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er jetzt Botschaftsrat in Buenos Aires ist. Das erfuhr ich zufällig von Bekannten, die sich an unsere Freundschaft erinnerten, aber die näheren Einzelheiten nicht kannten. Wahrscheinlich denkt er längst nicht mehr an mich. Das ist auch gut so. Ich möchte nicht, dass Kitty ihren Vater jemals kennenlernt oder auch nur seinen Namen erfährt.«

      »Wenn Sie damals seinen Namen bei der Geburt angegeben hätten, müsste er jetzt wenigstens zahlen. Er verdient doch sicherlich gut als höherer Beamter im Auswärtigen Dienst. Das wäre jetzt eine Hilfe für Sie.«

      »Auf diese Hilfe verzichte ich, und wenn ich betteln gehen müsste, Marianne. Das klingt albern und stolz, aber ich kann nicht anders, sogar dann nicht, wenn ich mir klarmache, dass ich damit auch dich belaste.«

      »Das verstehe ich«, räumte Marianne leise ein. »Er hat Sie zu sehr verletzt.«

      »Ein Mann wie Axel Fernau kann mich gar nicht verletzen«, behauptete Rosita Linden mit zitternden Lippen.

      Marianne nahm den Geigenkasten und trug ihn wieder fort. Es war besser, wenn Rosita nicht so bald an ihr Instrument erinnert wurde und einen neuen Versuch unternahm.

      Marianne war aufgeregt und bestürzt. Deshalb also, dachte sie, deshalb! Manches, was sie damals vor mehr als vier Jahren nicht verstanden hatte, gewann nun einen neuen Aspekt.

      Marianne verrichtete ihre Arbeit. Weil es billiger war, bereitete sie die Mahlzeiten für sich und Rosita selber in der Küche der Pension zu. Um Geld zu sparen, kochte sie für Rosita teure eiweißreiche Kost und begnügte sich selbst mit ein paar Resten oder einfachen Gerichten aus dem, was gerade besonders preiswert zu haben war. Sie wurde dabei viel zu dünn, doch sie verstand es, den forschenden Blicken ihrer Herrin auszuweichen, sodass diese – ohnehin sehr mit ihren eigenen Sorgen und Nöten beschäftigt – nichts bemerkte.

      Den ganzen Tag über beschäftigte sich Marianne bei ihrer Arbeit insgeheim mit dem traurigen Schicksal ihrer Herrin, dessen volle Tragweite sie erst an diesem Tag erfahren hatte. In der Nacht, als Rosita unter der Wirkung eines Medikaments fest schlief, setzte sie sich an den Tisch im Nebenzimmer und schrieb einen Brief an Axel Fernau.

      Es war ein schwieriges Werk. Marianne schrieb nicht oft Briefe. An einen Mann wie Axel Fernau hatte sie noch nie in ihrem Leben geschrieben. Doch da war eine Stimme in ihrer Brust, die ihr gebieterisch auferlegte, sie müsse schreiben.

      Damals, vor Jahren, war Marianne fest überzeugt gewesen, dass Axel Fernau ihre Herrin tief und aufrichtig liebte. Als sie dann hatte annehmen müssen, dass Rosita ihn nicht so sehr liebe, wie es den Anschein gehabt hatte, war sie bitter enttäuscht gewesen und hatte immer wieder auf Rosita eingeredet, es sich noch einmal zu überlegen. Aber Rosita hatte steif und fest behauptet, sie liebe diesen Mann nicht genügend, um sich ein Leben lang an ihn binden zu können. Außerdem wolle sie ihrer Kunst nicht abschwören. Er werde wegen seiner gesellschaftlichen Stellung fordern, dass sie nicht mehr öffentlich auftrete. Das aber sei ihr Lebenselixier. Sie brauche den Dank und Beifall ihres Publikums, um Kraft zu neuem Schaffen zu schöpfen.

      Marianne hatte damals nichts ausgerichtet. Doch nun sah alles ganz anders aus. Jetzt stand für sie fest, dass Axels ehrgeizige Mutter diese ganze Intrige ins Werk gesetzt hatte. Oder die junge Gräfin Lichtenfels selber, weil sie den Anspruch auf den Mann, dem eine große Karriere bevorstand, nicht hatte aufgeben wollen.

      Die Nachtstunden vergingen. Marianne verbrauchte einen halben Briefblock, ohne ein halbwegs vernünftiges Schreiben zustande zu bringen. Schließlich, nachdem sie den vierzehnten Bogen zerrissen und in den Papierkorb geworfen hatte, legte sie die Arme auf den Tisch, ließ den müden Kopf darauf fallen und weinte bitterlich. Nein, sie konnte nicht an Axel Fernau schreiben. Es hatte ja auch keinen Sinn, denn er war mit der anderen Frau seit Jahren verheiratet – wahrscheinlich sogar glücklich verheiratet. Ihr Brief, der die Vergangenheit wachgerüttelt hätte, würde nur Unheil stiften, ohne Rosita etwas zu nützen.

