Doreen deutete auf eine Kommode. »Dort drinnen, oberste Schublade, linke Ecke. Alles andere ist in seinem Arbeitszimmer. Patrick war sehr ordentlich, fast schon zwanghaft. Es wird alles dort liegen, wo Ihr Team es vermutet.«

      Nachtigall hielt einen lang gestreckten Wochenkalender und ein schmales schwarzes Büchlein hoch.

      Die Witwe nickte.

      Klapproth kehrte zu Nachtigall zurück.

      »Sein Bruder Eric van Worten wohnt nur zwei Häuser weiter! Warum haben Sie das weder gestern Abend noch heute auch nur einmal erwähnt?«, fragte sie in aggressivem Ton, der ihr einen mahnenden Blick des Kollegen eintrug.

      Doreen schüttelte stumm den Kopf. Abwehrend.

      »Vielleicht hat er etwas bemerkt. Einen Verfolger zum Beispiel«, schob Nachtigall sanfter nach.

      »Und warum Eric van Worten und nicht Eric Stein?«, wollte Klapproth wissen.

      »Eric! Van Worten ist sein Pseudonym. Er ist Lyriker. Und bemerkt hat er sicher nichts. Eric hat einen Vogel und gut! Mehr muss man dazu nicht sagen.«

      Die Ermittler warfen sich in stillem Einverständnis einen kurzen Blick zu.

      Es wäre wohl besser, die Witwe nicht weiter zu behelligen.

      »Unsere Nummern haben Sie. Sollten Sie Hilfe benötigen oder Ihnen etwas Wichtiges einfallen, melden Sie sich bitte sofort bei uns. Wir brechen jetzt auf.«

      »Können Sie mir bitte die Mädchen schicken? Besser, sie erfahren gleich von mir, was passiert ist, als später von irgendwelchen mitfühlenden Nachbarn, die die Fakten nur aus den Nachrichten kennen.«

      »Ich warte im Auto«, erklärte Maja entschieden und nahm dem Kollegen Kalender und Adressbuch ab. »Kinder sind nicht mein Ding!«

      Nachtigall ging über die Treppe ins Obergeschoss.

      Hinter einer der Türen hörte er laute Stimmen. Ah, das Video!, fiel ihm wieder ein. Er klopfte sanft an, öffnete die Tür einen Spaltbreit.

      Vier fragende Augen tobten über sein Gesicht.

      »Wir dürfen das ansehen! Mama hat es erlaubt!«

      »Ja. Ich habe das gehört. Aber nun möchte eure Mutter, dass ich euch zu ihr hinunterschicke. Sie möchte etwas Wichtiges mit euch besprechen. Man kann doch sicher irgendwo auf Pause schalten?«

      Als er leise das Haus verließ, hörte er Frau Stein sagen: »So, meine beiden, wir haben etwas zu besprechen. Ihr müsst mir gut zuhören …«

      Er beneidete die Mutter nicht um diese Aufgabe, huschte nach draußen, zog die Tür geräuschlos hinter sich zu.

      7

      Eric trällerte fröhlich.

      Er war schon immer ein großer Fan von Queen.

      Eigentlich seit dem Moment, in dem er zum ersten Mal Musik bewusst gehört hatte.

      Deshalb lief bei ihm grundsätzlich den ganzen Tag über gute Musik seiner Lieblingsband – nicht dieses seichte Gedudel, auf das seine Schwägerin so stand. Klar, sphärisch war seltsam entspannend. Aber die Musik von Queen war eine mit Anspruch! Einem echten Anliegen! Musik ohne Text war seiner Meinung nach eben nur Musik. Die Aussage Interpretationssache. Wie schon bei den klassischen Stücken, Sinfonien, Fugen, Tänzen. Der Hörer brauchte eine schriftliche Begleitanalyse, um sie herauszufiltern.

      Queen dagegen: deutlich, kraftvoll, unmissverständlich.

      So wie Erics eigene Texte.

      Freddy sah das genauso.

      Er wippte im Rhythmus mit, machte einen sehr zufriedenen Eindruck.

      Eric schnippelte Gemüse und Obst fürs zweite Frühstück.

      Eine Tradition, die ihnen beiden gefiel. Und gesund war das Ganze auch.

      Als er am Fenster vorbeikam, spiegelte sich sein Gesicht in der Scheibe, und er zuckte unwillkürlich zurück.

      Ja, dieses Gesicht war gewöhnungsbedürftig.

      Schon in der Schule hatte es ihm nur Probleme und Hänseleien eingebracht. Prügel auf dem Heimweg waren normal.

      Heute würde man sagen er sei gemobbt worden.

      Die eine Hälfte des Gesichts hatte nichts mit der anderen gemein. Während die rechte ganz passabel aussah, war die linke gröber, sprang hervor. Das Auge auf dieser Seite war glubschig, quoll dem Betrachter entgegen, weit aufgerissen, als sei das Oberlid zu kurz, um es zu bedecken. Und die Pupille war fehlfarben. Also zumindest dann, wenn man davon ausging, dass zwei Augen in einem Gesicht dieselbe Farbe haben sollten. Das normale Auge war blau, das glubschige fast orange und es starrte selbst Eric aus spiegelnden Flächen an wie das Auge eines Fremden, das sich in sein Leben biss und darin herumspionierte, sich an seinen Fehlern ergötzte und triumphierte, wenn etwas gründlich misslang. Früher hatte er versucht, es mit einer Tolle zu verdecken. Doch das war sinnlos. Er spürte sein Starren zu jeder Zeit, durch die Locken, durch eine tiefgezogene Mütze, durch eine Augenklappe. Es war ein Alien in seinem Körper.

      Schnell sah er zur Seite.

      Diesem Blick konnte niemand lange standhalten.

      Nur Freddy hatte kein Problem damit.

      Als es klingelte, warfen sie sich einen schnellen Blick zu, Eric legte seinen Zeigefinger über die Lippen, Freddy nickte verstehend, und so beschlossen die beiden, dass sie nicht zu Hause waren. Störungen um