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Ist sie brav? Lernt sie gut in der Schule? Sie war immer recht schüchtern.«

      Frau Rennert lächelte. »Schüchtern ist unser Billchen gar nicht. Zu Anfang konnte sie sich nicht einleben und schloss sich von der Gemeinschaft ab. Aber seit sie Klavier spielen darf, ist sie genauso fröhlich wie alle Kinder hier.«

      »Hat sie Unterricht? Ist sie nicht zu jung dafür?« Anita zog die Brauen nervös zusammen.

      »Billchen besitzt ein großes Talent. Mein Sohn, der hier Haus- und Mu­siklehrer ist, unterrichtet sie. Die Kleine spielt mit Hingabe und bewunderungswürdiger Ausdauer. Gewiss spielt sie Ihnen etwas vor. Sie werden staunen.«

      »Sie hat das Talent ihrer Mutter geerbt«, kam es leise über Anitas Lippen. »Meine arme Schwester spielte auch schon als Kind. Aber Glück hat ihr die Musik nicht gebracht.«

      Frau Rennert fand keine Antwort. Auch Frederik Mintow warf Anita einen fragenden Blick zu. Warum sprach sie so bitter über die Begabung ihrer verstorbenen Schwester?

      Anita wechselte rasch das Thema. Sie erkundigte sich nach der Schule und nach allerlei Einzelheiten. Dann entschuldigte sich Frau Rennert mit dringenden Arbeiten und ließ die Besucher allein.

      Anita und Frederik stärkten sich.

      »Ist es dir nicht recht, dass deine Nichte Klavierunterricht hat?«, warf Frederik hin. »Das kann gewiss nichts schaden, meine ich.«

      »Es sind die Erinnerungen, Frederik. Carola lebte nur für ihre Musik. Das wurde ihr zum Schicksal. Sie hatte eine stürmische, leidenschaftliche Beziehung zu einem jungen Musiker, der sie ohne Abschied verließ. Möglicherweise hat sie ihm in ihrer Torheit nicht einmal gestanden, dass sie ein Kind erwartete. So war Carola nämlich.«

      Frederik lachte leise, sodass Anita zusammenzuckte. Sie fand diese tragische Geschichte ihrer jüngeren Schwester alles andere als komisch.

      »So geht es nun mal im Leben, Schatz. Aber wir werden Sibylle entschädigen. Sie soll es gut haben bei uns. Das verspreche ich dir.«

      Anita nahm seine Hand. »Wir werden sie verwöhnen. Wenn sie will, kann sie Klavier spielen. Sie soll glücklich sein, denn das Kind hat keine Schuld.«

      »Sie wird nie mehr etwas entbehren, Anita. Bis sie erwachsen sein wird, werde ich aus ihrem Vermögen so viel gemacht haben, dass sie sich die ganze Welt kaufen kann.«

      »Das Geld ist für mich nicht das entscheidende, Frederik. Ein Kind braucht Liebe. Und genau darum habe ich Carolas Töchterchen bisher betrogen.«

      Frederik nickte, kam aber sogleich wieder auf seine eigenen Pläne zu sprechen. Er war enttäuscht, dass der Verkauf der Villa sich ziemlich schwierig anließ. Auch riet Anitas Anwalt bei dem augenblicklichen niedrigen Börsenstand davon ab, das Wertpapierdepot von Anita und ihrem Mündel aufzulösen.

      »Selbstverständlich haben wir Zeit, mein Schatz. Ich kann die gesamte Transaktion auch aus eigenen Mitteln vorfinanzieren. Aber es wäre mir lieber, wenn alles seine Ordnung hätte. Ein paar Punkte an der Börse machen kaum etwas aus. Dein Vertrauensmann denkt in Pfennigen, scheint mir.«

      Anita hob die Schultern. »Du solltest mal mit ihm sprechen.«

      »Das hat keinen Sinn, Anita. Ich besitze keine Vollmacht. Diese Dinge musst du leider selbst erledigen.«

      »Wenn wir verheiratet sind, übertrage ich dir die gesamte Verwaltung unseres Eigentums, Frederik. Mich beunruhigt das viele Geld. Bei dir bin ich sicher, dass du es richtig verwaltest.«

      »Darauf kannst du dich verlassen, Schatz. Hoffentlich findet sich schnell ein Käufer für das Haus. Dann könnten wir wenigstens über die Kaufsumme verfügen. Ich bin an rasche Geschäftsabschlüsse gewöhnt. Steine und Juwelen wandern von einer Hand in die andere. Hausbesitz und Wertpapiere sind mir zu schwer beweglich.«

      Anita nickte. Dass ihr Anwalt ihr davon abgeraten hatte, ihr gesamtes Vermögen flüssig zu machen, mochte sie dem Freund nicht sagen. Sie hielt den alten Herrn für schwerfällig und für allzu vorsichtig. Frederiks Erfolge lieferten doch den schlüssigen Beweis dafür, dass man aus wenig Geld viel machen konnte, wenn man es richtig anfing.

