Название | Guy de Maupassant – Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Guy de Maupassant |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962817695 |
*
II.
Madame hatte einen Bruder, der in ihrer Heimat, Virville im Eure-Departement, als Tischler etabliert war, und dessen Tochter sie, als ihr noch das Gasthaus zu Yvetot gehörte, über die Taufe gehalten hatte. Das Kind hiess Constanze, Constanze Rivet; sie selbst war väterlicherseits eine Rivet. Der Tischler, der die guten Verhältnisse seiner Schwester kannte, hatte sie nicht aus den Augen verloren, obgleich sie sich nicht oft sahen, da jedes durch sein Geschäft gebunden war und sie ausserdem ziemlich weit voneinander wohnten. Als aber seine Tochter das zwölfte Jahr erreichte und zum ersten Male zur Kommunion gehen sollte, benutzte der Tischler diese Gelegenheit der Wiederannäherung und schrieb seiner Schwester, er zähle bei der Feierlichkeit auf ihre Gegenwart. Die Großeltern waren tot, sie konnte es ihrer Nichte nicht abschlagen und nahm also an. Ihr Bruder Joseph hoffte, mit allerlei Liebenswürdigkeit bei dieser Gelegenheit die Errichtung eines Testaments zu Gunsten seiner Tochter zu erzielen, da Madame keine Kinder hatte.
Das Gewerbe seiner Schwester machte ihm keinerlei Bedenken und im Übrigen wusste auf dem Lande niemand etwas davon; »Madame Tellier ist Bürgerin von Fecamp,« hiess es einfach mit einem gewissen Beigeschmack, als lebe sie von ihren Renten. Von Fecamp bis Virville waren mindestens zwanzig Meilen Weges, und zwanzig Meilen über Land dünkt dem Bauer mindestens ebenso weit, wie dem Städter eine Fahrt über den Ozean. Die Bewohner waren niemals über Rouen herausgekommen, und umgekehrt gab es nichts, was die Bewohner Fecamps nach einem kleinen Dörfchen von fünfhundert Seelen herausgelockt hätte, dessen Lage mitten im flachen Lande durchaus nichts Anziehendes bot, ganz abgesehen davon, dass es zu einem anderen Departement gehörte. Mit einem Wort: Man wusste Nichts.
Als aber die Zeit der Kommunion herannahte, befand sich Madame in großer Verlegenheit. Sie hatte keine Wirtschafterin und getraute sich nicht, ihr Haus auch nur einen Tag allein zu lassen. Alle alten Zänkereien zwischen den »Damen« von oben und denen von unten wären unfehlbar aufs Neue zum Ausbruch gekommen; sodann hätte sich Friedrich ohne Zweifel betrunken und wenn er betrunken war, schlug er um eines Augenzwinkerns halber die Leute nieder. So entschloss sie sich schliesslich, ihr gesamtes Personal mit heraus zu nehmen bis auf Friedrich, der bis zum übernächsten Tage Urlaub erhielt.
Der Bruder hatte nichts einzuwenden als sie ihm deshalb schrieb und nahm es auf sich, die ganze Gesellschaft für eine Nacht unterzubringen. So führte denn der Eilzug am Samstag Morgen um acht Uhr Madame und die Ihrigen in einem Wagenabteil zweiter Klasse von dannen.
Bis Beuzeville fuhren sie allein und schackerten zusammen wie die Elstern; hier aber stieg ein Paar ein. Der Mann, ein alter Landmann in blauer Blouse mit Umschlagkragen, breiten an den Faustgelenken zusammengeschnürten und mit kleiner weißer Stickerei verzierten Ärmeln, auf dem Kopfe einen hohen altmodischen Hut, dessen fuchsiges Haar ganz borstig schien, trug in der einen Hand einen ungeheuren grünen Regenschirm und in der anderen einen mächtigen Korb, aus dem die bestürzten Köpfe dreier Enten herauslugten. Die Frau in ihrer steifen ländlichen Tracht hatte mit ihrer Nase wie ein Schnabel das Aussehen einer Henne. Sie setzte sich ihrem Manne gegenüber und rührte sich nicht; offenbar fühlte sie sich in so hübscher Gesellschaft ausserordentlich verlegen.
