Название | H. G. Wells – Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Herbert George Wells |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962813628 |
Es ist dies jedoch eine bloße Hypothese. Die einzige unleugbare Tatsache – denn was Kinder erzählen, ist häufig wenig zuverlässig – ist die Entdeckung von Wicksteeds Leichnam und der blutigen Eisenstange, die in den Brennesseln lag. Dass Griffin die Eisenstange wegwarf, lässt auf die Vermutung kommen, dass er – in der Gemütserregung jenes Ereignisses – die Absicht, in der er sie an sich gerissen hatte – wenn überhaupt eine bestimmte Absicht vorlag – aufgab. Gewiss war er ein unendlich selbstsüchtiger und gefühlloser Mensch; aber der Anblick seines Opfers, seines ersten Opfers, das da blutend und jammervoll zu seinen Füßen lag, mag doch eine lang zurückgedämmte Quelle von Gewissensbissen entfesselt haben, die, wenigstens vorübergehend, alle Pläne, die er vorgehabt hatte, wegschwemmte.
Nach diesem Mord scheint er das Land in der Richtung gegen die Düne durchwandert zu haben. Einige Leute wissen von einer Stimme zu erzählen, die sie auf einem Feld in der Nähe von Fern-Bottom hörten. Sie weinte und lachte, seufzte und stöhnte, und hie und da hörte man einen wilden Schrei. Hinter einem Berge verhallte sie.
In der Zwischenzeit muss der Unsichtbare gewahr geworden sein, welch schnellen Gebrauch Kemp von seinen vertraulichen Mitteilungen gemacht hatte. Er muss die Häuser versperrt und befestigt gefunden haben, er mag nach den Eisenbahnstationen und Wirtshäusern geschlichen sein, wo er zweifellos die Bekanntmachung las und sich über die Natur des Feldzuges, den man gegen ihn führte, klar wurde. Und wie der Abend hereinbrach, tauchten hie und da auf den Feldern Gruppen von drei oder vier Männern, in Begleitung von kläffenden Hunden, auf. Diese Jäger hatten für den Fall einer Begegnung mit ihm besondere Weisungen erhalten, wie sie einander beistehen könnten. Aber er wich ihnen allen aus. Wir können seine Verzweiflung begreifen, und sie mag durch das Bewusstsein, dass er selbst die Handhabe zu einer so grausamen Jagd gegen sich geboten hatte, nicht verringert worden sein. Einen Tag lang verlor er den Mut; durch vierundzwanzig Stunden war er außer im Kampf gegen Wicksteed wie ein gehetztes Wild. In der Nacht muss er gegessen und geschlafen haben, denn am Morgen war er wieder er selbst, tätig, energisch, rachsüchtig und bereit, seinen letzten großen Kampf gegen die Welt aufzunehmen.
27. Kapitel – Die Belagerung von Kemps Haus
Kemp las eine seltsame Botschaft, die mit Bleistift auf ein fettiges Blatt Papier geschrieben war.