      »Ich kümmere mich schon darum, Frederik«, versprach Anita. »Bis Ende des Jahres ist es bestimmt soweit. Dann werden wir das Geld transferieren und abreisen – mit Sibylle.«

      Frederik holte tief Atem. »Du wirst es nicht bereuen, Anita.«

      »Ich ginge auch mit dir, wenn du arm wärest, Frederik.«

      Mintow küsste sie auf die Wange. »Also, weißt du, das hört sich zwar wunderschön an, aber hast du dir auch überlegt, wovon wir leben sollten, wenn wir beide nichts hätten?«

      »Du bist ein Materialist.«

      »Wenn schon. Die gefällt der Rubin schließlich auch.«

      Anita betrachtete ihren herrlichen Ring. »Du hast recht. Ich rede lauter Unsinn«, flüsterte sie. »Übrigens meinte der Rechtsanwalt, ich solle den Ring versichern lassen.«

      Frederik schüttelte den Kopf. »Nicht nötig, Schatz. Das habe ich sofort beim Kauf getan.«

      »Du denkst an alles. Ich muss zugeben, dass ich gar nicht auf den Gedanken gekommen wäre.«

      »Es wäre Leichtsinn, ein solches Stück nicht zu versichern.«

      »Das sagte mein Anwalt auch. Trotzdem wollte ich dich erst fragen.«

      Frederik lächelte befriedigt. »Doppelt darf man nämlich auch nicht versichert sein. Das ist ungesetzlich.«

      Draußen hörte man das Geräusch eines Autos, dann Kinderstimmen. Anita und Frederik traten ans Fenster. Sie sahen einen roten VW-Bus mit der Aufschrift ›Kinderheim Sophienlust‹. Jungen und Mädchen mit Schultaschen stiegen eben aus.

      »Sie scheinen zu kommen. Du, da ist Sibylle.« Anita öffnete das Fenster und winkte. »Billchen, hallo, ich warte schon auf dich.«

      Sibylle blickte hoch. Nur zögernd hob sie die Hand und winkte zurück.

      »Komm zu mir, Sibyllchen.«

      »Ja, Tante Anita.«

      Die Besucher mussten sich jedoch eine ganze Weile in Geduld fassen, ehe Sibylle endlich erschien.

      »Grüß Gott«, sagte sie artig, jedoch mit deutlicher Zurückhaltung.

      Anita breitete die Arme aus und zog das Kind an sich. »Ich habe Sehnsucht nach dir gehabt, Billchen«, flüsterte sie zärtlich. »Es war nicht recht, dass ich dich hierhergeschickt habe. Du brauchst nicht mehr lange zu bleiben. Es wird sich alles ändern.«

      Billchen spürte, dass ihre Tante es aufrichtig meinte. Wie alle Kinder hatte sie ein sehr feines Unterscheidungsvermögen für echte und falsche Herzlichkeit. Der Panzer von Ablehnung, mit dem sie ihr kleines Herz umgeben hatte, schmolz dahin.

      »Ich bin gern hier, Tante Anita«, sagte sie fröhlich. »Wenn du willst, zeige ich dir nachher alles. Auch möchte ich dir etwas vorspielen. Du wirst staunen. Es ist kein Geklimper mehr, sondern richtige Musik.«

      »Da bin ich aber neugierig. Jetzt musst du erst einmal Frederik guten Tag sagen, Billchen. Ihr werdet bestimmt gleich gute Freunde sein.«

      Frederik streckte Sibylle die Rechte entgegen. »Du bist ein hübsches Mädchen«, sagte er und lachte dazu. »Was für schönes Haar du hast. Schau, wir haben dir etwas mitgebracht.«

      Sibylle musterte ihn aufmerksam und schwieg. Er drückte ihr ein Päckchen in die Hände, doch sie rührte keinen Finger, um es zu öffnen.

      »Willst du nicht wissen, was drin ist?«, schaltete sich Anita ein.

      Sibylle löste das Papier, weil sie von jeher daran gewöhnt war, ihrer Tante zu gehorchen. Außerdem merkte sie, dass Anita ihr tatsächlich eine Freude machen wollte.

      Das Päckchen enthielt eine kleine Puppe mit einer kompletten Ausstattung an Kleidern, Mänteln und allerliebstem Zubehör. Billchen staunte. »Danke. So etwas