Die Irrfahrten des Herrn Müller II. Florian Russi

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Название Die Irrfahrten des Herrn Müller II
Автор произведения Florian Russi
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783954629640



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und ich damit ohne Probleme die Nachfolge meines Vaters antreten kann. Ich habe einen zusätzlichen Titel zugesprochen bekommen und werde bald mein eigenes Schloss besitzen. Hätte ich das damals schon gehabt, hätte ich dich dort verstecken können, und du müsstest heute nicht hier sein.“ „Ärger hätte es mir kaum ergehen können“, klagte er und berichtete ihr von seinen Erlebnissen. „Warum hast du mich hierherbringen lassen? Es gibt doch andere Länder, die auch keine Auslieferungsabkommen mit Deutschland geschlossen haben.“ „Wie schlimm es hier sein würde, habe ich nicht gewusst“, erwiderte sie. „Ich habe auf Alexander vertraut. Gern will ich zugeben, dass ich für dich ein Land ausgesucht habe, in dem eine strenge Sexualmoral herrscht. Ich wollte nicht, dass du dich mit anderen Frauen einlässt. Das kannst du Eifersucht nennen. Es ist Eifersucht. Ich brauche dich und werde alles tun, um dich bald wieder bei mir zu haben. Dass Alexander dich nicht besser versorgt hat, hängt vielleicht damit zusammen, dass auch er eifersüchtig ist. Er liebt mich. Große Leidenschaft ist seine Sache nicht, aber gerade das könnte ihn auf dich neidisch machen.“

      „Dann muss ich davon ausgehen, dass du auch meine Freundin Ines nicht wie besprochen über mich informiert hast?“

      „Zunächst habe ich es vergessen oder auch verdrängt. Später erschien mir das Risiko zu groß. Leider habe ich auch deine Eltern nicht informiert. Selbst für die Tochter eines Königs ist es nicht einfach, jemanden zu finden, der so etwas vertrauensvoll und verschwiegen erledigt.“

      Daniel war enttäuscht. Er hatte es mit einer großen Egoistin zu tun. Es drängte ihn, ihr zu sagen, dass ihre Strategie nicht aufgegangen sei. „Du hast zwar recht, dass in diesem Land eine starke Prüderie herrscht, doch ich habe einen Ausweg gefunden. Ich habe mich verlobt.“ Er erzählte ihr von Tamrud und seiner 14-jährigen Tochter, die er erst kurz vor der Hochzeit zu Gesicht bekommen sollte. Da musste Lore laut lachen. „Wenn es soweit ist“, sagte sie „wirst du sie nicht mehr befriedigen können. Bis dahin werde ich alle deine Manneskraft verbraucht haben.“

      Sie drängte zum Aufbruch. In großer Eile erzählte er ihr noch von der angeblichen Erbangelegenheit, und sie versprach, Alexander zu veranlassen, sich darum zu kümmern. Dann verabschiedeten sie sich mit einem langen Kuss. „Du wirst bald wieder von mir hören“, versicherte sie.

      Er verließ die Botschaft und eilte zurück ins Kloster. Trotzig wiederholte er unterwegs immer wieder den Satz: „Ich werde durchhalten.“ Er entschied sich, stärker zu sein als sein ungewöhnliches Schicksal. Zwei Tage später erschien an der Pforte des Klosters ein Bote der königlichen Botschaft und übergab einen Brief, adressiert an Lukas Müller. Tamrud und Selass hielten sich nicht mit ihrer Neugierde zurück. Daniel zuckte mit den Schultern und zeigte ihnen den Brief. Darin stand, dass es die Botschaft bedaure, ihm in seiner Erbschaftsangelegenheit nicht weiterhelfen zu können. „Es war nur ein Versuch“, erklärte Daniel. „Ein Großonkel meiner Mutter hat einige Jahre für eine pharmazeutische Firma in Laban gearbeitet. Ich wollte wissen, ob er vielleicht etwas hinterlassen hat.“ Selass wiegte den Kopf. Entweder war er immer noch argwöhnisch, oder aber er bedauerte, dass Daniel ihm nicht doch ein ererbtes Vermögen präsentieren konnte.

      Ein paar Tage später musste sich Daniel nach dem Aufstehen lange die Augen reiben. In der Nacht waren offenbar einer oder mehrere Menschen in das Gelände des Klosters eingedrungen. Er oder sie hatten mehrere Mauern mit Farbdosen besprüht. Daniel fragte einen vorbeikommenden Religionsschüler, was die Worte und Zeichen an den Wänden bedeuteten. „Es sind Hassparolen gegen uns und unseren Glauben“, antwortete der. „So heißt es, dass wir auf ewig verdammt seien und schon auf Erden bestraft werden müssten.“

      Daniel lief zu Tamrud, der völlig niedergeschlagen wirkte. „Wie kann das nur geschehen sein?“, rief der laut. „Hast du nichts von diesem Überfall gemerkt? Warst du etwa selbst beteiligt?“

      „Bei Ono, sein Name sei gepriesen, schwöre ich, dass ich nichts davon mitbekommen habe. Ich habe tief geschlafen und niemanden gehört oder gesehen. Ich besitze weder eine Spraydose, noch beherrsche ich eure Sprache oder Schrift.“

      „Das spricht in diesem Fall für dich“, antwortete Tamrud. „Selass hat mir dich als einen der Verdächtigen genannt. Er will einfach nicht glauben, dass du auf Gottsuche bist.“

      „Wir müssen schnell nach dem Täter fahnden. Ist irgendwo eine Tür aufgebrochen worden?“, fragte Daniel.