      Marianne war so erschöpft, dass sie nicht mehr die Kraft fand, sich hinzulegen. Den Kopf auf den Unterarmen, schlief sie ein und erwachte am Morgen mit steifen kalten Gliedern, mutlos, enttäuscht und sehr unglücklich.

      Wie soll es nun weitergehen, fragte sie sich bedrückt.

      *

      Rosita war nicht weniger mutlos. Der Professor kam und ordnete eine neue gründliche Untersuchung an. Ein Krankenwagen wurde bestellt und die Patientin in die Klinik gefahren, wo die Röntgenaufnahmen gemacht werden mussten. Hinzu kamen einige Spezial­aufgaben, die im Labor durchgeführt werden mussten.

      Marianne begleitete ihre Herrin. Sie saß neben dem Rollbett, auf das man Rosita gelegt hatte, und wartete mit ihr auf das Ergebnis der Untersuchungen.

      »Ich habe kein gutes Gefühl, Marianne«, flüsterte die Kranke mit nervöser Heiserkeit. »So etwas spürt man, auch wenn man nichts von der Sache versteht. Die Röntgenaufnahmen sind zweimal wiederholt worden. Zuletzt haben sie mir noch ein besonderes Kontrastmittel eingespritzt. Es tat ziemlich weh, aber das will ich gern auf mich nehmen, wenn ich endlich die Gewissheit erhalten sollte, dass ich wieder Geige spielen kann.«

      Es verging fast eine Stunde, ehe der Professor die Patientin nochmals in sein Ordinationszimmer fahren ließ.

      »Ich kann Ihnen eine erfreuliche Mitteilung machen, Frau Linden. Der komplizierte Beckenbruch ist geradezu mustergültig verheilt. Sie sollten jetzt Übungen machen und Ihre Beine täglich steigernd belasten. Ich gebe Ihnen die Adresse einer Krankengymnastin, die Sie regelmäßig behandeln wird. Bis zum Herbst können Sie wahrscheinlich schon ohne Stock fröhlich und leicht durchs Land marschieren. Was wünschen Sie sich mehr? Ich hatte wirklich ernstliche Bedenken, als wir Ihren Bruch seinerzeit einrichteten. Aber mit Hilfe Ihrer gesunden Natur ist uns ein Meisterwerk gelungen.«

      »Ja, ja«, sagte Rosita voller Unruhe. »Aber was ist mit meinem Arm und meiner Hand?«

      »Tja, mit dem Handgelenk werden Sie wohl noch zu kämpfen haben, Frau Linden. Eine Sehne ist deutlich verkürzt, außerdem hat sich in der Handwurzel eine Verknorpelung gebildet, die die Beweglichkeit des Gelenks stark einschränkt.«

      Rosita wurde blass. »Kann man das operieren?«

      »Die Sehne nicht. Die Verknorpelung ließe sich entfernen. Aber mit der verkürzten Sehne müssen Sie sich leider abfinden.« Er sagte es freundlich und ruhig, als handele es sich um nichts Entscheidendes.

      »Ich habe immer gemerkt, dass die Hand kein freies Spiel der Bewegung mehr hat, wenn ich versuchte, den Bogen zu nehmen. Was raten Sie mir?« Rosita verbarg nur mühsam ihre Erregung.

      »Muss es denn unbedingt die Violine sein, Frau Linden? Sie sind hochmusikalisch. Vielleicht ein anderes Instrument?«

      »Für jedes Instrument braucht man die Geschicklichkeit der Hände, Professor. Zum Singen reicht meine Stimme leider nicht aus«, erwiderte Rosita voller Bitterkeit. »Das ist keine gute Nachricht.«

      »Sie hätten Ihr Leben lang an den Rollstuhl gefesselt bleiben können«, gab der Professor etwas gekränkt zu bedenken. »Nun hadern Sie mit mir wegen der Hand. Es ist wirklich nicht meine Schuld. Wir haben hier alles Menschenmögliche versucht, um Ihnen die volle Beweglichkeit der Hand zu erhalten. Auch Ärzte sind keine Götter. Damit müssen Sie sich abfinden, so leid es mir tut.«

      Rosita kämpfte tapfer gegen die Tränen an, die ihr in die dunklen Augen steigen wollten.

      »Ich werde trotzdem versuchen, wieder zu spielen. Wenn man ständig übt, ist viel zu erreichen. Das weiß ich von Kollegen, die nach irgendwelchen Verletzungen schier Unmögliches möglich machten.«

      »Sie werden wieder spielen können. Das bezweifle ich nicht. Aber ob Sie Ihre früheren Fähigkeiten wieder erreichen werden, bleibt fraglich. Es wäre unaufrichtig, wenn ich Ihnen das nicht sagen würde.«

      »Ich muss wieder auftreten können, denn ich lebe von meinem Spiel. Mein Geld geht zur Neige, und ich habe nicht nur für mich, sondern auch für mein Kind zu sorgen, verehrter Professor. Das ist die andere Seite Ihrer guten Nachricht. Jedenfalls für mich.«

      »Es tut mir leid. Ich werde die Krankengymnastin noch informieren,