Gehen, um zu bleiben. Klaus Muller

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Название Gehen, um zu bleiben
Автор произведения Klaus Muller
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783954623822



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neigt sich sanft nach Süden und beschreibt in der West-Ostrichtung eine Biege, so dass hier, nach der Gemarkung Grieben zu, eine Kuhle entsteht, die zudem in der Leeseite der sommerlichen Hauptwindrichtung liegt. Verschlungene Wege lassen den Wanderfreund gemächlich am Hang hinabschreiten, nach der langgestreckten Halbinsel Bessin oder in den Ort Grieben. Der Dornbusch, eine Moräne aus der letzten Eiszeit, ragt also mächtig aus der flachen Insel empor, ist bei klarer Sicht schon von der Mole des Stralsunder Hafens zu sehen. Der Dichter Jot Es verglich ihn später mit einer erregten Klitoris.

      Für mich waren diese Schönheiten an diesem Tage erst einmal zweitrangig; ich strebte aus dem Hafen von Kloster, zum Bessiner Strand, der sich zum Libben hin, also bis zur offenen Ostsee, erstreckt.

      Eines Nachts, Ende Juni 1983, um die astronomische Mitternacht herum, ging ich am Strand des Bessin zum Libben hin nach dem Neubessin, jener Südspitze, die schon Sperrgebiet war. Tatsächlich verlief an dieser Stelle ein Priel, den eine Jolle mit Halbschwert durchaus hätte passieren können.

      Am nächsten Vormittag lag ich wieder, mich sonnend, am Bessiner Strand, als eine Motorradstreife der Grenztruppen nahe am Wasser mein Blickfeld passierte. Ein Soldat im Kampfanzug schob keuchend ein Motorrad durch den Sand, und ein Offizier in Sommer-Dienstuniform stapfte voraus. Sie suchten den Strand bis zu jener Südspitze ab. Mir war klar, sie hatten mich in der vergangenen Nacht, trotz Finsternis, eventuell per Infrarotgerät von ihrem Kontrollpunkt auf der Halbinsel Bug aus gesehen. Der Weg nach Norden war also nicht ideal, wenn nicht gar unmöglich.

      Ich überlegte nun, ob ich nicht vielleicht doch mittels Spezialtrailer die wenigen hundert Meter Land südlich von Neuendorf zwischen Bodden und Ostsee mit der Jolle bewältigen könnte, hatte einen solchen Trailer schon einmal konstruiert. Es stand aber auch noch die Frage des Tarnsegels. Ich kaufte also in Stralsund in der HO „Spowa“ (Handelsorganisation „Sport und Wandern“) ein Großsegel für eine 420er Jolle, das etwas kleiner war als das für die xy-Jolle, setzte es für einen Probetörn, um zu sehen, ob es die xy-Jolle auch zieht. Später kaufte ich noch eine neue Kreuzbock hinzu. Diese beiden neuen Segel versuchte ich dann in der heimischen Badewanne mit dunkelblauer Textilfarbe einzufärben. Das Polyestergewebe nahm aber keine Farbe an. Die Farbe ließ sich sogar leicht mit der Duschbrause abspülen und verschwand ohne Rückstände im Ausguss. Ich benötigte also fachlichen Rat, wie man ein helles Polyestersegel deutlich dunkel einfärbt.

      Während eines sommerlichen Kurzbesuches in Dresden sah ich am Hauptbahnhofsvorplatz an einer hier stehenden Baracke das Schild „Drogerie“. Ich dachte: ‚Hier holst du dir Rat, so weit von der Küste entfernt denkt kein Mensch an die Vorbereitung eines nächtlichen Grenzdurchbruchs über See.‘ Der Drogistin log ich vor, als Bandleader eine helle Polyesterplane dunkel einfärben zu wollen, um die goldenen Sterne, die später aufgenäht werden sollten, besser als Überdachung zur Geltung zu bringen, nun nehme das Polyestergewebe aber das Färbemittel nicht an. Die ahnungslose Verkäuferin gab mir den fachlichen Rat, das Färbebad mit reichlich Essigessenz aufzufüllen.

      Mit neuem Färbemittel und einem Karton mit Essigessenz im Rucksack fuhr ich zurück nach Rostock, wo ich die Färbeprozedur mit den beiden Segeln in meiner Badewanne erneuerte. Jetzt klappte es. Die beiden Segel waren schön dunkel eingefärbt, aber klitschnass. Ich ließ die Segel abtropfen und legte sie dann in eine größere Plastewanne. Inzwischen hatte ich unsere Dachkammer, die mit einer lindgrünen Teppichware belegt war, mit einigen Lagen Zeitungspapier bedeckt. Dann brachte ich die Wanne mit den noch immer feuchten Segeln nach oben. Die Dachkammer war sommerlich aufgeheizt. Obwohl ich mich bemühte, die feuchten Polyestersegel vorsichtig über den ausgebreiteten Zeitungen auszulegen, sie waren tatsächlich nach wenigen Stunden trocken, zeigten sich blaue Flecken auf dem grünen Teppich. Wie das Penelope erklären?

      Lesern, welche das DDR-System nicht erlebt haben, sei erklärt, dass die Unterlassung einer Anzeige (§ 225 [1] 4. StGB d. DDR) bei Kenntnis der Vorbereitung einer Straftat gegen die staatliche Ordnung der DDR mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft werden konnte. Diese Gefahr hatte ich von Penelope genommen, vom ersten Gedanken an einen Grenzdurchbruch an. Naive Leute nannten später meine „Reise“ deshalb einen Vertrauensbruch.