      „Der Täter muss einen Schlüssel oder Nachschlüssel besessen haben oder sich, wie du, schon auf dem Gelände befunden haben. Unsere Gemeinde ist groß, viele Gläubige kommen jeden Tag zu uns. Oft öffnen wir ihnen die Tore und lassen die Schlüssel in den Schlössern stecken. Nie bestand ein Grund zum Misstrauen. Wenn jemand unbedingt wollte, konnte er sich einen Nachschlüssel besorgen. Außerdem sind unsere Schlösser alt, ein geübter Handwerker kann sie mit einem Draht öffnen.“

      Die örtliche Polizei erschien und untersuchte den Vorfall, und die Religionswächter fragten jeden, den sie trafen, darüber aus, ob er etwas über die Tat oder Tatverdächtige sagen könne. Keiner kam zu einem Ergebnis.

      Beim nächsten Gottesdienst war das Klostergelände voller Menschen. Selass hielt eine Predigt, die auch über mehrere Lautsprecher übertragen wurde. Er drohte dem Täter fürchterliche Höllenstrafen an und forderte ihn auf, sich vertraulich bei ihm zu melden. Nur dann bestehe die Möglichkeit, seine Seele vor dem Schlimmsten zu retten. Niemand meldete sich. Es wurden Gerüchte laut, die sich alle als falsch erwiesen.

      Selass ließ nicht nach mit seinen Aufrufen. Immer heftiger predigte er, immer fantasievoller und grausamer wurden die von ihm angedrohten Strafen. Es nutzte nichts. Da entschied er sich zum Äußersten. „Ono ist beleidigt worden. Das ist das schlimmste Verbrechen, das Menschen begehen können. Zumindest einer aus unserer Gemeinde muss es gewesen sein. Das Gesetz und unser Glaube verlangen, dass wir ihn mit dem Tod bestrafen. Wenn er aber nicht bereit ist, sich zu melden, bleibt uns nur ein Weg, Ono wieder mit der Menschheit zu versöhnen. Alle Mitglieder der Gemeinde müssen sich selbst hinrichten. Damit ist gewährleistet, dass auch derjenige dabei ist, der die Gotteslästerungen an die Mauern gesprüht hat.“

      Die Zuhörer reagierten auf diese Worte sehr unterschiedlich. Alle, die Selass kannten, waren sich im Klaren darüber, dass er es ernst meinte mit seinem Ansinnen. Es war für ihn unvorstellbar, dass eine solche Tat ungesühnt blieb. Einige schüttelten die Köpfe, andere blickten ratlos drein, wieder andere riefen in die Menge, dass der Täter doch endlich den Mut aufbringen solle, sich zu melden. Einige wenige traten auch vor und versicherten, zum Selbstmord bereit zu sein, um Ono zu besänftigen.

      „Auf diejenigen, die unschuldig sind, wartet der Himmel“, fuhr Selass fort. „Den Täter aber wird sich der Teufel greifen und ihn mit glühenden Eisen quälen. Seid ihr euch im Klaren, was das bedeutet? Jeder von uns hat sich schon mal die Finger verbrannt. Das hat höllisch weh getan. Für den Verbrecher stehen diese Qualen nun ewig bevor.“

      Daniel schaute auf Tamrud, der nachdenklich schien, aber sich nicht traute, zur Predigt des Selass Stellung zu nehmen. Da ergriff er selbst das Wort und sagte: „Liebe Gemeinde, etwas Unverzeihliches und nicht Erklärbares ist geschehen. Jemand hat versucht, über Ono zu lästern. Das ist ihm aber nicht gelungen, denn Ono kann man nicht beleidigen. Er ist so groß und mächtig, dass er über allem steht, was die Menschen über ihn sagen. So hat es uns der ‚Alte vom Berge‘ gelehrt. Der unendliche Gott, der Himmel, Erde und alle Menschen erschaffen hat, braucht uns armselige Menschen nicht, um sich zu bestätigen. Er war, ist und steht weit über allem. Kann eine Ameise einen Elefanten beleidigen?

      In seiner unendlichen Güte hat Ono seinen Himmel denen geöffnet, die ein gottgefälliges Leben geführt haben. Mit ihnen will er Gemeinschaft pflegen. Denjenigen, die seinen Geboten nicht folgen oder die sogar dagegen verstoßen, bleibt der Weg in die Hölle. Ono allein entscheidet, wen er bei sich haben will, und er allein entscheidet, wann dies der Fall sein soll. Nicht wir selbst dürfen darüber bestimmen, sondern nur er. ‚Geht nicht eher von der Welt, als bis Ono euch gerufen hat‘, lehrte uns der ‚Alte vom Berge‘. Ich weiß, dass ich für viele von euch ein Fremder bin, jemand, der gerade erst zu Ono gefunden hat. Doch ich hatte das große Glück, schon in jungen Jahren zum Berg wandern zu können und den Alten zu hören. Keiner hat Onos Willen