Название | Ganz leise wirbst du um mein Herz |
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Автор произведения | John Eldredge |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783765570483 |
2
ROMANZE MIT EINEM UNBEKANNTEN
Wir erwachen, falls wir überhaupt je erwachen, im Mysterium.
Annie Dillard
Was oder wer ruft uns zum ersten Mal aus der Tiefe unseres Herzens? Unsere äußeren Geschichten, die wir vor den Augen der Welt leben, angefüllt mit Geschäftigkeit und Hektik, werden uns diese Frage nicht beantworten. Wir müssen die innere Geschichte betrachten, die sich in unserem Herzen abspielt. Wenn wir die Reise zur Rückgewinnung unseres Herzens beginnen wollen, müssen wir Frederick Buechners Rat befolgen und „auf unser Leben hören“.
Falls Gott überhaupt zu uns spricht, abgesehen von solchen offiziellen Kanälen wie der Bibel und der Kirche, dann, glaube ich, spricht er zu uns hauptsächlich durch das, was uns passiert … Wenn wir nicht nur unsere Ohren, sondern auch unsere Herzen und unseren Verstand offen halten, wenn wir mit Geduld und Hoffnung hören, wenn wir uns tief und ehrlich erinnern, dann, glaube ich, werden wir jenseits allen Zweifels zu der Erkenntnis kommen, dass er, wie leise wir ihn auch immer hören mögen, tatsächlich zu uns spricht, und dass sein Wort – mögen wir auch wenig davon verstehen –, für jeden von uns sowohl erreichbar als auch unsagbar kostbar ist.
(Now and Then).
Unsere innere Geschichte ist am besten am frühen Morgen zu hören, oder manchmal mitten in der Nacht, wenn der innere Redakteur, der uns sagt, wie wir auf die Welt reagieren „sollten“, nicht im Dienst ist. Das ist die Zeit, in der unser Herz uns von der Geschichte erzählt, die zutiefst die unsere ist. Es ist eine Geschichte, deren Handlung sowohl Mysterium als auch Magie enthält, sowohl Vorahnung als auch Angst. Wenn wir aufmerksam auf die innere Geschichte hören, die unser Herz uns erzählt, wird den meisten von uns bewusst, dass die Handlung sich um zwei ganz verschiedene Botschaften oder Offenbarungen dreht, die um unsere Aufmerksamkeit gewetteifert haben, seit wir noch ganz jung waren. Die eine hat uns verzaubert, während die andere uns herausforderte, uns über Furcht und Resignation zu erheben. Die eine kam zu uns in der Form einer Romanze, die mich (Brent) selbst jetzt noch in meinen Vierzigern mit gespannter Erwartung erfüllt. Etwas Wunderbares wirbt um uns. Die andere Botschaft belagert uns mit viel dunkleren Farben und bringt eine Vorahnung mit sich, die manchmal selbst an einem strahlend hellen Morgen an den Rändern unseres Bewusstseins nagt. Etwas Schreckliches belauert uns.
Und doch ist unsere Verzauberung durch das Leben vielleicht die tiefere der beiden Botschaften – die Liebesgeschichte, die unser Herz zuerst berührte, bevor die dunkle Offenbarung ihre Wirkung tat. Und darum werden wir an dieser Stelle beginnen, „auf unser Leben zu hören“. Wenn wir es uns selbst erlauben, zu der Geschichte zurückzukehren, die die meisten von uns als Kinder kannten, ist es nicht schwer, die frühen Bilder und Geräusche und Gerüche der ersten Offenbarung des Lebens zurückzubringen – die einer großen Romanze.
Für jeden von uns gibt es einen Ort, wo die Romanze zuerst zu uns sprach. Meistens ist es ein Ort, den wir gerne wiedersehen würden, aber wir fürchten uns auch davor, weil wir meinen, unsere Erinnerungen könnten uns dann gestohlen werden. Meine eigenen frühesten Erinnerungen an die Romanze stammen von einer fünfzig Hektar großen Farm in New Jersey, im Südosten begrenzt von einem Bach und im Nordwesten von einem niedrigen, breiten Bergrücken. Wie es bei den meisten Farmerfamilien in den fünfziger Jahren der Fall war, bestand die Arbeit sowohl meiner Mutter als auch meines Vaters darin, vom frühen Morgen bis zur Abenddämmerung die Tiere und Felder zu versorgen, sodass meine Schwester und ich uns selbst überlassen waren und die Geheimnisse der Wiesen und Heumieten erkunden konnten.
Zum ersten Mal hörte ich den Ruf der Romanze, als ich ein Junge von sechs oder sieben Jahren war, kurz nach der Dämmerung eines Sommerabends, als die heiße, staubige Arbeit auf der Farm zu Ende war. Etwas Warmes, Lebendiges und Verlockendes rief nach mir von den geheimnisvollen Grenzen der Farm her, die meine ganze Welt war. Ich ging darauf zu, vorbei an den Ställen, in denen unsere Milchkühe sich ausruhten, und weiter durch die Reihen dunkelgrüner Maispflanzen, die hoch über meinen Kopf emporragten. Die Maispflanzen in ihrer Höhe und ihrer dichten Zahl waren wie eine Art Zauberwald. Jedes Blatt, das vor meinen ausgestreckten Armen zur Seite wich, schien ein mögliches neues Geheimnis zu offenbaren. Die Erde war warm und braun und duftete, und sie lud ein zu einer barfüßigen Ekstase ohne Angst vor Steinen oder anderem Unrat, an dem ich mich hätte verletzen können.
