Название | KAMASUTRA IN UNTERFILZBACH |
---|---|
Автор произведения | Eva Adam |
Жанр | Языкознание |
Серия | Unterfilzbach |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783958353367 |
Indira war der jüngste Spross der Scharnagl-Familie. Obwohl sie mit ihren 15 Jahren in der absoluten Hardcore-Pubertät steckte, war sie im Vergleich zu ihren Altersgenossinnen doch noch einigermaßen zugänglich. Irgendwie schlug sie trotzdem ziemlich aus der Art, fand Hansi, denn ihr neuester Wunsch war es, zu studieren. Das musste man sich mal vorstellen! Ein Scharnagl hatte bisher noch nie studiert. Hansi war die bodenständige Welt des Handwerks viel lieber und erklärbarer. »Gstudierte« mochte Hansi nicht besonders, er fand, die machten alles immer noch komplizierter.
Aber auch Indira hatte immer schon ihren eigenen Kopf gehabt. Seit ihr der Wechsel aufs Gymnasium verwehrt worden war, was Indira ihrem Vater heute noch übel nahm, hatte sie sich vorgenommen, über ihre weitere Karriere selber zu entscheiden. Und ein klein wenig war der Papa ja doch auch stolz auf sie. Sie war in der Realschule die Klassenbeste und wusste Sachen, von denen hatte der Hansi noch nie etwas gehört. Indira hatte sich in den Kopf gesetzt, nach dem Realschulabschluss ihr Abitur nachzuholen und dann vielleicht Medizin, Politik oder Philosophie zu studieren. Abitur! Ein Scharnagl! Studieren! Ein Scharnagl! Hansi bekam manchmal eine Gänsehaut, wenn er sich das vorstellte: »Frau Dr. Scharnagl bitte in den OP.«
Inzwischen fand er sich jedoch langsam aber sicher damit ab, dass er einfach eine sehr gescheite Tochter hatte. Indira war zwar genauso hübsch wie Isabelle, aber sie machte sich nicht besonders viel aus Äußerlichkeiten. Sie las lieber Bücher, als dass sie mit ihrer Schwester in »Elkes Nagel Salon« ging. Sie spielte mit den Bewohnern des Unterfilzbacher Altersheims Zum ewigen Licht regelmäßig Schach oder las ihnen etwas vor, was Hansi zuckersüß und sehr liebenswert fand. Ansonsten war auch Indira sehr selbstbewusst und bei Diskussionen allen anderen Scharnagls weit überlegen. Wie man auf gut Bayerisch halt sagt: »Sie hat a recht a Gosch'n«, quasi eine große Klappe. Und diese »Gosch'n« bekam eben heute wieder der kleine Hansi zu spüren.
»Mei, Indira, ich muss jetzt dann gleich in die Berufsschule, ich kann dich heut nicht fahren. Mir pressiert es heute wirklich ganz furchtbar«, versuchte Hansi junior seiner Schwester sein Nein zu den geforderten Chauffeurleistungen zu erklären.
»Aber ich hab doch heute meinen Projekttag Korruption in der Pharmaindustrie. Weißt du eigentlich, wie viel Zeug ich da mitschleppen muss? Soll ich das jetzt alles im Bus mitnehmen?« Indira war sichtlich erbost.
Bettina sah ihren einzigen Sohn an, der mit den Augen förmlich um Unterstützung seiner Mutter flehte.
»Indira, das hättest du dir jetzt aber auch früher überlegen können, der Hansi ist ja nicht dein Taxi«, versuchte Bettina die Situation zu beschwichtigen.
Dabei konnte man in der Küche ein sehr dankbares, entspanntes Durchatmen vom kleinen Hansi vernehmen.
»Der Papa kann dich jetzt dann zum Bus bringen, wenn er in die Arbeit fährt, dann musst du zumindest nicht bis zur Bushaltestelle laufen«, sprach die Mutter ein Machtwort.
Nachdem die Scharnagls ihr Frühstück beendet hatten, machte sich jeder auf seinen Weg. Bettina räumte noch die Küche auf und radelte dann zum KaufGut-Supermarkt im Dorf, wo sie an der Kasse saß.
An der Kasse zu arbeiten war eigentlich der beste Job im Supermarkt. Man sah, was die Leute so einkauften und konnte sich damit so manches Mal einen Reim auf die Gerüchte machen, die im Dorf umgingen. Wenn jemand zu Saufen anfängt, zum Beispiel, dann wusste es Bettina meistens schon recht früh. Außerdem ging immer ein Ratsch, wenn die Schlange nicht so lang war. Wahrscheinlich wusste eine Supermarkt-Kassiererin mehr von ihren Mitbürgern als so manch ein Pfarrer. Gottseidank musste sich Bettina aber nicht an das Beichtgeheimnis halten, auch wenn sie das Getratsche, das in einem Dorf üblich war, nicht so sehr mochte.
Donnerstag war allerdings immer so eine Sache im KaufGut, denn dann fielen die Unterfilzbacher immer wie eine Horde Heuschrecken im einzigen Dorf-Supermarkt ein. Das aktuelle Angebot aus den Werbeflyern der Einkaufskette war dann brandneu zu haben. Dies interessierte jetzt eigentlich keinen, wenn es sich um Oster-Deko oder solch banale Dinge handelte, aber bei Fernsehern, Computern oder Gartenmöbeln war es für das Supermarkt-Personal recht schwierig, gegen die Horden wild gewordener Hausfrauen durchzugreifen.