Und in der Tat wirkte die Farbenpracht, die sich in diesem Wagenabteil entwickelte, geradezu blendend. Madame trug sich blau, von oben bis unten in blauer Seide, und darüber einen grellroten blendenden Shawl aus falschem französischen Kaschmir. Fernande erstickte fast in einer schottischen Robe, deren Taille nur unter Aufbietung aller Kräfte von ihren Gefährtinnen zugeschnürt war und nun ihre straffen Körperformen in zweifacher Wölbung hervortreten ließ. Dieselben wogten unter der Kleidung hin und her, als beständen sie aus einer flüssigen Masse.
Raphaele trug zu ihrer federgeschmückten Frisur, die das Aussehen eines Vogelnestes hatte, ein goldgesticktes Lila-Kostüm und einigen orientalischen Schmuck, der sehr gut zu ihrer jüdischen Physiognomie passte.
Rosa la Rosse, hatte die Farbe ihres Namens für ihre, mit breiten Volants versehene Robe gewählt; sie sah aus wie ein zu starkes Kind, wie ein fettleibiger Zwerg ungefähr. Die beiden »Feuerspritzen« schienen ihren seltsamen Aufputz aus alten Fenstervorhängen ausgesucht zu haben, die mit ihrem Rankenwerk an das Restaurant erinnerten.
Sobald die Damen sich nicht mehr allein im Coupé befanden, nahmen sie eine sehr gemessene Miene an und sprachen nur noch von ernsten Dingen, um einen guten Eindruck zu machen. Aber in Bolbec erschien noch ein Herr mit blondem Kotelettenbart, Ringen an den Fingern und einer goldenen Kette auf der Weste, der verschiedene in Wachstuch gehüllte Packete auf das Netz über ihm legte. Sein Äusseres ließ auf einen witzigen und gutmütigen Menschen schliessen. Er grüsste beim Einsteigen und fragte mit leichten Lächeln: »Die Damen wechseln wohl die Garnison?« Diese Frage setzte die kleine Gesellschaft in eine peinliche Verlegenheit, nur Madame bewahrte ihre Fassung und entgegnete spitzig, um die Ehre ihres Korps zu retten: »Sie könnten wohl höflicher sein.« Er entschuldigte sich: »Bitte sehr um Verzeihung, ich wollte sagen: das Kloster.« Madame fand entweder sogleich keine Antwort, oder sie mochte auch seine Rechtfertigung für hinreichend halten, denn sie neigte würdevoll das Haupt und schwieg. Hierauf begann der Herr, welcher zwischen Rosa und dem alten Landmann Platz genommen hatte, den drei Enten, deren Köpfe aus dem großen Korbe hervorschauten, mit den Augen zuzuzwinkern. Und als er merkte, dass er schon die Aufmerksamkeit der Reisegesellschaft auf sich zog, kitzelte er die armen Tiere unterm Schnabel und hielt ihnen dabei scherzhafte Anreden, um die Zuhörer zum Lachen zu bringen: »Wir haben unsere nette kleine Pfütze verlassen! Aan! Aan! Aan! -- um die kleine nette Bratpfanne kennen zu lernen! Aan! Aan! Aan!« Die unglücklichen Tiere verdrehten den Hals, um den unwillkommenen Liebkosungen zu entgehen und machten verzweifelte Anstrengungen, sich aus ihrem Gefängnis zu befreien. Dann stiessen endlich alle drei ein lautes Wehegeschrei aus: »Aan! Aan! Aan!« Die ganze Damengesellschaft brach in lautes Gelächter aus. Sie beugten sich vor und drängten sich um besser zu sehen; es war ja auch zu närrisch mit diesen Enten. Der Herr verdoppelte seine Liebenswürdigkeit, seinen Witz und seine Neckereien.
Rosa