Schließlich kam ich aus dem Maisfeld heraus auf einen schmalen Wiesenstreifen, wo hohe Gräser sich silbrig leuchtend im Mondlicht wiegten. Hinter diesen Tänzern stand eine schmale Linie von Ahornbäumen und Eichen, gerade aufragend wie Wächter, und verbargen die Stimmen, die von dem plätschernden Wasser des Bachs, der die Grenze unseres Farmlands bildete, so leidenschaftlich nach mir riefen. Die Bäume, die den Bach bewachten, leiteten mich weiter zu einem Sandstreifen unter einer alten Holzbrücke, über die die Straße weiterführte in das übrige Farmland New Jerseys. Dort im Mondlicht hockte ich mich am Rande des Wassers nieder und vergrub meine Zehen im kühlen Sand. Rund um meinen Fußabdruck blutete der Sand im tiefen Rot rostigen Eisenerzes.
An diesem Ort war ich umringt von den Sängern.
Die Stimmen der Grillen und Zikaden drangen zu mir, über die Geräusche des Bachs hinweg und vermischt mit dem durchdringenden Geruch von Gerbsäure. Dort am Bachufer sangen mir zehntausend Musiker die magischen Geschichten der Farmen und der Wälder vor. Es schien, als würden die Lieder von den Oberläufen hierher getragen – von jenen geheimnisvollen Ursprüngen des Wassers, das durch das Moos heraufquoll auf eine Weise, wie sie nicht zauberhafter hätte sein können, wäre es von mondbestäubten Elfen ins Leben gerufen worden. Das Bachwasser legte in der Dunkelheit unter der Brücke eine Pause ein, bevor es seine Reise fortsetzte. Die stille Oberfläche des Teiches, der dabei entstand, spielte den Gastgeber für die glänzenden grünen Herren des jungen Flusses, die rau krächzenden Ochsenfrösche. Hin und wieder fügten sie der Melodie ihre eigenen Basstöne hinzu; ein Ruf zur Ordnung, der bei der großen Masse der Musiker ungehört verhallte.
Ich erinnere mich, wie ich mich an diesem Ort aufhielt, bis die Musik des Lebens mich mit dem Wissen erfüllte, dass es eine Romanze auszuleben gab; mit der Gewissheit, dass es einen Grund gab, mit hölzernen Schwertern gegen Drachen zu kämpfen; einen Grund dafür, nicht einen, sondern zwei Revolver mit perlmuttbesetzten Griffen zu tragen in den Cowboygeschichten, die ich jeden Tag sponn und auslebte; einen Grund dafür, dass darin auch ein hübsches Mädchen vorkommen musste, das zu befreien war, auch wenn ich viel zu sehr damit beschäftigt war, gegen die Schurken zu kämpfen, als dass mich die Liebe hätte einfangen können. Dieser Zauber versicherte mir, dass es Liebe und Liebhaber und Abenteuer gab, in die ich mich stürzen, und Geheimnisse, die ich erforschen musste.
Die Romanze jenes Ortes umgab mich noch, wenn ich auf den fernen Ruf meiner Mutter hin aufstand und durch das Maisfeld zurückkehrte. Sie tröstete mich mit einer Vertrautheit, die mich mit Dingen zu verbinden schien, die zugleich sehr alt waren und dennoch immer wieder neu wurden. Wenn ich dann im Bett lag, während meine Eltern weit weg waren, unten in einem anderen Teil des Hauses und in einer Herzenslandschaft, von der ich damals noch nichts wusste, schlief ich ein, umworben von einem unsichtbaren Liebhaber, den ich damals nur von jenen Sängern in der mondbeschienenen Sommernacht her kannte.
Seither bin ich, und Ihnen geht es vielleicht nicht anders, der Romanze viele Male begegnet: Im goldenen Herbst in den Rocky Mountains und in den windgebeugten Ufergräsern und den weißen Schaumkronen an der Atlantikküste; in einem stillen Moment, in dem sich das Sonnenlicht zu parallelen Strahlen ordnete, die warm auf meine Schulter fielen, während ich ein gutes Buch las; in den Augen gewisser Frauen und der Kraft gewisser Männer; in der Freude, mit der mein fünfjähriger Sohn während eines Fußballspiels Räder schlug, ohne daran zu denken, dass er doch das Spiel gewinnen musste; und in den kostbaren Akten der Freundlichkeit, des Mutes und der Opferbereitschaft von Männern und Frauen, die ich gekannt habe, und entsprechenden Berichten von vielen, die ich nicht gekannt habe.
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