E-Fam Exodus. Arno Endler

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Название E-Fam Exodus
Автор произведения Arno Endler
Жанр Языкознание
Серия heise online: Welten
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947619559



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sich und plötzlich hob mich eine Wolke aus Leichtigkeit an. Meine Augen gehorchten mir nicht, denn dort war nur grelles Licht, das mich blendete. Alle Geräusche waren verstummt, in vollkommener Stille schwebte ich in einer Blase aus unnatürlichem Weiß.

      Wahrscheinlich hatte sie etwas in meinen Drink gemixt. Welches Gift würde mir wohl ein unrühmliches Ableben bescheren? Und wem würde Otto nun einen Deal anbieten? Ein neuer, frischer, vielleicht aufmerksamerer John Mayer würde mir folgen.

      Ich genoss die Schmerzlosigkeit.

      »Bürger Mayer?«, störte mich eine Stimme beim Einschlafen. Erkannte ich sie? Wollte ich das überhaupt?

      »Sie sterben nicht.«

      »Otto?«, fragte ich subvokal.

      »Stets zu Diensten, Bürger Mayer.« Dieser leicht ironische Unterton seiner Antwort war unverkennbar. Ich riss mich zusammen, kämpfte gegen die bleierne Schwere in meinem Körper an. Da schälten sich Umrisse, Gesichter aus der Helligkeit.

      Ein Mann lächelte mich an, andere wirkten ernst. Meine Hand lag flach auf dem Boden. Er klebte. Ich war in der Bar. Bürgerin Rybinska hatte mich vergiftet.

      »Nur unter Drogen gesetzt, Bürger Mayer«, verbesserte mich der E-Fam.

      »Otto? Du bist da?«

      »Ich war nie weg und werde es nie sein«, entgegnete der E-Fam. Mein Ohrenimplantat übertrug seine Antwort so klar wie sonst auch direkt an mein Hörzentrum.

      »Rybinska?«

      »Sie ist nicht weit gekommen, Bürger Mayer. Es tut mir leid, dass ich die Gegenmaßnahmen der Bürgerin nicht sofort als solche erkannte. Sie hatte uns erwartet und die Netzzugänge in der Bar vorab manipuliert. Als ich registrierte, dass ich Sie nicht mehr kontaktieren konnte, habe ich unseren Bekannten bei Capital Crime informiert.«

      »Oh, gut.« Ich spürte, wie man mich anhob, war aber zu müde, um mich dagegen zu wehren.

      »Wohin bringt man mich?«, erkundigte ich mich stumm bei Otto.

      »Die Drogen müssen ausgeschwemmt werden, Bürger Mayer. Ich habe Ihnen einen Platz in einer Privatklinik organisiert.«

      »Privatklinik?«, hakte ich nach. »Das können wir uns nicht leisten. Dafür reicht doch nicht mal der Erfolgsbonus für diesen Auftrag. Es hat viel zu lange gedauert.«

      »Darüber sollten Sie jetzt nicht grübeln, Bürger Mayer. Ich habe bereits einen neuen Auftrag akzeptiert.«

      »Was?« Ich hatte laut gesprochen. Eine Hand legte sich auf meine Stirn, eine männliche Stimme bedeutete mir, Ruhe zu bewahren. »Wir bringen Sie in die Klinik, Bürger. Bitte bleiben Sie ruhig liegen.«

      »Ich bin beinahe abgekratzt und du hast nichts Besseres zu tun, als mich in den nächsten Auftrag zu hetzen?«, klagte ich subvokal. Ich konnte endlich wieder willentlich meinen Kopf bewegen, sah mich um. Irgendwie hatte sich die Umgebung eingefärbt. Eine Farbverschiebung nach Zartrosa, vermutlich eine Nebenwirkung der Substanzen, die mir Rybinska spendiert hatte.

      Otto ließ sich nicht aus der Reserve locken. Er ignorierte meine Proteste. »Wie ich schon erwähnte, waren es lediglich Drogen, die Sie ins Nirwana katapultieren sollten. Keine Lebensgefahr für einen gesunden Menschen. Wobei das Risiko sicherlich bei Ihnen etwas erhöht ist.«

      »Was meinst du?«

      »Ihre Physical-Fitness-Daten weisen bedenklich unterdurchschnittliche Werte auf. Es wird Ihnen mehr Sport empfohlen, Bürger Mayer.«

      Die Welt, die eben noch in zartes Pastellrosa eingefärbt gewesen war, fühlte sich plötzlich hart und kantig an. Ich fühlte mich ungeliebt, einsam und an den Pranger gestellt. »Dafür bleibt mir ja keine Zeit, da ich für zwei schuften muss.«

      »Nun, Bürger Mayer, darüber kann man geteilter Meinung sein«, erwiderte Otto und ich bildete mir ein, ein Lachen zu hören, obwohl mir nicht bekannt war, dass ein E-Fam dazu überhaupt in der Lage war.