Die Aktions-Angebote waren immer sehr günstig und nicht in großer Stückzahl vorrätig. Am schlimmsten war es aber, wenn es Kinderstrumpfhosen oder Kinderschneeanzüge gab. Da war wirklich Nahkampf angesagt, nicht selten kam es sogar vor, dass sich da eine feine Schlägerei entwickelte. Nach dem letzten Schneeanzug-Donnerstag hatten die Supermarkt-Frauen einen wahren Brandbrief an die Regionalverwaltung vom KaufGut geschrieben. Sie forderten darin, bei der nächsten Verkaufsaktion dieser Art Security-Männer für den Ansturmtag im Laden zu organisieren, um nicht immer selbst eingreifen zu müssen.
Am schlimmsten war da ja die Hinkhofer Berta, die zwar schon 68, ledig und kinderlos war, aber die Berta hatte dieses Jahr gleich fünf Schneeanzüge in Größe 86 bis 136 gekauft und drei Paar Herrenfilzpantoffeln in den Größen 44, 45 und 46. Bettina fragte sich manchmal, was sie damit wohl machte. Im Internet versteigern? Am Schneeanzug-Schwarzmarkt verkaufen? Vielleicht ging es ihr aber auch nur um das Gefühl, jemand anderes die Beute vor der Nase weggeschnappt zu haben.
Die Berta war schon in Rente und sollte alle Zeit der Welt haben. Sie war früher die gefürchtete Sekretärin vom Bürgermeister gewesen. Aber trotz Ruhestand war sie immer im Stress, mehr noch als alle anderen Rentner. Von Berta erfuhr Bettina allerdings immer die absolut brandheißen News aus dem Unterfilzbacher Gemeindeleben. Berta war die ungekrönte Königin aller Dorftratschen und nicht gerade zimperlich, wenn es darum ging, über ihre Mitbürger zu lästern.
Hansi bog an diesem strahlenden Oktoberdienstag recht entspannt mit seinem blauen Opel Astra Kombi in die Bauhofeinfahrt ein. Hier am Bauhof herrschte irgendwie eine eigene Zeitrechnung, das bemerkte man schon am automatischen Einfahrtstor, das sich gut und gern 45 Sekunden Zeit lassen konnte, bis es endlich zur Durchfahrt offen war. Aber genau das liebte Hansi ja so an seiner Arbeit, es gab hier nicht wirklich Stress – außer vielleicht in den Wintermonaten. Da war es dann schon manchmal ziemlich anstrengend, das Bauhofleben, denn in Unterfilzbach schneite es sehr oft und sehr viel. Und der Schnee musste ja schließlich auch geräumt und die Straßen gestreut werden. Ab Oktober war der Bauhof-Kapo Wiggerl quasi dauerangespannt. Er kannte so ziemlich alle weltweit zugänglichen Wetterportale und recherchierte von Oktober bis März den ganzen Tag, ob es vielleicht doch noch unter 0 Grad werden könnte, wie hoch die Schneefallwahrscheinlichkeit war, wie viel Meter Schnee es werden könnten und ob auch ja genug Streusalz vorhanden war. Ganz wichtig war aber natürlich auch, dass seine Männer rufbereit waren, wenn Hilde – Wiggerls Frau – zum Telefon greifen musste, um die Bauhofmänner teilweise bereits gegen 3.00 Uhr morgens aus den Federn zu klingeln. Wiggerl rief nur selten persönlich bei seinen Männern an, weil er dann im Fall der Fälle lieber sofort in sein Bauhoffahrzeug hüpfte und kontrollierte, in welchen Straßen seines Zuständigkeitsbereichs es am meisten geschneit hatte. Da erinnerte er Hansi immer ein wenig an den hektischen Luis de Funès in seinen besten Zeiten. Wiggerl hatte bei Räumarbeiten quasi eine Funkgeräte-Standleitung zu seinen Schneepflugmännern. Allerdings verließ sich der Bauhofvorarbeiter nicht immer nur allein auf die Wetter-und Temperaturvorhersagen aus dem Internet. Nein, Wiggerl hatte seine ganz persönliche Methode entwickelt, die weitaus besser war als jeder Meteorologe. Fand zumindest Wiggerl. Wenn er das Gefühl hatte, oha, jetzt ist es aber kalt, warf er einen seiner Hausschlappen die Einfahrt vor dem Haus hinauf, und wenn dieser wieder zurückschlitterte, dann rief er: »Hilde, mach an Rundruf! Heut wird's zum Streuen.«
Das war quasi Temperaturmessung auf Bayerisch.
Ja, ja, der Wiggerl, das war schon so einer. Er war als Vorarbeiter für die Verteilung der Arbeit zuständig, aber irgendwie hatte er dazu nicht das richtige Karma (würde Ashanti wahrscheinlich sagen). Da konnte es schon mal vorkommen, dass die neuen Blumentröge für die Ortseinfahrt erst im Oktober aufgestellt und bepflanzt wurden, weil man vergessen hatte, dass die ja noch im Lager waren. Ab Oktober konnte es aber in Unterfilzbach schon wieder schneien, und dann kamen die Blumentröge spätestens Mitte Oktober auch wieder weg – denn eventuell könnte man diese ja dann, falls es