»Sie sind erstaunlich energisch und klug gewesen«, lautete der Brief, »obgleich ich mir nicht denken kann, was Sie dadurch gewinnen wollen. Sie sind also gegen mich. Einen ganzen Tag lang haben Sie mich gejagt, Sie haben versucht, mich um die Nachtruhe zu bringen. Aber Ihnen zum Trotz habe ich gegessen, Ihnen zum Trotz habe ich geschlafen und das Spiel beginnt erst. Es fehlt nichts, als die Schreckensherrschaft anzukündigen. Diese meine Botschaft kündigt den ersten Tag an. Port Burdock untersteht nicht länger der Königin, sagen Sie das Ihrem Polizeihauptmann und den übrigen. Es untersteht mir – dem Herrn des Schreckens. Dies ist der erste Tag des ersten Jahres der neuen Ära – der Ära des Unsichtbaren. Ich bin König Unsichtbar der Erste. Am ersten Tag wird die Herrschaft leicht zu ertragen sein. Da wird nur eine Hinrichtung vorgenommen werden, um ein Exempel zu statuieren – an einem Manne namens Kemp. Der Tod harrt heute seiner. Er mag sich einschließen, sich mit Wachen umgeben, eine Rüstung anlegen, wenn es ihm beliebt – der Tod, der unsichtbare Tod, kommt heran. Er mag Vorsichtsmaßregeln ergreifen, es wird nur umso größeren Eindruck auf mein Volk machen. Das Spiel beginnt. Der Tod ist auf dem Wege. Helft ihm nicht, meine Untertanen, sonst seid ihr selbst dem Tode verfallen. Heute wird Kemp sterben!«
»Es ist kein Scherz«, sagte Kemp, als er den Brief zweimal gelesen hatte, »das ist seine Schrift, und was er sagt, das meint er auch.«
Er drehte das gefaltete Blatt um, und sah auf der Adresse den Poststempel von Hintondean und die prosaische Bemerkung: »Zwei Pence Strafporto.«
Er erhob sich langsam, ließ sein Frühstück unbeendigt und ging in das Studierzimmer. Dann ließ er seine Wirtschafterin kommen und befahl ihr, sofort die Runde im Hause zu machen, alle Fensterriegel zu untersuchen und die Läden zu schließen. Die Fenster seines Studierzimmers schloss er selbst. Aus einem abgesperrten Fach in seinem Schlafzimmer nahm er einen kleinen Revolver, untersuchte ihn sorgfältig und steckte ihn in die Tasche seines Rockes. Er schrieb einige kurze Briefe, einen davon an Oberst Adye, und gab sie dem Hausmädchen zur Besorgung mit genauen Weisungen, wie sie das Haus verlassen solle. »Es hat keine Gefahr«, sagte er und fügte in seinem Innern hinzu: »für sie.« Ein Weilchen blieb er nachdenklich sitzen, dann kehrte er zu seinem kalt gewordenen Frühstück zurück.
Oft unterbrach ein neuer Einfall seine Mahlzeit. Endlich schlug er heftig auf den Tisch. »Wir werden ihn fangen!«, sagte er, »und ich bin der Köder. Er wird sich zu weit vorwagen.«
Er ging in sein Studierzimmer hinauf, sorgsam die Türen hinter sich schließend. »Es ist ein Spiel«, sagte er, »ein aufregendes Spiel; aber die Trümpfe sind in meiner Hand, Mr. Griffin, trotz Ihrer Kühnheit. Griffin contra mundum …«
Er stand am Fenster und blickte auf den Hügel hinaus. »Er muss sich jeden Tag Speise verschaffen – und ich missgönne es ihm nicht. Ob er heute Nacht wirklich geschlafen hat? Draußen im Freien wahrscheinlich, sicher vor jeder Begegnung. Wenn nur recht kaltes, nasses Wetter statt dieser Hitze kommen wollte!
Vielleicht beobachtet er mich eben jetzt …«
Er trat ganz nahe ans Fenster heran. Etwas schlug an das Mauerwerk über dem Fenster und ließ ihn heftig zurückfahren.
»Ich werde nervös«, sagte Kemp. Aber es dauerte fünf Minuten, ehe er wieder ans Fenster ging. »Wahrscheinlich ein Sperling«, meinte er.
Bald darauf wurde die Hausglocke gezogen und er eilte hinunter. Er schob die Riegel am Tor zurück, drehte den Schlüssel um, untersuchte die Kette und öffnete vorsichtig, ohne sich zu zeigen. Eine wohlbekannte Stimme rief ihn an. Es war Adye. »Ihr Mädchen ist angegriffen worden, Kemp«, sagte er durch die Tür.
»Was?«, rief Kemp.
»Man hat ihr den Brief weggenommen. Er ist ganz in der Nähe. Lassen Sie mich hinein.«
Kemp löste die Kette und Adye trat durch eine ganz schmale Spalte ein. Er stand in der Halle und blickte mit unendlicher Erleichterung auf Kemp, der das Tor wieder versperrte. »Der Brief wurde ihr aus der Hand gerissen. Es hat sie furchtbar aufgeregt. Sie liegt in Krämpfen. Er ist ganz in der Nähe. Was wollten Sie mir schreiben?«
Kemp fluchte.
»Was für ein Narr ich war«, sagte