      Ich musste Penelope also die blauen Flecken in der Dachkammer logisch erklären. Es gab damals in den HO-Textilgeschäften immer mal polnische Jeans, die aber noch nicht vor- oder ausgewaschen waren wie heute, wo diese amerikanische Arbeitskleidung gern als coole Szeneklamotte getragen wird. Ich kaufte mir also dieses Kleidungsstück und wusch es in der Badewanne vor. Dann legte ich es zum Trocknen in die Bodenkammer, so erklärte ich die blauen Flecken auf dem Fußboden meiner Lebenspartnerin, die das zwar missbilligte, doch nicht anzweifelte, während die Törnsegel nun im Segelsack einsatzbereit ihrer Verwendung harrten.

      Der Segelsommer war noch nicht vorüber, ich trieb mich wieder mit meiner Jolle im Hiddenseeer Liegeplatz „Schwarzer Peter“ herum, als ein idealer Nordost als mäßige Brise über den Bodden blies. Der Wind hatte schon einige Dezimeter Hochwasser hereingetrieben. Das war die optimale Situation für einen Segeltörn in südliche Richtung. Ich dachte mir: ‚Jetzt machst du den Test mit der xy-Jolle, dicht unter Land des Gellen nach Süden zu, zwischen der Insel und der riesigen Sandbank Geller Haken hindurchzugelangen.‘ Natürlich war das alles schon Sperrgebiet, aber die Hinweis- und Verbotsschilder waren nur an Land angebracht. Dort stand auch ein verrotteter Stacheldrahtzaun, der das Vogelschutzgebiet Gellen vor den sonnenhungrigen Urlaubern abschirmte. Wenn mein Törn bemerkt werden würde, konnte ich mich immerhin mit Unwissenheit herausreden, wollte ja damals auch gar nicht den Grenzdurchbruch durchführen, war schließlich noch in der ersten Vorbereitungsphase.

      Gedacht, getan, die Jolle schoss ideal mit Viertelschwert in Lee und Halbschwert in Luv in den von mir erwarteten Priel hinein. Hin und wieder schleifte das Ruderblatt im Sand des Grundes und gab einen knirschenden Laut von sich. Der Priel war aber da!

      Ich dankte im Geiste meinem Heimatkundelehrer, der mir die Existenz eines Priels schon in der Schule vermittelt hatte, denn auf den mir zugänglichen Seekarten des Seehydrographischen Instituts der DDR war es nicht verzeichnet; hier gab es nur die Ein-Meter-Tiefenlinie, da geringere Wassertiefen für die Berufsschifffahrt völlig uninteressant sind.

      Die Jolle rauschte also durch den Priel auf die Ausfahrt zwischen Gellen und Bock zu, und ich konnte bei Tageslicht jede Windung des Wasserweges sehen. Da ich immer auf der Luvseite blieb, hätte mich auch eine Grundberührung wenig behindert, weil mich der Wind dann ins Fahrwasser zurückgetrieben haben würde.

      Nach ca. einer Stunde überquerte ich die Ausfahrt in die Ostsee und passierte mit südlichem Kurs den Kontrollpunkt Bock der „Grenzbrigade Küste“. Jetzt erst hatten die Grenzsicherungsorgane mich erspäht, weil die östliche Spitze der Insel Bock von ihrem Punkt aus die eigentliche Ausfahrt in die Ostsee versperrte. So hatte ich es auf der Seekarte ermittelt, und so war es.

      Die Blinkzeichen von dem Kontrollpunkt ignorierte ich, segelte völlig unschuldig in das Fahrwasser nach Barth hinein. Vor dem Grabow, dort wo kleinere Lücken zwischen den Werder’schen Inseln sind, lag eines der Kanonenboote der „Grenzbrigade Küste“ und brachte mich auf.

      Das folgende Verhör an Bord des Kanonenbootes, woher und wohin, gestaltete sich moderat. Ich behauptete, dass ich, vom Neuendorfer „Schwarzen Peter“ kommend, beabsichtigte, nach Barth segeln zu wollen. „Sie sind aber durch das Sperrgebiet gesegelt!“, meinten sie. „Tut mir leid“, kam meine Entgegnung, „ich wollte mir nur den großen Umweg um den Geller Haken herum und durch die Kadettrinne ersparen.“

      Telefonate hin und her, Untersuchungen meiner Utensilien und der Jolle nahmen einige Zeit in Anspruch. Nach mehreren Stunden ließen sie mich laufen, heißt, weitersegeln, mit dem strengen Hinweis, künftig das Sperrgebiet zu beachten.

      Durch Grabow und Barther Bodden segelnd, war ich noch vor Sonnenuntergang in Barth. Ich hatte nun die glückliche Erkenntnis: Hier geht’s raus, ohne von einem der in der Ostseeausfahrten befindlichen Kontrollpunkte aus direkt gesehen zu werden. Aber die Grenzwächter wussten das nun auch und würden den Priel mit einem Buhnendamm versperren, fürchtete ich.

      Mein Versuch, in Barth Mitglied es dortigen Segelvereins zu werden und meine xy-Jolle da über den Winter zu belassen, scheiterte