      Es vergingen sechs Monate ...

      Go down, Moses,

      Way down in Egypt’s land,

      Tell old Pharaoh,

      Let my people go.

      1

      Der Ohrwurm würde mir den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf gehen. Eine sowohl eingängige als auch langweilige Melodie, die mitten in das Nervenzentrum zielte, sich dort verhakte und in Schleifen lief. Ich wünschte dem Arrangeur die Pest an den Hals, wusste jedoch gleichzeitig, dass er seine Arbeit hervorragend erledigt hatte. Und von irgendetwas musste ja jeder leben, wie ich am eigenen Leib erfuhr. Selbst wenn es bedeutete, damit einem völlig Fremden auf die Füße zu treten.

      »Otto?«, fragte ich laut, da ich der einzige Passagier des Trans-Segment-Lifts war und somit niemanden störte.

      »Bürger Mayer? Was kann ich für Sie tun?« Die Stimme des E-Fams erklang direkt in meinem Hörzentrum. Wie gewohnt empfand ich sie als beflissen, mit einem leisen Hauch Sarkasmus darin.

      In den letzten Monaten, die zum Bedauern meines Kontostands recht ruhig verlaufen waren, hatte ich in der freien Zeit Dutzende antike Filme aus den Datenbanken geladen und konsumiert. So stellte ich mir Otto nach Ansicht der alten 2-D-Streifen als greisen englischen Butler vor, dessen Respekt vom Hausherren auf den jungen Lord übergegangen war. Der Tonfall passte exakt, selbst wenn ich den elektronischen Famulus natürlich nicht direkt vor mir hatte.

      »Wie lange dauert die Fahrt?«, fragte ich.

      »Rund acht Minuten.«

      Ich seufzte. »Kannst du bitte die Musik abschalten?«

      »Zu meinem Bedauern, nein. Der Trans-Segment-Lift verfügt über einen autonomen Tonerzeuger.«

      »Oh, und was ist mit den Bildern?«

      Auf dem 360-Grad-Bildschirm der Fahrstuhlkabine liefen normalerweise Newsfeeds, Nachrichten- und Werbeblöcke. Ich musste in diesem Moment jedoch meine Schwindelattacken bekämpfen. Ein Video wurde eingespielt. Wahrscheinlich von einem Kopter aufgenommen, der auf den Sektor drei zuflog. Die Flughöhe war immens, was mir nicht guttat, da ich an Akrophobie litt. In der Ferne sah ich den spitz zulaufenden Turm, in dem auch ich mich gerade aufhielt.

      Auf drei Pfeilern gelagert, ragte er von einer kreisrunden Grundfläche aus rund neun Kilometer in die Höhe. Ein Tripod, der an eine überdimensionale Version des Eiffelturms erinnerte. Die unterste Ebene schwebte wie ein gewaltiges Ufo mit einem Radius von zweihundert Kilometern über Teilen des europäischen Festlands und der Nordsee. In den zehn Segmenten lebten mehr als einhundert Millionen Bürger, die den Sektor drei der Mega-City nur selten oder gar nicht verließen.

      Das Video lief unbarmherzig weiter. Ich schloss kurz die Augen, doch der Schwindel verging nicht. Also sah ich wieder hin. Im strahlenden Licht der Sonne näherte sich der Kopter. Ich fragte mich, wann die Aufnahmen gemacht worden waren.

      »Der oberste Bereich fehlt«, murmelte ich. »Die Bilder sind alt.«

      »Korrekt beobachtet, Bürger Mayer. Es handelt sich um eine Promotionskampagne der LIFT-CORPORATION«, erklärte Otto. »Die Abstimmung über die Aufstockung stand kurz bevor. Der Aufzug zur Satellitenstation, dessen Kabel in der Spitze des Turmes verankert werden sollte, schürte Ängste. Die Bürger waren nicht begeistert über die Aussicht, ein tonnenschweres Seil dicht oberhalb der Köpfe installiert zu bekommen, um eine Verbindung zur Orbitalstation zu errichten. Sie starteten eine Kampagne. Dieses Video gehört dazu.«

      »Warum läuft es gerade jetzt ab? Wo sind die Nachrichten?«

      »Zu meinem Bedauern habe ich keinen Einfluss auf die Bildwiedergabe.«

      »Der omnipotente Famulus ist nicht in der Lage, ein Video abzuschalten?«, witzelte ich. »Ich bin erstaunt.«

      »Nun, so ist es leider. Kann ich Ihnen sonst zu Diensten sein?«

      Ich schnüffelte laut und vernehmlich. »Riecht